O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Sabine Hahnefeld

Aktuelle Aufführungen

Zwischen Oper und Musical

THE PRISONER OF THE STATE
(David Lang)

Besuch am
17. Mai 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Anneliese-Brost Musikforum Ruhr, Bochum

Es ist schon eine sehr amerikanische Angelegenheit, David Langs musiktheatralische Reflektion auf Ludwig van Beethovens Freiheitsoper Fidelio. Prisoner of the State nennt der Pulitzer-Preisträger seine 70-minütige Version, die vor vier Jahren in New York uraufgeführt und jetzt im Rahmen einer kleinen Europa-Tournee als deutsche Erstaufführung im gut besuchten Bochumer Anneliese-Brost-Musikforum gezeigt wird.

Dabei gibt es ein Wiedersehen mit Steven Sloane am Pult der Bochumer Symphoniker, die er bis 2021 27 lange und erfolgreiche Jahre als Generalmusikdirektor leitete. Musikalisch präsentiert sich Langs Kreation als eine geschickte und durchaus effektvolle Melange unterschiedlicher Ausdrucksformen, wie man sie aus moderat modernen Opern und Musicals Amerikas gewohnt ist. Minimalistisches Füllmaterial, vitale Chor- und Tanzauftritte, dazu einige noch erträgliche Prisen an Pathos und Sentimentalität mischt Lang zu einer hörens- und sehenswerten Freiheits-Revue.

Die Motivation Langs, die Oper des von ihm hoch verehrten Beethoven überhaupt musikalisch und szenisch um- oder neu deuten zu wollen, zieht er aus einem Problem, das bereits Beethoven umtrieb und der es trotz mehrerer Umarbeitungen auch nicht zu seiner Zufriedenheit lösen konnte. Nämlich die enge Fokussierung des Librettos auf die „Gattenliebe“ und damit auf den Befreiungsakt eines Menschen. Eine private Perspektive, die für Beethovens Vision von der Befreiung der ganzen Menschheit natürlich viel zu kurz greift. Lang eliminiert die Nebenhandlung der privaten Liebesgeschichte von Jaquino und Marzelline restlos und konzentriert sich auf das Schicksal der Gefangenen, wobei er dem Handlungsfaden der Beethoven-Fassungen treu bleibt. Allerdings nimmt Lang den Protagonisten ihre Namen, um die Allgemeingültigkeit der Botschaft zu unterstreichen.

Foto © Sabine Hahnefeld

Ihr Handeln bleibt aber davon unberührt. So das geschickte Taktieren Leonores, des „Assistenten“, um ihren politisch verfolgten Mann retten zu können, der „Gefängniswärter“ Rocco liebt das Gold, hat aber noch nicht alle moralischen Skrupel über Bord geworfen und der böse „Gouverneur“ Pizarro bleibt der harte Despot, der lieber gefürchtet als geliebt werden möchte. Gerade ihm widmet Lang anspruchsvolle Arien, die allerdings sanfter und reflektierter klingen als seine Worte. Die Gefangenenchöre erhalten dagegen stärkeres und rhythmisch härteres Profil. Mit einem hymnenartigen Schlusschor übertüncht Lang die Skepsis über die globale Auswirkung des Freiheitskampfes, die er seinen Protagonisten zuvor noch in den Mund legt. Die Quadratur des Kreises, die nahtlose Verknüpfung des privaten Befreiungsakts mit einer universalen Utopie, gelingt auch Lang nicht. Dafür hätte er sich konsequenter oder, besser noch, völlig von den alten Vorlagen trennen müssen.

Die szenischen Möglichkeiten im Anneliese-Brost-Musikforum sind begrenzt. Regisseurin Elkhanah Pulitzer grenzt den Bühnenhintergrund mit einer transparenten Stellwand ab, hinter der die Gefangenen sichtbar werden und ihren Freiheitsdrang mit kraftvollen Gesten und Tanzeinlagen unterstreichen. Allerdings wird der Blick durch das davor postierte Orchester stark eingeschränkt. Ein Gang teilt das Orchester, den die Protagonisten für ihre Auftritte an der Rampe nutzen. Das alles ist handwerklich professionell ausgeführt, teilweise, etwa die brutalen Aktionen der Wächter, auch ein wenig klischeehaft.

Gleichwohl eine interessante Arbeit, auch wenn die englisch gesungenen Texte ohne Übertitel das Verständnis mancher Feinheit nicht erleichtern. Dafür hat man ein imposantes Solistenquartett aufgeboten mit der ebenso sensiblen wie selbstbewusst auftretenden „Assistentin“ alias Leonore durch Claron MacFadden. Als beeindruckender Charaktertenor gefällt Alan Oke als Gouverneur, als charismatischer Gefängniswärter der Bass-Bariton Davóne Tines und in der passiven Rolle des „Gefangenen“ der Bariton Michael Wilmering.

Wirkungsvoll singen und agieren die Herren des Flämischen Rundfunkchors, und Steven Sloane sorgt mit den Bochumer Symphonikern für einen farbigen Orchestersound.

Viel Beifall für die deutsche Premiere eines kurzweiligen Beitrags amerikanischen Musiktheaters, bevor die Truppe noch in der Nacht nach Rotterdam weiterzieht.

Pedro Obiera