O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Im Auftrag des Museums

THE DAY I BECAME A CLOUD
(Emanuele Soavi)

Besuch am
26. Monat 2023
(Premiere am 25. Monat 2023)

 

Max-Ernst-Museum, Brühl

In einem kapitalistischen System, in dem die Faszination an Kunst sich an den Erlösen bei Auktionen bemisst und Kunstunterricht in den Schulen vorwiegend als Ersatz für ausfallenden Musikunterricht stattfindet, wird es schwierig, Menschen für einen Museumsbesuch zu begeistern. Seit Jahren bemühen sich die Betreiber deshalb um Marketingaktionen, die mehr Aufmerksamkeit erregen als großartig kuratierte Ausstellungen. Erfolgreich sind die Nacht der Museen, in der die Kunsttempel ihre Pforten zu erschwinglichen Preisen öffnen, aber verstärkt auch der Einsatz von Musik und Tanz. Die Klang- und Bewegungskünstler sorgen für ein neues Publikum, während sie selbst sich über ein interessantes Umfeld für ihre Aufführungen freuen. Zahlen oder Erkenntnisse darüber, ob so ein Modell nachhaltig funktioniert, also Besucher solcher Aufführungen tatsächlich anschließend für die Museumskunst Interesse aufbringen, gibt es nicht. Immerhin dürfte es jeden Museumsleiter erst einmal beeindrucken, wenn am Abend einer Aufführung plötzlich so viele Menschen auftauchen, wie er sie sonst den ganzen Monat nicht sieht. Dabei scheint es dann schon halbwegs egal, ob die Aufführung einen Zusammenhang zu den gezeigten Werken herstellt oder einfach nur in den Räumlichkeiten des Museums stattfindet.

Lisa Kirsch – Foto © O-Ton

Nicht ganz so egal war das dem Musée d’Art Moderne de Paris und dem Max-Ernst-Museum in Brühl. Die beauftragten in Kooperation den Kölner Choreografen Emanuele Soavi, eine Tanzdarbietung zu entwickeln, die explizit die Sammlungen der Häuser einbezieht. Mitte September fand die Uraufführung in Paris statt, nun werden zwei Aufführungen in dem Museum in Brühl gezeigt, dass das Schaffen des Malers, Grafikers, Bildhauers und Publizisten Max Ernst bewahrt, der 1891 in Brühl geboren wurde. Der erste Teil der Darbietung, die den Titel The Day I Became a Cloud – der Tag, als ich eine Wolke wurde – trägt, findet abseits der Sammlung im Dorothea-Tanning-Saal im Kellergeschoss statt. Vier Stative, in denen Bandoneons aufgehängt sind, begrenzen einen Bühnenraum, in dem eine spiegelnde, quadratische Matte liegt. Quer zum Saal sollen sich die zahlreich erschienenen Besucher auf kleinen Hockern, lieber aber auf Kissen auf dem Parkettboden niederlassen. Das funktioniert nur unter Anleitung und dauert seine Zeit, zumal besondere Rücksicht auf die beiden Kamerafrauen genommen werden muss, die hier als „Dokumentationsteam“ bezeichnet werden. Der Gewinn aus dieser Aktion erschließt sich nicht. In der folgenden knappen halben Stunde zeigen Federico Casadei, Taeyon Kim, Lisa Kirsch und Lorenzo Molinaro in schwarzer Kluft mit kurzen Hosen 10 silent fragments, die tänzerisch wenig Spektakuläres bieten.

Es ist immer hilfreich, wenn die Organisatoren die Abläufe und Spielorte kennen. Besser noch, wenn sie die auch dem Publikum eindeutig vermitteln können. Wer der Anweisung „Nebenan geht es dann weiter“ folgt, landet in der aktuellen Wechselausstellung und damit im Abseits. Denn die weiteren Aktionen finden im Erdgeschoss, Treppenhaus und ersten Obergeschoss statt. Das weiß glücklicherweise die Museumsbedienstete, die einem gern den richtigen Weg weist. Während die Tänzer, die man im Keller erleben durfte, nun das eben gesehene Repertoire an verschiedenen Orten in der Sammlung zu wiederholen scheinen, läuft im Treppenhaus eine Parallelveranstaltung, die sich embrace nennt. Hier präsentieren sich unter anderem Anastasia Barer, Mohamed Moodimbi und Lil Oksamen als living dolls, die in Umarmungen auf den Treppenabsätzen verharren. Die Besucher sind nun vollends auf sich gestellt, können ihre Zeit damit verbringen, nach den Tänzern zu suchen oder sich mit den Werken von Max Ernst und seiner letzten Ehefrau Dorothea Tanning auseinanderzusetzen. Kaffee und Kuchen bekommt man in der Zeit allenfalls im Stehen, weil das museumseigene Café zu gut besucht ist. Der Gang vor die Tür zeigt, dass es weiter unaufhörlich regnet. Da kann man ja froh sein, dass es noch einen dritten Teil des Nachmittags gibt, der nun wieder in den Veranstaltungssaal führt.

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Dort gewinnt man den Eindruck, eher für eine Aufräum- und Umbauphase fortgeschickt worden zu sein, was das Konzept weiter schwächt. Nun heißt es, erneut einen Hocker zu ergattern, wenn man sich nicht auf einem Kissen auf dem Fußboden niederlassen will. Der erneute Hinweis ist deutlich: „Lassen Sie bitte die auf den Hockern sitzen, die nicht auf den Kissen sitzen können“. Übrigens, wenn Kinder Erwachsene auf Hockern sitzen sehen, wollen sie auch nicht so gern auf dem Boden hocken. Im Bühnenareal sind nun zwei Tische parallel zueinander aufgebaut. Neben dem einen, der statt einer Tischplatte Löcher zeigt, sitzt eine Person, die komplett eingegipst ist – der Clou des Nachmittags, zumindest optisch. Warum Emanuele Soavi in dieser unglücklichen Situation bis nahezu zum Schluss ausharren muss, bleibt der Interpretation des Zuschauers überlassen. Am Kopfende des anderen Tisches, auf dem Spielkarten erkennbar sind, nimmt Kate Strong, Tänzerin und Schauspielerin, Platz. Sie erzählt nun auf Englisch eine Geschichte über Wolken. Zwischendurch gibt es kleinere Tanzeinlagen, und die Tänzer treten an die Bandoneons, um die Musik von Johannes Malfatti zu spielen. Oder so zu tun, während sie von der Festplatte eingespielt wird. Das ist nicht einwandfrei zu erkennen. Die Geschichte, die Strong erzählt, wird hier nicht wiedergegeben, weil sie offenbar nicht für ein deutschsprachiges Publikum gedacht ist. Schließlich befreit sich der Mann von seinem Gipskostüm, kleidet sich an und entschwindet. Das Publikum applaudiert.

Für die Compagnie ist es eine Auftragsarbeit für das Museum. Da ist es nur konsequent, dass sie aus Sicht des Museumwillens und nicht aus Publikumssicht gedacht ist. Grundsätzlich ist gegen die Idee, neues Publikum mit genrefremder Kunst ins Museum zu locken, nichts einzuwenden. Man muss dann nur wissen, was man will. Möglichst viele Menschen in den Räumlichkeiten zu versammeln, um die Besucherzahlen nach oben zu treiben, die Menschen für die Museumsinhalte zu interessieren oder aus purer Freundlichkeit anderen Künstlern eine ungewöhnliche Spielstätte zu bieten. Alles auf einmal geht offenkundig nicht.

Michael S. Zerban