O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Perfekte Balance

DEM HIMMEL SEI DANK!
(Joseph Martin Kraus, Wolfgang Amadeus Mozart, Joseph Haydn)

Besuch am
21. August 2022
(Premiere am 20. August 2022)

 

Brühler Schlosskonzerte, St. Margareta, Brühl

Wer bei den Brühler Schlosskonzerten ausschließlich an das Treppenhaus im Schloss Augustusburg in der Brühler Innenstadt denkt, in dem in jedem Sommer fabelhafte Kammermusik präsentiert wird, verpasst einen gut Teil des Festivals. Denn tatsächlich finden beispielsweise heute Abend gleich drei Veranstaltungen statt. Im Treppenhaus wird die Haydn-Oper La fedeltà premiata – auf Deutsch die belohnte Treue, hier heißt der Abend Auf der Jagd nach Liebe – konzertant unter der musikalischen Leitung von Andreas Spering aufgeführt. In der Schlosskirche präsentieren die Sopranistin Hannah Morrison und Sören Leupold an der Laute einen Liederabend unter dem Titel Süßer als Rosen. Und in der Kirche St. Margareta, einem Juwel aus dem 14. Jahrhundert in der Innenstadt, lädt der Oratorienchor Brühl zu einer exquisiten Veranstaltung unter dem Titel Dem Himmel sei Dank! ein. Als vierte Spielstätte des Festivals ist noch die Galerie am Schloss zu erwähnen. Und wenn man es genau nimmt, ist der Schlossgarten eine fünfte Spielstätte, in dem traditionell die Abschlussveranstaltung mit Feuerwerk stattfindet.

Anna Herbst, Andra Isabel Prins, Joachim Streckfuß und Richard Logiewa Stojanovic (v.l.n.r.) – Foto © O-Ton

Die Entscheidung an diesem Abend fällt auf die Aufführung in der katholischen Kirche, weil hier eine hervorragende Besetzung mit einem interessanten Programm aufwartet. Der interessanten Einladung folgen zahlreiche Besucher. Da ist die Kirche schnell besetzt. Trotzdem die Organisatoren sich viel Mühe mit der Auszeichnung der Sitzplätze gegeben haben, überfordert das doch so manchen Gast. Und die Personaldecke scheint recht dünn. Anstatt den Besuchern Hilfe bei der Platzfindung zu leisten, kommt es zum Wirrwarr, nach dem einer der Verantwortlichen anschließend noch einmal die Sitzplätze kontrollieren und Gäste düpieren muss, indem sie nachträglich umgesetzt werden. Das hätte man vermeiden können. Und damit auch gleich die fast zehnminütige Verspätung. Eng geht es allerdings nicht nur in den vorderen Sitzreihen des Kirchenraums zu, sondern auch im Altarraum. Freunde der Chormusik wissen, dass es vor dem Altar häufig ein eher spartanisches Angebot gibt, wenn Chor, Orchester und Solisten Platz finden müssen. In St. Margareta allerdings ist beängstigend wenig Raum. Wenn die Geigerin darauf achten muss, dem Organisten nicht ihren Bogen in den Nacken zu rammen, bekommt der Begriff Nähe einen völlig neuen Stellenwert. Aber schließlich findet jeder seinen Raum. Dem Himmel sei Dank! So lautet auch der Name des dreiteiligen Programms, das mit einer Motette eröffnet.

1977 gründete Albert Elbert den Schulchor des heutigen Max-Ernst-Gymnasiums, dem sich rasch Lehrer und Eltern anschlossen. Zwei Jahre später hatte der Chor seinen ersten Auftritt unter dem Namen Oratorienchor Brühl. Seine selbstgewählte Aufgabe ist, sich den großen Oratorien, Messen und Passionen der Chorliteratur zu widmen. Über die Generationen verschiedener Chorleiter hinweg gingen die Schüler dem Chor verloren, nicht aber die Begeisterung der Choristen. Seit 2019 leitet Judith Mohr die etwa 80-köpfige Sängergruppe. Während ihres Studiums der Germanistik und Schulmusik in Köln entdeckte sie ihre Leidenschaft für das Dirigat, hat längst ihren Master im Chor- und im Orchesterdirigieren jeweils mit Auszeichnung absolviert. Die drei vielleicht schwierigsten Jahre im Chorwesen der Neuzeit hat sie offenbar ausgiebig und erfolgreich genutzt, ein Vertrauensverhältnis zu ihrem Chor aufzubauen.

Johannes Quack – Foto © O-Ton

Das ist jedenfalls der Eindruck, den man gewinnt, wenn die Choristen ansetzen, Stella coeli – den Himmelsstern – von Joseph Martin Kraus aus dem Jahr 1783 zu interpretieren. Kraus, von Joseph Haydn bewundert, von anderen gar als schwedischer Mozart bezeichnet, er ist im selben Jahr wie Mozart geboren, hat hier einen reichlich pathetischen Text vertont, den die Choristen mit der ihm eigenen Freude wiedergeben. Unterstützt werden sie dabei vom Neuen Rheinischen Kammerorchester Köln, einer Formation, die sich durch Repertoire-Vielfalt auszeichnet und an diesem Abend in Bestform präsentiert. Auch Sopranistin Anna Herbst und Tenor Joachim Streckfuß lassen hier schon einmal kurz ihre Stimmen aufleuchten.

Bereits im Vorfeld hat Herbst ihre Freude darüber geäußert, „endlich einmal wieder“ ihr geliebtes Exsultate, jubilate von Wolfgang Amadeus Mozart vortragen zu dürfen. Und wirklich scheint sie in der wunderbaren Akustik des Kirchenraums zu genießen, das Publikum zu jauchzen und zu jubilieren aufzufordern. Ihre modulationsfreudige Stimme gönnt sich die gesamte Bandbreite der Lautstärke, was einerseits in den vorderen Reihen für große Freude sorgt, andererseits möglicherweise doch nicht mehr bis zum Ausgang reicht. Diese Befürchtung allerdings kann im Nachhinein nicht bestätigt werden. Was sehr wohl stimmt, ist, dass die nachfolgende Pause reichlich überflüssig erscheint. Die Dirigentin immerhin nutzt sie, um Bestuhlung und Pultstellung zu korrigieren. So viel Bodenhaftung ist grandios, aber die Aufgabenverteilung sollte dann doch vielleicht eine andere sein.

Im dritten Teil ist die Missa in honorem Beatissime Virginis Mariae, die große Orgelsolomesse in Es-Dur von Joseph Haydn vorgesehen. Es soll ein Fest werden, und das wird es auch. Mohr spielt auch weiterhin nicht den großen Zampano im Frack, sondern arbeitet ruhig und konzentriert. Während Organisten sich sonst gern stoisch auf ihre Partitur verlassen, folgt Johannes Quack sehr aufmerksam der Taktgeberin. Und er ist beileibe nicht der einzige. Auch Mohr lässt sich nicht darauf ein, die Solisten möglichst zu ignorieren, wie man es gern in Konzerten sieht, sondern bezieht Herbst, Streckfuß, die Mezzosopranistin Andra Isabel Prins und den Bariton Richard Logiewa Stojanovic aktiv in ihre Arbeit ein. Der Erfolg: Sie erreicht die perfekte Balance zwischen Chor, Orchester und Solisten. Belohnt wird das mit großer Textverständlichkeit, größtmöglicher Transparenz im Orchester, überragendes Engagement im Chor und höchster Spannung im Publikum.

Ein wunderbarer Abend geht so in rauschendem Beifall zu Ende. Und noch lange stehen die persönlichen Gratulanten, die aus dem Publikum nach vorne drängen, Schlange, um sich für Brillanz und Kurzweil zu bedanken.

Michael S. Zerban