O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Elisabeth Rauch, Jenny Kim, Simone Hirsch und Constanze Hosemann (v.l.n.r.) - Foto © O-Ton

Aktuelle Aufführungen

Fröhlich-nachdenklicher Mädelsabend

LIED.ART.ABSURDUM
(Diverse Komponisten)

Besuch am
28. Juli 2022
(Premiere am 27. Juli 2022)

 

Liedsommer, Theater im Ballsaal, Bonn

März 2020: Dieser Monat wird in die Geschichte eingehen. Es war der Monat, in dem sämtliche Kulturbetriebe der Bundesrepublik Deutschland geschlossen wurden. Das kam einem generellen Auftrittsverbot für Künstler gleich. Es war der Beginn der größten Katastrophe, die das Kulturleben der neueren deutschen Geschichte ereilte und dessen Folgen bis heute andauern. Während es für die Angestellten der öffentlich subventionierten Kulturinstitutionen noch halbwegs glimpflich ablief, erwiesen sich die Regierungsbeschlüsse als Todesfalle für freischaffende Künstler. Bis heute ist nicht annähernd bekannt, wie viele Menschen in der Folgezeit den Beruf wechselten und damit der Kultur verlorengingen. Oder gar ihr Leben freiwillig beendeten, weil sie für sich keine Zukunft mehr sahen. Künstler, die nicht mit Menschen anderer Berufsstände liiert waren oder gar über Rücklagen verfügten, haben diese Zeit nicht unbeschadet überstanden.

Aber es gab auch Menschen, die die Zeit der Isolation und des Stillstands nutzten, um neue Projekte zu entwickeln. Wem es gelang, Depressionen und Existenzbedrohung zu überwinden und sich womöglich gar zu vernetzen, gehörte eher zu den Ausnahmeerscheinungen. Ein Beispiel dafür sind die drei Sängerinnen Simone Hirsch, Constanze Hosemann und Elisabeth Rauch. Sie nutzten die Katastrophe, ihre Arbeit neu zu denken und sich auf die Zeit nach der Isolation vorzubereiten. Was sich so leicht sagt, kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Die Mär von der Kreativität, die durch Not Flügel bekommt, ist so alt wie falsch. Die drei entwickelten in der Zeit der Öffentlichkeitsabstinenz die Idee eines Bühnenprogramms, das man bislang für unmöglich gehalten hat.

Constanze Hosemann und Elisabeth Rauch – Foto © O-Ton

Ein Mädelsabend ist in der Regel eine lustige Angelegenheit. Da treffen sich Frauen unbestimmter Zahl und unbestimmten Alters am Abend, um sich in gemeinsamen Gesprächen vom Alltag zu verabschieden. Es ist kein Geheimnis, dass solche Abende durchaus auch alkoholgeschwängert verlaufen und, so sagt man, die Gespräche oftmals viel offener verlaufen als in der Gegenwart von Männern. Ob das stimmt, kann man diskutieren. Spielt aber auch keine große Rolle. Was, wenn man solch einen Mädelsabend auf die Bühne bringt und künstlerisch umsetzt? Da könnte man die Gespräche durch Lieder ersetzen. Und wer sagt eigentlich, dass ein Liederabend immer nur auf Lieder von Schubert, Brahms, Wolf und Konsorten beschränkt sein muss? Das Gequatsche an einem gelungenen Mädelsabend reicht doch auch von neuen Küchenrezepten über Beziehungskisten, Karriereknicks bis hin zu Urlaubserlebnissen.

Natürlich wird es in der Umsetzung dann wieder etwas ernster. Solch ein Abend muss einen Namen haben. Lied.Art.Absurdum: Eine schöne Art auszudrücken, dass man Grenzen sprengen will. Und dafür eignet sich das Theater im Ballsaal im Bonner Stadtteil Endenich ja bestens. Die drei Sängerinnen haben sich für ihren Abend Unterstützung geholt. Geertje Boeden soll als Regisseurin ihre Ideen in Bühnentauglichkeit umsetzen, Jenny Kim die musikalische Leitung am Klavier übernehmen. Der Handlungsrahmen des Liederabends ist schnell gefunden und bestimmt den Bühnenaufbau. Angedacht ist ein Museumsraum. Links im Halbdunkel steht der Flügel, im Zentrum des Geschehens eine Badewanne im Fahrgestell, die ziemlich dreckverkrustet ist. Ja, die Butterecke von Beuys gerät schon ins Gedächtnis, ehe die Putzfrau auftaucht, die Mezzosopranistin Simone Hirsch in Kittelschürze und mit verwegenem Make-up präsentiert. Eröffnet wird der Abend von Constanze Hosemann, die eine Art Kulturmanagerin in weißer Bluse zu schwarzer Lederhose und flachen Schuhen mit einer pastellfarbenen Jacke präsentiert. Hinzu kommt Elisabeth Rauch als Künstler in lässigen, schwarzen Klamotten und dunkler Sonnenbrille. Wer die Sopranistin kennt, weiß ihre verrückte Frisur heute Abend zu schätzen. Herrlich, wenn die Putzfrau bei ihrem Auftritt Unbewegte, laue Luft von Johannes Brahms „trällert“. Da wird gleich die Tonalität des Abends vorgegeben. Und von nun an geht es Schlag auf Schlag. Hosemann trumpft mit The Crucifixion von Samuel Barber auf, wird von Rauch mit There’s none to soothe von Benjamin Britten abgelöst. Hosemann trägt An die Musik von Franz Schubert vor, was zur Frage der Putzfrau führt, ob Kunst nicht einfach auch mal unterhaltsam sein könne. Da könne man ja gleich Ein Bett im Kornfeld von Jürgen Drews singen, wird ihr entgegengehalten. Ja, sagt die Putzfrau und singt’s. Die Schleusen sind geöffnet.

Jenny Kim und Simone Hirsch – Foto © O-Ton

Boeden hält die Sängerinnen in Bewegung, lässt sie den Feudel schwingen und mit Schwämmen werfen. Aber, wir erinnern uns, es ist ja dieser Mädelsabend. Also gibt es auch Wein und Kaffee, während es in wilder Mischung von Klassik, Schlager und Pop weitergeht. „Gibt’s denn auch was Schönes in der klassischen Musik?“ fragt die unbedarfte Putzfrau und erhält prompt die Antwort „Leiden ist ja auch was Schönes“. Die Antwort gibt Hirsch selbst, indem sie wunderbar Ich bin der Welt abhanden gekommen von Gustav Mahler vorträgt. Da gab es schon Musik von Dusty Springfield, Lady Gaga und Celine Dion. Das Trinklied von Franz Schubert wird Somebody to love von Queen gegenübergestellt. Eigentlich hätte das Programm mit Sunny von Boney M., hervorragend vorgetragen von Hosemann, beendet sein können. Aber nein, es ist das letzte Lied vor der Pause.

Auch in der zweiten Hälfte wird zusammengebracht, was nicht zusammengehörig scheint. Ins 18. Jahrhundert geht es mit Anzoleta dopo la regata von Gioachino Rossini zurück. Hirsch schindet hier erneut mächtig Eindruck. Gemeinsam tragen die drei Sängerinnen Lady Marlene von Katzenjammer vor. Was es alles gibt. Rauch und Hirsch geben anschließend Du bist die Ruh von Franz Schubert zum Besten, Hosemann schließt sich mit Morgen von Richard Strauss an. Gern wird die Zote im Pflaumenlied noch einmal unterstrichen, die Bertolt Brecht eingebaut hat: „und er steckte seinen Daumen lächelnd in so manches Fass“. Und weiter geht es mit dem flotten Wechsel von Kunstlied und Rockgesängen. Gar ein wenig gruselig wird es, wenn die drei den Erlkönig von Franz Schubert vortragen. Am Ende schließt sich der Kreis mit Resistance von Muse. Da geben die Damen sich kampflustig. Wenn sie schon nicht „systemrelevant“ sind, wehren sie sich eben gegen das System mit ihren ureigenen Waffen. Dem Publikum gefällt’s. Die Damen werden lautstark gefeiert, ehe sie eine Zugabe schmettern, für die es als Opernsängerin wohl einigen Mut braucht, die aber die Besucher noch einmal richtig in Schwung bringt. Dass hier nicht verraten wird, um was es sich handelt, liegt daran, dass sich jetzt das Münchner Publikum auf das großartige Programm freuen darf. Am 1. August tritt das Quartett im Hofspielhaus auf. Gerade Menschen, die keinen Zugang zum Kunstlied haben, ist der Besuch dringend zu empfehlen. Denn so verpackt, wie die Lieder an diesem Abend dargeboten werden, möchte man glatt noch mehr davon hören.

Michael S. Zerban