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Die letzte – in diesem Fall wirklich – kongeniale Zusammenarbeit Hofmannsthals mit Strauss firmiert als Lyrische Komödie. Das ist dieses auf der Novelle Lucidor, Figuren zu einer ungeschriebenen Komödie des Librettisten beruhende Charaktergemälde auf jeden Fall. Ist es doch das Wesen des Komödiantischen in der Oper, im Publikum Reaktionen zwischen Kopfschütteln unter Intellektuellen und dem eiligen Griff nach Taschentüchern unter den wahren Afficionados hervorzurufen. Arabella, am 1. Juli 1933 an der Staatsoper Dresden uraufgeführt, ist freilich viel mehr.
Regisseur Marco Arturo Marelli, seit vielen Jahren gern gesehener Gast am Boeselagerhof, zuletzt mit Lohengrin erfolgreich, nähert sich dem sinnlichen Relief einer untergehenden Epoche aus einer Grundhaltung des Respekts. Respekt vor der Sprache des Textbuches. Respekt gegenüber einer Musik, die das zu adeln vermag, was den Menschen in seinen besten Momenten auszeichnet.
Wo das Menschliche in zeitloser Gestalt an- und die Idee vom Richtigen und vom Falschen im Leben aufrührt, braucht es keine hinzu gemischte Äußerlichkeit. Keine Zutat wie in der Gastronomie bei beliebigem Rezept. Wer wollte nicht, wie Arabella Mandryka schwärmerisch beichtet, ein Leben, in dem „keine Winkelzüge werden sein und keine Fragen“? In dem „alles hell und offen, wie ein lichter Fluß, auf dem die Sonne blitzt“? Vor allem braucht es keine dem Zeitgeist ausgelieferte Modernisierung. Keine Transformation in andere Epochen wie etwa 2015 in Köln, als das Regieteam Doucet und Barbe das Geschehen auf den Vorabend des Ersten Weltkriegs verlagert.
Hofmannsthal siedelt die Handlung konkret um 1860 im Wien der Gründerzeit an. Für die Bonner Produktion hat Marelli, der auch für das Bühnenbild und die Lichtregie verantwortlich zeichnet, dem Sujet die Plüsch- und Kitschelemente weitgehend entzogen. Hofmannsthals Salon in einem Wiener Stadthotel ist jetzt ein nüchterner dekorfreier Raum mit hohen, drehbaren Türen. Hofmannsthals Treppenhaus, aus dem die Stiege im Hintergrund in zwei Wendungen nach oben führt, ist eine rein funktionelle Angelegenheit. Kaum zu verstehen, dass Strauss dem Stiegenhaus ein eigenes Thema schenkt. Möbliert ist die Szene kaum. Unübersehbar im ersten Akt die Reisekoffer, aus denen die Protagonisten zu leben scheinen. Ein Symbol für die Vergänglichkeit? Für die Abschiedsstimmung, die immer wieder in Text und Partitur durchscheint? Ein Rekurs auf die Entwurzelung, die Menschen auch im 21. Jahrhundert erleben müssen?
Angesichts dieser Reduktion können die von Dagmar Niefind ersonnenen Kostüme – Uniformen für die Offiziere, eine Jagdmontur samt üppigem Pelzkragen für den Fremden aus den Wäldern Kroatiens, Abendgarderoben für die Damen auf dem Weg zum Faschings-, dem Fiakerball – durchaus einen Flirt mit der Zeit wagen, in der Arabella spielt. Stahlblau leuchtend und imposant das Gewand Arabellas. Was, mag sich der Opernenthusiast fragen, will Barbara Senator, die überzeugende Bonner Arabella dann tragen, wenn sie irgendwann die höchste Stufe auf der Leiter der großen Strauss-Rollen für Soprane erklimmen sollte, die Marschallin im Rosenkavalier?
Ganz Gegenpol zum Zeitgeist, ganz auf der Höhe seiner Idee von Regietheater legt Marelli großen Wert auf eine einfühlsame Personenregie, die von einer stimmungsvollen Lichtregie – klug illuminierte Umschwünge in Handlung und musikalischer Begleitung – ergänzt wird. Große Gefühle gibt es bei ihm im Knien. Mandryka kniet, als er Arabella in den Schuh verhilft, die Hand der Tochter des Grafen Waldner auf der Schulter. Arabella kniet am Ende, jetzt die Hand des Bärenjägers auf ihrer Schulter. Beide knien, überwältigt von der Utopie des gleichrangigen Miteinanders. Und wo ich Herr bin, wirst du Herrin sein und wirst gebieten, wo ich der Gebieter bin, wie es Mandryka ausdrückt. Der beste Kommentar im Übrigen wider jene ideologische Auffassung, die Hofmannsthals Arabella darin verfangen sehen will, nur untertan zu sein.
Marelli vertraut dem Wort, auch und gerade in seiner witzigen Variante, dem Spürsinn Hofmannsthals für Dramaturgie und dem Unsagbaren des menschlichen Gefühls, das einzig in der Klang- und Themenvielfalt des Komponisten zum Sagbaren wird. Das Ganze funktioniert, nicht nur dank der eingeblendeten Obertitel. Ein Teil der Sängerdarsteller ist textverständlich. So besonders die in jeder Beziehung großartige Überraschung des Abends, Nikola Hillebrand als Zdenka. Anfänglich als Jüngling, später in der Umwandlung zu dem jungen Mädchen, das sie auch wirklich ist.
Diese Arabella steigert sich zur Stunde der Soprane. Gibt Senator als Gast der Oper Bonn die Tochter des Rittmeisters mit technisch ausgereifter, höhensicherer und nuancenreicher Stimme, drückt doch Hillebrand der Aufführung ihren Stempel auf, wenn das Wortspiel nicht allzu robust ist, angesichts der Verletzlichkeit der Figur. Wie sich in Aber der Richtige wenns einen gibt auf dieser Welt im Schlussteil des zum Duett ausgreifenden Bravourstücks zusammen mit Senator Hillebrands Stimme in die steile Höhe einer souveränen Kopfstimme schraubt, ist große Virtuosität.
Giorgos Kanaris gibt den Mandryka, diesen Grobian vom Lande mit den angelernten feinen Umgangsformen, den ein diffuser Hauch von Provinzialität umgibt, mit Gefühl für den Part, doch sängerisch unerfüllt. Irgendwie scheint er sich in seiner Rolle nicht wohl zu fühlen, die die Beherrschung des eigentümlichen Parlando des Wiener Stils und das Kolorit slawischer Volksmelodien verlangt. Vor allem im tiefen Register erreicht seine Baritonstimme eine Grenze im Volumen, vermag er sich kaum gegen den vollen Orchesterklang zu behaupten.
Martin Tzonev ist als Graf Waldner eine solide Besetzung, der man die Leidenschaft zum Glücksspiel abnimmt, nicht aber seine Behauptung, ihm liege das Glück der beiden Töchter am Herzen. Ein frischer Matteo ist Martin Koch mit jugendlichem Tenor und einer Was-kostet-die-Welt-Attitüde. Er erinnert im besten Sinne an einen seiner Lehrer, an den Spieltenor Josef Protschka. Susanne Blattert trifft als gräfliche Ehefrau Adelaide den Charakter der loyalen und stets besorgten Ehefrau bestens. Laßt uns allein, euer Vater hat Sorgen, äußert sie im ersten Aufzug an die Adresse der Kinder. Ein Satz, der vieles aussagt in der Generation der Mütter, der Arabella – gefühlt, nicht ausgesprochen – nicht nacheifern will.
Foto © Thilo Beu
In ihrer jeweiligen Rolle als abgewiesene Ehekandidaten Arabellas machen Santiago Sánchez als Graf Elemer, Mark Morouse als Graf Dominik und Pavel Kudinov als Graf Lamoral gute Figur. Julia Bauer, die Sopranistin mit dem erstaunlichen Repertoirespektrum von Lulu über Ännchen bis zu Blonde, gibt die Fiakermilli mit jeder Menge Temperament, knallender Peitsche und mutigen Koloraturen. Sie sprüht von komödiantischem Talent und beweist ihr Talent für jede Revue oder Operette, die sich viele zu Silvester wünschen.
Mit dem Beethoven-Orchester Bonn gelingt Dirk Kaftan, dem musikalischen Leiter und Generalmusikdirektor, die Beherrschung der schwelgerischen Tonsprache des Komponisten recht passabel. Verlangt sie doch nicht weniger als die Synthese der bipolaren Gegenüberstellung zweier Tonwelten. Hier die laszive Frivolität und Walzerseligkeit der k.u.k-Metropole. Dort die naturverherrlichende Naivität, die sich in Mandrykas Beschwörung ländlicher Eichenwälder und Dörfer „voll reiner Luft“ manifestiert. Nicht ganz ersichtlich wird, warum Kaftan sein Orchester ständig unter erhöhter Betriebstemperatur hält. Gewiss, die Tempi sind straff und zügig, was der „entkitschten“ Konzeption bekommt. Die orchestrale Performance quasi am oberen Regler dagegen braucht das Stück nicht. Sie bekommt auch den Sängerdarstellern nur bedingt.
Das Publikum umjubelt alle Mitwirkenden minutenlang, eingeschlossen das Team dieser Inszenierung um Marelli. Um Nuancen am stärksten fällt dieser Jubel bei Hillebrand aus, gefolgt von Senator. Herzlicher Beifall auch für Yannick-Muriel Noah, eine der Säulen des Ensembles, die als Kartenaufschlägerin ankommt. Die Strauss-affine Neigung des Publikums erweist sich nicht zuletzt in dem Applaus, der dem Beethoven-Orchester Bonn und seinem Dirigenten gilt. Auch dem trefflichen Chor des Theater Bonn, einstudiert von Marco Medved.
Der Bonner Operndirektor Andreas K. W. Meyer stellt Arabella in den Kontext der neuen Reihe Fokus `33 – Forschungsreise zu den Ursachen von Verschwinden und Verbleiben. Mit diesem Projekt will das Theater Bonn Werke zur Diskussion stellen, „die nach 1933 oder ab 1945 aus den Spielplänen verstanden oder in diesem Zeitraum entstanden und erst danach überhaupt zur Uraufführung gelangten“. Als nächstes kommt Rolf Liebermanns Leonore 40/45, uraufgeführt 1952, auf die Bühne. Darüber wird zu berichten sein, noch in diesem Monat.
Ralf Siepmann