O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Woelfl-Haus

Aktuelle Aufführungen

Ein Fels für Woelfl

ERNTEDANKKONZERT
(Diverse Komponisten)

Besuch am
5. Oktober 2025
(Einmalige Aufführung)

 

Woelfl-Haus, Bonn

Wenn auf dem höchsten Fels ich steh/Ins tiefste Tal hernieder seh/Und singe … Nach einem ausgedehnten Vorspiel von Sonja Kowollik am Klavier und Vivienne Frey mit der Klarinette erhebt sich die Stimme der jungen Sopranistin Susanna Kilian zum Duett des Hirten und seiner Schalmei. Der Hirt auf dem Felsen, Franz Schuberts vorletzte Komposition aus dem Jahr 1828, erklingt als zentrales Werk im Erntedankkonzert der Joseph-Woelfl-Gesellschaft im Bonner Woelfl-Haus. Der Text von Wilhelm Müller folgt seinem Gedicht Der Berghirt. Das Lied bringt mit dem Shooting Star unter den Instrumenten seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, der Klarinette, die ländliche Idylle in die Konzertsäle Europas.

2016 im Stadtteil Lessenich eröffnet, verfolgt die private Gründung die Intention, Werk, Wirkungsgeschichte und Bedeutung des Komponisten und Pianisten Joseph Johann Baptist Woelfl in der Welt bekannt zu machen und wissenschaftlich zu fundieren. Woelfl, Heiligabend 1773 in Salzburg geboren, 1812 in London gestorben, gilt 1808 als der höchstbezahlte Musiker Europas. Das Konzert zum Erntedank, eines von zehn Konzerten pro Jahr, hat die Nummer 86 in der Reihe Woelfl und …

In tiefem Gram verzehr ich mich/Mir ist die Freude hin … Ist der Mittelteil auf einen Text von Karl August Varnhagen Ense noch voller Resignation, schaltet die Sängerin mit einer virtuosen Cabaletta auf die freudige Stimmung um, in der Müllers Text auf die herannahende Jahreszeit einstimmt: Der Frühling will kommen/Der Frühling meine Freud. Umspielt vom schwungvollen Klavierspiel und der jubelnden Klarinette. Über die Strecke von exakt elf Minuten, dem Standard der meisten unter den zahlreichen Darbietungen im Konzertsaal und Einspielungen auf Tonträgern, kann die 22-jährige Kilian ihre ausdrucksstarke Stimme mit bezwingender Emphase und sicherer Technik voll zur Geltung bringen.

Foto © Woelfl-Haus

Prasselnder Beifall im voll besetzten Konzertsaal für die drei jungen Künstlerinnen. Anerkennung für ihr Können, im Zusammenspiel von menschlicher und instrumentaler Stimme die Sehnsucht und die Hoffnung eines einfachen Menschen zu schildern, der von seiner Liebschaft träumt.

„Für uns“, hebt Hermann Dechant, Dirigent, Musikwissenschaftler und Verleger, hervor, „ist die Förderung von jungen Talenten ein wichtiges Anliegen.“ Öffentliche Auftritte zu Beginn einer möglichen beruflichen Laufbahn wie jetzt am ersten Oktobersonntag seien da ein wichtiger Baustein.

Zusammen mit seiner Frau, der Pianistin und Musikwissenschaftlerin Margit Haider-Dechant, hat Dechant den gemeinsamen Lebensmittelpunkt vor einigen Jahren von Wien in die Bundesstadt verlegt. Im Klaviervirtuosen Woelfl sehen sie nach Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven die „vierte Säule“ der Wiener Klassik. Sie füge sich hervorragend in die Musik- und Stadtgeschichte Bonns ein. Architektur und Konzept des im Stadtteil Lessenich gelegenen Hauses sind auf Veranstaltungen – und Begegnungen zugeschnitten.

Ihre Affinität zur Wiener Klassik und wohl auch zur Klarinette stellt Kilian mit der Arie Parto, ma tu ben mio aus Mozarts La clemenza di Tito gleich zur Eröffnung des Konzerts unter Beweis. Sesto beschreibt in dem knapp sechs Minuten langen mehrstufigen Solo, halb Lied, halb Konzertstück, für Mezzo und obligate Bassettklarinette seine Gefühle für Vitellia, die er begehrt, mutmaßlich vergeblich. Famos kommen die Läufe Kowolliks, die hier ein ganzes Orchester „ersetzt“. Verführerisch bauen sich die sonore Tiefe wie die temperamentvollen Sprünge Freys auf. Voller Elan und Können meistert Kilian die Koloraturen, die Mozart mit disruptiven Abrissen ausgestattet hat.

Solche Stimmungsschwankungen sind den Machern des Bonner Zentrums für virtuose Klaviermusik fremd. Im Gegenteil. Die Institution wächst und gewinnt an Beachtung und Aufmerksamkeit. „Das Herz Woelfls“, begeistert sich Hermann Dechant, „schlägt intensiver denn je. Und es schlägt in Bonn.“ Die Woelfl-Gesellschaft sei auf 318 Mitglieder angewachsen, darunter Woelfl-Liebhaber in China, England, Frankreich und den USA. Der Status der Woelfl-Stiftung, derzeit unselbstständig, solle noch in diesem Jahr in den einer selbstständigen Stiftung aufgewertet werden, was mit einer Kapitalaufstockung zu tun hat.

Foto © Woelfl-Haus

Sichtbarer Ausdruck der Entwicklung ist der für den Verlag eingerichtete Teil des Hauses, in dem die Werke Woelfls neu herausgegeben werden. Regale mit Dokumenten, Notenmaterial an den Wänden. Maschinen, mit denen sich Broschüren und Bücher pressen, leimen und binden lassen. Mehrere Arbeitsplätze mit Computern, an denen sich Notenmaterialien editieren lassen. 647 Kompositionen umfasst das Verzeichnis, das in Bonn gepflegt wird. Der Verlag hat sich, wie Dechant mit Stolz berichtet, „zu einer, wenn nicht zu der zentralen Anlaufstelle zu Woelfl entwickelt, für Veranstalter, Dirigenten, Pianisten, die seine Werke aufführen wollen“.

Auf die Frage nach den bedeutendsten Kompositionen Woelfls nennt Dechant ohne längeres Nachdenken die Oper Der Kopf ohne Mann, die zumindest in einer Sammlung von Gesängen existiert. Eine Figur ist Lisaura, deren kecke Arie Fort hinweg mit Euren Schätzen Kilian mit Bravour präsentiert, begleitet von Klavier und Klarinette. Allen drei Künstlerinnen liegt der Auszug aus dem 1798 komponierten Singspiel, wie auch ihr Mienenspiel beweist. Erstmals aufgeführt wird das Marionettenspiel auf einen Text von Joachim Perinet im Freihaus-Theater, einem der Wiener Vorstadttheater. Dechant denkt an Aufführungen in unserer Zeit, „hoffentlich bald“.

Das Programm des Erntedankkonzerts enthält Kompositionen des Woelfl-Zeitgenossen Franz Lachner, der rheinischen Ikone Robert Schumann und ein weiteres Stück von Schubert, diesmal für Klavier. Die Intention, selbst ganz junge angehende Künstler fördern zu wollen, wird insbesondere mit dem Vortrag der Hymne à l’Agriculture von dem Schweizer Komponisten und Klarinettisten Jean-Xavier Lefèvre deutlich, auch ein Zeitgenosse Woelfls. Der Sopranpart liegt jetzt bei der 24-jährigen Maria Wolke, den sie couragiert gestaltet. Das jüngste Mitglied in dem sie umgebenden Quasi-Kammerchor weist die Jahrgangszahl 2012 auf.

Alle Solisten des Erntedankkonzerts können davon erzählen, international beachtet worden zu sein. In der Corona-Zeit ergibt sich für die Woelfl-Macher, darunter der Techniker Uwe Vogel, die Chance, durch Förderung in Streamingtechnik zu investieren. Von einem kleinen Studio aus durch eine Glaswand mit dem Konzertsaal verbunden, können die vier schwenkbaren Kameras gesteuert werden. Das System mit einem Broadcasting-Teil und einer Schnitt- und Bearbeitungseinheit ermöglicht Live-Übertragungen bei flexibler Bildauswahl sowie Produktionen im Video- und Audio-Bereich.

Dechant spricht von einem „Quantensprung“. Die Konzertaktivitäten hätten eine neue Dimension erreicht. „Bei einem Konzert kürzlich mit einem Pianisten aus Tokio sind 42 Streaming-Kartenwünsche aus Japan eingegangen, die wir wie alle übrigen online bearbeiten.“

Ralf Siepmann