O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Henk Bleeker

Aktuelle Aufführungen

Ein Requiem für Hamlet

HAMLET
(Ambroise Thomas)

Besuch am
18. Januar 2018
(Premiere)

 

Opera2Day, Koninklijke Schouwburg Den Haag

Vor elf Jahren startete in Den Haag das junge Musiktheater Opera2day, das seitdem einige holländische und belgische Provinzen wie ein hiesiges Landestheater mit mehr oder weniger vergessenen älteren und möglichst innovativen zeitgenössischen Stücken versorgt. Dass man sich damit in Konkurrenz zur Nationalen Reisopera in Enschede begibt, vom Nederlands Muziektheater in Amsterdam ganz zu schweigen, schreckt die ehrgeizigen und wagemutigen Organisatoren nicht ab. Man bereist Städte, die sonst kaum in den Genuss einer professionellen Opernaufführung gelangen würden, hebt sich auch in der Programmgestaltung von den ohnehin wenigen etablierten Bühnen des Landes ab und versucht mit besonderem Engagement, junge Leute ins Theater zu locken.

Bereits im ersten Jahr errang man mit Henry Purcells The Fairy Queen einen so großen Erfolg, dass man die Produktion auch in der darauf folgenden Saison in acht Städten zwischen Den Haag und Zwolle zeigen konnte. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Jetzt hebt sich in Den Haag der Premierenvorhang zu Ambroise Thomas‘ erst in letzter Zeit wieder stärker beachteter Shakespeare-Oper Hamlet. Bis zum 11. April sind 25 Aufführungen in diversen niederländischen und belgischen Städten vorgesehen.

POINTS OF HONOR

Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Dass mit Thomas‘ 1868 in Paris uraufgeführtem Werk eine Grand Opéra mit hohem Ausstattungsbedarf und mächtiger Besetzung auf dem Programm steht, was den begrenzten Mitteln des Theaters eigentlich im Wege steht, ficht die ehrgeizigen Organisatoren nicht an. Man scheute sich nicht, die großen, überwiegend rein dekorativen Chor- und vor allem Ballettszenen radikal zu kürzen, wenn nicht gar zu streichen, so dass die persönlichen Konflikte im „angefaulten“ Staate Dänemark ins Zentrum rücken können. Und die sparsame Ausstattung der meist schwarz gehaltenen und nur dämmrig beleuchteten Bühne lassen die eindrucksvollen, vielfach unter die Haut gehenden Video-Sequenzen von Margo Onnes schnell vergessen.

Die Frage, wieviel Shakespeare in Ambroise Thomas‘ einst sehr erfolgreichem Stück noch zu finden ist, führt dabei in eine Sackgasse. Übrigens auch bei berühmteren Stücken wie Verdis Otello, dessen Macbeth oder Falstaff. Philologische Authentizität darf und muss von einem Opernkomponisten im Umgang mit einem so komplexen Werk nicht erwartet werden. Die Handlung schlängelt sich recht eng um den Kern des Stücks, wobei die politischen Dimensionen eine sekundäre, im Grunde überhaupt keine Rolle spielen. Im Mittelpunkt stehen die psychologischen Konflikte der kranken Königsfamilie, die Thomas in wirkungsvolle, erstaunlich wenig sentimentale Klänge taucht.

Foto © Henk Bleeker

Große Bravourarien, die sich telegen vom dramaturgischen Kontext abheben könnten, sucht man vergebens. Selbst die mit koloraturreichen Tücken ausgestattete Wahnsinns-Szene der Ophélie steht im Dienst einer psychologisch durchdrungenen Werksicht. Regisseur Serge van Veggel interpretiert die Familien-Saga als einen Verfallsprozess, der hoffnungslos zum Tode einer ganzen Dynastie führt. Bevor das Publikum die Plätze einnehmen darf, führen eine dunkeltönende Bläser-Banda und der Chor den Sarg Ophélies durch das Foyer. Die Zuschauer, die sich dem Trauerzug anschließen müssen, um zu ihren Plätzen gelangen zu können, sehen sich unvermittelt als Teilnehmer eines Leichenzugs.

Auch auf der Bühne ist der Tod allgegenwärtig. In einer mächtigen Projektion nimmt gleich zu Beginn das Portrait von Hamlets ermordetem Vater wie ein drohendes Fanal den gesamten Bühnenhintergrund ein. Angesichts der immer wieder eingeblendeten Projektionen wirken die aktiven Darsteller in der matt ausgeleuchteten Bühne wie schattenhafte, von übermächtigen Kräften gesteuerte Zwerge. Dass man für den Schluss auf Thomas‘ weniger erfolgreiche zweite, ein Jahr nach der Uraufführung in London aus der Taufe gehobenen Fassung zurückgreift, in der sich Hamlet nach der Proklamation zum König erschießt, ist angesichts des requiemhaften Ambientes schlüssig.

Dass dabei die Feinzeichnung der Personenführung bisweilen etwas zu kurz kommt und die Wahnsinnsanflüge der Orphélie und vor allem Hamlets ein wenig gekünstelt wirken, fällt in diesem Umfeld nicht sonderlich störend auf. Zumal die Besetzung durch ihre jugendliche Ausstrahlung und ihre durchweg stimmlichen Qualitäten derartige Mängel rasch verdrängen.

Dass sich die Sänger frei entfalten können und niemals gegen eine orchestrale Übermacht ankämpfen müssen, ist nicht nur der geschickten Instrumentation des Komponisten zu verdanken, sondern auch der umsichtigen Leitung durch den Dirigenten Hernán Schvartzman, dem seit der Gründung der Opera2Day das konstante musikalische Niveau der Produktionen zu verdanken ist. Mit feinem Gespür für die lyrischen und dramatischen Akzente der Partitur leitet er sicher durch den kurzweiligen Abend.

Gute Voraussetzungen für einen hoffnungsvollen jungen Bariton wie Quirijn de Lang, der die Titelrolle mit dem Balsam seiner Stimme krönt und die innere Zerrissenheit des jungen Prinzen glaubhaft darstellen kann. Auf gleichem Niveau vermag auch die geradezu makellos singende Lucie Chartin als Ophélie die Herzen des Publikums zu erobern. Sie läuft in der Wahnsinns-Szene zu einer gesangstechnisch blitzsauberen und emotional anrührenden Form auf. Auch für die Besetzung der kleineren Rollen hat man ein glückliches Händchen bewiesen. Ob Martijn Sanders als Claudius, Martina Prins als Gertrude oder Jan-Wilhelm Schaafsma als Laërte: Nennenswerte Ausfälle sind nicht zu beklagen, so dass sich die Compagnie über eine rundum geglückte Produktion freuen darf, die das Publikum mit entsprechender Begeisterung feiert.

Pedro Obiera