O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Eindrucksvoller Nachwuchs

LIEDER DER LIEBE
(Robert Schumann, Richard Wagner)

Besuch am
16. Januar 2022
(Einmalige Aufführung)

 

Kursaal Bad Bocklet

Es ist ein nasskalter, trüber Sonntag im Januar. Die Sonne versteckt sich hinter einem grauen Schleier aus Wolken, und in den unterfränkischen Kurort Bad Bocklet verirren sich um diese Zeit kaum Touristen, die meisten Cafés sind geschlossen. Und doch gibt es einige Menschen, die an diesem Nachmittag in den Kursaal strömen, viele davon Patienten des hiesigen Rehabilitationszentrums. Es ist ein Konzert angekündigt mit dem vielsagenden Titel Lieder der Liebe, dargeboten von Studenten der „lied!klasse“ der Hochschule für Musik in Würzburg. Am Ende ist der Kursaal voll, etwa 80 Zuschauer füllen den Raum, natürlich unter Einhaltung aller Vorschriften.

Die erste große Überraschung ist der Programmzettel, der auf den Stühlen ausliegt, denn in der Ankündigung des Konzertes war außer dem Programmtitel nichts über den Inhalt zu erfahren. Es ist ein äußerst ambitioniertes Programm, das sich die Studenten da vorgenommen haben. Der Hauptteil des Konzertes ist der Liederzyklus Myrthen, op. 25, von Robert Schumann, der von der Sopranistin Mechtild Söffler und dem Bariton Lorenz Schober vorgetragen wird, begleitet von Dmitrii Zhovkovskii am Blüthner-Flügel. Der Zyklus besteht aus 26 einzelnen Liedern und wird bei diesem Konzert in zwei Teilen dargeboten. Erweckt diese Programmankündigung die Neugier und Vorfreude, versetzt der zweite Teil den geneigten Zuhörer in Erstaunen. Richard Wagners Wesendonck-Lieder als musikalisches Intermezzo zwischen den beiden Myrthen-Teilen. Dieser kleine Zyklus von 5 Liedern, die normalerweise mit Orchesterbegleitung dargeboten werden, erklingt hier von der Sopranistin Xinxin Zhao, am Flügel begleitet von Jieun Baek. Diesem Opus widmen sich meist erfahrene Wagner-Interpreten, denn neben einer ausgereiften Gesangstechnik kommt es, wie auch bei allen anderen Liedern, auf den Ausdruck an. Große Sängerinnen haben diese Lieder verewigt, allen voran die unvergessene Jessy Norman. Ganz aktuell gibt es eine berührende Neueinspielung, live von den Salzburger Festspielen 2020 mit Elīna Garanča und den Wiener Philharmonikern unter Christian Thielemann. Sich als Studentin an einen derartigen Zyklus zu wagen, erfordert viel Mut und Selbstvertrauen, verbunden mit einem nicht unerheblichen Risiko, dass die Darbietung „in die Hose gehen kann“. Doch der Reihe nach.

Die „lied!klasse“ der HfM Würzburg präsentiert in themenbezogenen Liedkonzerten das besonders anspruchsvolle Genre des Kunstliedes. Studenten des Studiengangs Liedgestaltung, Sänger sowie interessierte Pianisten widmen sich sowohl den klassischen deutsch­sprachigen Kompositionen von Franz Schubert bis Arnold Schönberg als auch den Liedern französischer, englischer und anderer Komponisten sowie zeitgenössischen Liedwerken. Die künstlerische Leitung der Veranstaltungen liegt in den Händen der Pianisten Gerold Huber und Alexander Fleischer. Und da schließt sich ein erster Kreis. Nicht nur, dass Huber seit 2013 Professor für Liedbegleitung an der Hochschule für Musik Würzburg ist, er hat auch mit dem Bariton Christian Gerhaher und der Sopranistin Camilla Tilling alle Lieder von Robert Schumann eingespielt, ein unglaubliches Werk, das da in den letzten Jahren erarbeitet wurde. Natürlich ist in dieser Gesamtausgabe auch der Zyklus Myrthen enthalten.

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Die Entstehung der Myrthen fällt in Schumanns „Liederjahr“ 1840. Als erstes Lied notiert er am 23. Januar in sein Berliner Liederbuch die erste Fassung der Heine-Vertonung Du bist wie eine Blume, die spätere Nr. 24, anschließend noch ungeordnet weitere Lieder, die später die Grundlage mehrerer Liederzyklen bilden. Erst nachdem im Frühjahr 1840 die überwiegende Mehrzahl der Lieder skizziert oder komponiert war, begann Schumann, Überlegungen zur zyklischen Zusammenstellung nicht nur der Myrthen, sondern auch des Liederkreises op. 39 anzustellen.  Am 7. März 1840 trägt Schumann seinem Verleger Kistner die Idee an, die Myrthen als „Brautgeschenk“ in Form eines „Liedercyklus‘ in vier Heften“ zu veröffentlichen. Nachdem schließlich das Gericht Clara und Robert am 1. August 1840 nach langem Rechtsstreit mit dem Brautvater Friedrich Wieck die Erlaubnis zur Eheschließung gegeben hatte, konnte Schumann am Vorabend ihrer Hochzeit Clara ein opulent ausgestattetes Exemplar des Erstdrucks der Myrthen überreichen. Die Zueignung „Meiner geliebten Braut“ verweist allerdings neben dem privaten Anlass auch auf eine Öffentlichkeit, der auf diese Weise das Ende des Rechtsstreites mitgeteilt wird. Und die Widmung ist auch der Titel des ersten Liedes des Zyklus, neben der Lotusblume wohl das bekannteste Lied des Opus.

Mechtild Söffler eröffnet den Zyklus mit der Widmung, und nach den ersten Tönen wird schon klar, dass dieses Konzert etwas Besonderes werden wird. Die junge Sopranistin sang schon ganz früh in der Mädchen- und später der Domkantorei am Bamberger Dom. Nach dem Studium des Lehramts für Grundschule mit Musik befindet sie sich nun im dritten Semester des künstlerischen Gesangsstudiums im Bachelor bei Jochen Kupfer. Löffler verfügt über einen leichten Sopran, der in den Höhen schön und klar erklingt, aber auch über ein gutes Fundament und eine stabile Mittellage. Gerade beim Liedgesang ist sowohl die Textverständlichkeit als auch der Ausdruck ausschlaggebend für die Wirkung. Und nach anfänglicher Nervosität zeigt Söffler, dass sie mit ihrer Stimme spielen kann, dass sie das, was sie vorträgt, in diesem Moment auch lebt. Sehr gefühlsbetont interpretiert sie das Lied der Suleika, um mit dem nächsten Lied Die Hochländerwitwe Ansätze von dramatischen Ausbrüchen zu formulieren. Besonders gut gelingen ihr die beiden Lieder der Braut, die stilistisch sehr eng mit dem Zyklus Frauenliebe und -leben, op. 42 von Robert Schumann verwandt ist, ebenfalls wie die Myrthen 1840 komponiert. Söffler hat schon die Fähigkeit, die gefühlsbetonten Anteile der Lieder herauszuarbeiten, ohne dabei aber in Gefühlsduselei abzudriften. Auch die sehr romantischen Anteile haben ihre eigene Farbe, und die große Kunst ist es, bei einem derartigen Zyklus von ganz unterschiedlichen Themen nicht in einen gesanglichen Einheitsbrei zu verfallen, sondern jedes Lied akzentuiert und mit vielen Farben zu gestalten. Mit des Hochländers Wiegenlied beendet Löffler sehr zart diesen ersten Teil des Myrthen-Zyklus, der von Dmitrii Zhovkovskii sehr gefühlvoll begleitet wird. Lorenz Schober, der vor dem Konzert mit einer kurzen Ansprache das Publikum begrüßt, lässt direkt mit dem zweiten Lied des Zyklus, Freisinn, aufhorchen. Der junge Bariton verfügt über ein edles Timbre, was ihm bei der Liedgestaltung und im Ausdruck sehr entgegenkommt. Und von Nervosität ist bei dem jungen Burschen überhaupt nichts zu spüren. Wie ein alter Hase, mit viel Spielwitz und immer einem Lächeln auf den Lippen erobert er sehr schnell das Publikum, dem die frische Darbietung gut gefällt. Neben einer sauberen Deklamation ist auch bei ihm die Textverständlichkeit zu loben, auf die er wie Söffler viel Wert legt. Das gelingt ihm im ersten Teil besonders bei Hochländers Abschied ausgesprochen gut. Der erst 21-jährige Bariton erhielt bereits im Alter von fünf Jahren Klavier- und Geigenunterricht. Mit der Ausbildung zum C-Kirchenmusiker nahm er ab 2015 Orgelunterricht und sammelte erste Chorerfahrung im Heinrich-Schütz-Ensemble Vornbach. Seit 2019 ist Schober Mitglied in der Capella Cathedralis des Passauer Doms. Nach dem PreCollege für Gesang ist Schober nun im Bachelorstudium Gesang und wird dabei künstlerisch wie auch Söffler von Jochen Kupfer betreut. Dass Kupfer nicht nur ein guter Lehrer, sondern vor allem ein großer Lied- und Oratoriensänger ist, hat er erst vor wenigen Tagen in Nürnberg mit der Partie des Erzengels Raphael in Haydns Schöpfung unter Beweis gestellt.

Bevor es dann in eine Pause geht, stehen noch die Wesendonck-Lieder auf dem Programm, auf deren Darbietung man besonders gespannt sein durfte. Die Wesendonck-Lieder sind ein Liederzyklus von Richard Wagner nach Gedichten von Mathilde Wesendonck. Die Fünf Gedichte für Frauenstimme und Klavier entstanden in den Jahren 1857 und 1858. Wagner lebte ab 1852 in seinem Schweizer Exil in Zürich und fand in Wesendonck eine Muse, deren Mann Otto ihn finanziell und ideell unterstützte. Dem Verhältnis der beiden stand allerdings auf der einen Seite Mathildes Ehemann und auf der anderen Seite Wagners damalige Ehefrau, Minna, im Wege, so dass sich eine wirkliche Liebesbeziehung nicht entwickeln konnte. Das Verhältnis bestand bis zum plötzlichen Ende, als Minna einen Brief Wagners an Mathilde abfing und einen Bruch provozierte, vor allem in unerfüllter Sehnsucht zueinander, was sich in Wagners Oper Tristan und Isolde widerspiegelt. Zwei Lieder aus diesem Zyklus bezeichnete Wagner ausdrücklich als Studien zu Tristan und Isolde – Im Treibhaus und Träume.

Wagner hat die Wesendonck-Lieder für eine Frauenstimme und Klavier komponiert. Das Lied Träume instrumentierte er selbst im Dezember 1857 für Solovioline und kleines Orchester. Felix Mottl schuf die Instrumentation des Zyklus für großes Orchester, wobei er für Träume die erwähnte Bearbeitung Wagners übernahm.

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Die junge Sopranistin Xinxin Zhao ist erst seit drei Jahren in Deutschland. Zunächst studierte sie Operngesang im Bachelor an der Hochschule für Musik Shanghai. Seit 2018 studiert sie bei Cheryl Studer im Master Operngesang und momentan Liedgestaltung bei Gerold Huber und Alexander Fleischer, und sie hat in jungen Jahren schon an diversen Meisterkursen teilgenommen. Partien wie die Gräfin in Mozarts Le nozze de Figaro, Donna Elvira oder Liu in Puccinis Turandot gehören schon zu ihrem Repertoire. Und sie verblüfft vom ersten Ton an mit einer für ihr Alter und für den Stand der Ausbildung erstaunlich reifen Stimme, mit einer kräftigen Mittellage und schon jugendlich-dramatischen Höhen. Auch sie weiß durch ihren gesanglichen Ausdruck, durch eine saubere Deklamation und eine sehr gute Textverständlichkeit zu überzeugen. Auch sie kann mit der Stimme spielen, weiß Farben und Phrasierungen gut einzusetzen, was ihr vor allem im vierten Lied Schmerzen wunderbar gelingt. Sie wird bei ihrem Vortrag von Jieun Baek sehr gefühlvoll begleitet. Das letzte Lied Träume, dass dieselbe Einleitung hat wie im Tristan das O sink hernieder Nacht der Liebe, wird von Zhao sehr lyrisch und verträumt dargeboten. Es ist erstaunlich, ja, fast unglaublich, wie diese junge Sopranistin das Meisterwerk darbietet. Man kann nur hoffen, dass Sie nicht zu früh in diesem Fach beginnt und ihr gutes Material langsam auf- und ausbaut. Wen ihr das gelingt, dann kann sie vielleicht eines Tages auch O sink hernieder auf der Bühne singen.

Nach der Pause geht es dann mit dem zweiten Teil von Schumanns Myrthen-Zyklus weiter. Hier hat Schober den größeren Part zu bewältigen, und wie schon im ersten Teil überzeugt er mit wohlklingendem Timbre, mit schönen Phrasierungen, aber auch mit sehr ausdrucksstarker Deklamation, fast schon dramatisch im Hauptmanns Weib. Schober kann sehr gut spielen, setzt auch Mimik und Gestik für die Ausdrucksgestaltung sehr gekonnt ein, wie im Lied Niemand. Fast schon schwermütig klingt seine letzte Darbietung, Aus den östlichen Rosen. Söffler beginnt den zweiten Teil mit einem sehr melancholischen Vortrag Aus den Hebräischen Gesängen, und diese Melancholie kommt insbesondere in dem Lied Nr. 21 Was will die einsame Träne zur Geltung, mit einem traurigen Hauch auf der Stimme. Zum Schluss, dem letzten Lied des Zyklus‘, verabschiedet sich Söffler mit sehr viel Gefühl und Schöngesang.

Es gibt langanhaltenden Applaus für diese überzeugende, durchaus begeisternde Darbietung der jungen Künstler. Im anschließenden Gespräch erzählt Söffler, dass ihr das erste Lied des Zyklus, Widmung, so gut gefallen hat, dass sie auf den Gedanken kam, den ganzen Zyklus einzustudieren und aufzuführen, und hat in ihrem Studienkollegen Schober den idealen Partner gefunden. Auf die Frage nach ihrer Traumpartie überrascht Söffler erneut. Es ist das Pie Jesu aus Gabriel Faurés Requiem. Und auch Schober, der seine Zukunft in der Barockmusik und in Oratorien sieht, hat eine ganz besondere Arie, die er gerne mal singen möchte: Fecit potentiam aus dem Magnificat von Carl Philipp Emanuel Bach. Es bleibt den jungen Künstlern nur zu wünschen, dass sie ihren Weg trotz aller Schwierigkeiten, insbesondere in den heutigen Zeiten, gehen und ihre Kunst, egal ob Gesang oder Klavier, ausüben können, um den Menschen Momente des Glücks und des Genusses zu bieten. Die Zuschauer jedenfalls, die sich derzeit als Patienten in Bad Bocklet aufhalten, können für gut anderthalb Stunden ihre Beschwerden vergessen und mit neuem Schwung in den kalten und trüben Alltag zurückkehren.

Andreas H. Hölscher