Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
BESUCH BEI BACHS
(Diverse Komponisten)
Besuch am
17. Juli 2022
(Premiere am 16. Juli 2022)
Endlich wieder Margaretenkirmes, jubeln die Brühler. Auf dem Belvedere-Parkplatz zwischen Altstadt und Schloss Augustusburg sind die großen Fahrgeschäfte aufgebaut, Fress- und Saufbuden belegen die Fußgängerzone. Tausende Besucher, so ist in der Tageszeitung zu lesen, besuchen das vier Tage dauernde „Volksfest“. Während die Menschen bei herrlichstem Sommerwetter durch die Straßen drängeln, ist es im Brühler Schlosspark, der in schönster Pracht erblüht, deutlich ruhiger. Ein Hochzeitspaar lässt sich filmen, der Fotograf zeigt sich als Regisseur, der jede Szene mit dem Paar intensiv durchspielt. Seinen Bemühungen zufolge muss es mindestens ein preisverdächtiger Bollywood-Streifen werden. Im Innenhof von Schloss Augustusburg versammeln sich allmählich die Besucher, die heute einen weiteren Höhepunkt der Brühler Schlosskonzerte erleben wollen. Seit 1958 gibt es die Schlosskonzerte, die einst eingeführt wurden, um Schloss Augustusburg aus dem „damals drohenden Museumsschlaf zu erwecken und mit einer Konzertreihe einem breiten Publikum zugänglich zu machen“. Seither hat sich viel verändert. Die Schlosskonzerte haben Boden für Nachwuchs geschaffen und aus dem Treppenhaus des Schlosses mit seiner wunderbaren Akustik eine überregional beachtete Spielstätte für Kammermusik erwachsen lassen.
Heute Abend ist das Thüringer Bach-Collegium unter Leitung von Gernot Süßmuth zu Gast. Aktuell ist Süßmuth Konzertmeister der Staatskapelle Weimar und steht damit in der Nachfolge von Johann Sebastian Bach, der im 18. Jahrhundert diese Position bekleidete. Im Programm Zu Besuch bei Bachs kommt allerdings der Großmeister nicht vor. Denn das Collegium verfolgt nicht das Ziel, Johann Sebastian Bach zu verehren, sondern vielmehr die „musikalischen Schätze Thüringens zu beleben“. Dass dazu dann allerdings auch Mitglieder der Familie Bach gehören, versteht sich von selbst.
Foto © O-Ton
Ehe die Vorstellung beginnt, werden großzügig Abendzettel an das zahlreich erschienene Publikum verteilt. Die allerdings sind von der Wirklichkeit in punkto Besetzung schon längst wieder überholt. Es gehört ja in diesen Wochen geradezu zum guten Ton, an Corona zu erkranken. Es ergibt überhaupt keinen Sinn, ständig Aufführungen abzusagen, weil dann momentan kaum noch etwas stattfinden könnte. Abgesehen davon, dass es immer noch genügend Künstler gibt, die sich darüber freuen, ihre Kalender mit Einspringer-Aufgaben zu komplettieren. So sieht es auch das Thüringer Bach-Collegium. Und so tritt das Ensemble in glänzender, wenn auch ungewöhnlicher Formation an. Gernot Süßmuth beweist als Kopf des Ganzen eine wunderbare Souveränität an der Geige, Sara Hubrich beweist als Einspringerin große Qualitäten sowohl als zweite Geige wie auch als Solistin, Raphael Hevicke konzentriert sich stark auf seine Aufgaben als erster Geiger und Solist, da ist in Sachen Entspannung noch ein wenig Luft nach oben. Andreas Schulik lässt sich als Bratschist von nichts beeindrucken; viel Spaß bei der Zusammenarbeit hat Cellistin Dagmar Spengler-Süßmuth, an der Violone, dem historischen Kontrabass, sitzt Frithjof-Martin Grabner mit Schalk im Nacken und ein wenig stoisch wirkt Christian Stötzner am Cembalo, aber einer muss ja den Ernst der Lage im Auge behalten. Das ist natürlich übertrieben. Es macht einfach Spaß, dem Ensemble bei seiner gemeinsamen Arbeit zuzuschauen.
Und erst recht zuzuhören. Mit der Orchestersuite Nr. 4 D-Dur von Johann Bernhard Bach in acht Sätzen, eine Sammlung von Tänzen, wie sie am Hof gefragt waren, geht es los. Johann Bernhard ist einer der 77 Musiker der Familie Bach und Cousin zweiten Grades von Johann Sebastian. Mehr als 42 Jahre war er Organist an der Georgienkirche in Eisenach. Seine vier Orchestersuiten soll auch Johann Sebastian Bach sehr geschätzt haben. Und die Gefälligkeit darf bis heute fortwirken. Ein wenig ausgefallener zeigt sich das Concerto Nr. 1 B-Dur für Violine und Orchester von Prinz Johann Ernst von Sachsen-Weimar in drei Sätzen. Da genehmigt sich der Fürst kleine, wilde Exaltiertheiten, gerade so, als wolle ein pubertierender Bub sich gegen die Konvention auflehnen. Damit gewinnt das Konzert dieses Abends durchaus an Würze. Und der Prinz war es auch, der die Musik Antonio Vivaldis an den sächsischen Hof brachte. Das Bach-Collegium trägt daraus das Concerto a-moll für zwei Violinen und Orchester vor. Gut gelaunt – und dazu gibt ihm das Publikum mit rauschendem Applaus durchaus Grund – verabschiedet sich das Ensemble in die Pause.
Foto © O-Ton
Es gibt Menschen, die ragen aus der Menge, ohne, dass man auf Anhieb weiß, was eigentlich Besonderes an ihnen ist. So einer ist Süßmuth, der jetzt zu zwei Konzerten des Prinzen von Sachsen-Weimar mit großem, vorgetäuschtem Aufstrich anhebt. Schon äußerlich hebt er sich von den Kollegen ab, wenn er im grauen, schwarzgemusterten Hemd zur schwarzen Hose auftritt, während sich alle anderen im üblichen Schwarz präsentieren. Aber er ist nicht der Zampano, sondern hört seinen Kollegen sehr aufmerksam zu, hat sichtlich Spaß am eigenen Spiel, das ihm bis zum kaum hörbaren Piano leichthin aus den Händen fließt, und swingt leichtfüßig an passenden Stellen mit. Ernst wird es allerdings bei Vivaldis Concerto g-moll op. 8 Nr. 2, besser bekannt als Der Sommer aus Die vier Jahreszeiten. Es wird der absolute Höhepunkt des Abends, nicht nur, weil es sich hier um das bekannteste Stück des Abends handelt. Schön, wie Schulik hier im Adagio die Bratsche aus dem Ruder laufen lässt, ein Detail, das bei anderen Interpretationen so nie aufgefallen ist. Eine gelungene Variante.
Und dann taucht er doch noch auf: Von Johann Sebastian Bach erklingt das Concerto BWV 1064R für drei, nein, in diesem Fall zwei Violinen und Orchester. Drei Sätze, dann dürfen die Musiker ihren Triumph feiern lassen. Zwei Zugaben – das Pastorello aus dem ersten Konzert und das Presto aus Vivaldis Sommer werden wiederholt – schließen den Abend ab, an dem sich immer wieder das Gewummer und die Ansagen der Fahrgeschäfte einmischen. Und als die beats per minute von der Kirmes einen anderen Takt vorgeben als das gerade zu beginnende Konzert, müssen selbst die Musiker lachen. Hat aber dann doch alles gepasst bei dieser fulminanten Vorstellung. Und so ziehen die Besucher hochzufrieden von dannen.
Michael S. Zerban