O-Ton

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Aktuelle Aufführungen

Ein Krieg und kein Frieden

MAZEPPA
(Piotr Iljitsch Tschaikowski)

Besuch am
25. Februar 2022
(Premiere)

 

Theater Orchester Biel Solothurn, Biel

Selten ist Oper so brisant wie jetzt die Aufführungen von Tschaikowskis Opus Mazeppa von Theater Orchester Biel Solothurn. Im Zentrum der Handlung nach dem Gedicht von Alexander Puschkin steht ein Liebespaar, doch es herrscht Krieg und es geht um die Unabhängigkeit der Ukraine zu Zeiten des Zaren Peter I. Für die packende Inszenierung zeichnet Hausherr Dieter Kaegi verantwortlich, und er schart ein auserlesenes Solisten-Ensemble um sich. Yannis Pouspourikas gelingt mit der Sinfonie Biel Solothurn ein funkensprühendes Dirigat.

Das Stadttheater von Biel ist in die Farben Blau und Gelb der ukrainischen Nationalflagge getaucht. Wer die brutale Geschichte vom gefallenen Kriegshelden kennt, der die Ukraine zusammen mit den Schweden vom russischen Zaren befreien will, dem ist aus aktuellem Anlass vielleicht etwas mulmig zumute. Bevor Tschaikowskis Werk mit dem Libretto von Viktor Burenin beginnt, hält Tobs-Intendant Dieter Kaegi eine kurze Ansprache, Anlass ist der Krieg in Europa. Man muss wissen: Im Orchestergraben sitzen Musiker aus der Ukraine und auf der Bühne stehen Sänger aus Russland. Am Schluss wird sich weisen, dass Musik selbst in dunklen Zeiten völkerverbindend ist.

Zum Anfang: Mazeppa ist eine historische Figur, die im 17. Jahrhundert in der polnischen Ukraine geboren wurde. Der spätere Hetman kämpft zuerst im Dienst des Zaren, ändert dann aber seine Gesinnung und will mit dem Schwedenkönig Karl XII. die Ukraine in die Unabhängigkeit führen. Ohne Erfolg! Die Oper, die 1884 im Bolschoi-Theater in Moskau uraufgeführt wurde, fokussiert auf Mazeppas Liebesleben mit der jüngeren Maria, seiner Patentochter. Die Eltern sind gegen diese schändliche Verbindung, trotzdem entscheidet sich Maria für den stattlichen Militär.

Kotschubej, der vermögende Vater Marias, legt Mazeppas Revolutionsabsichten gegen den Zaren offen. Das hat Konsequenzen. Sein Schwiegersohn lässt ihn daraufhin foltern und mit seinem Vertrauten Iskra hinrichten. Kotschubejs Frau Ljubov versucht ihren Mann vergebens mit Hilfe der Tochter zu retten, doch es ist zu spät. Machtlos muss Maria im Verlaufe dieser blutigen Auseinandersetzungen mitansehen, wie auch noch ihre verschmähte Jugendliebe Andrej erschossen wird. Die junge Frau verfällt am Ende dem Wahnsinn, Mazeppa flüchtet ins Exil.

Dem in den Klassik-Disziplinen Ballett, Solokonzerten und Oper geeichten Peter Iljitsch Tschaikowski rutschte seine viertletzte Oper nicht leicht von der Hand, er schrieb ganze drei Jahre am Werk. Zu hören ist davon nichts. Es zieht sich ein unerwartet martialischer Grundteppich durch die Partitur, in der der Komponist den Krieg mit all seinen Grausamkeiten nahezu veristisch vertont. Im Gegensatz zu seinem Erfolg Eugen Onegin ist Mazeppa weitgehend durchkomponiert und entwickelt dadurch einen ungeheuren Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Trotzdem schafft es Tschaikowski behände, folkloristische wie leise Töne einzuflechten und selbst einen Haudegen wie Mazeppa als ambivalente und innerlich zerrissene Figur erscheinen zu lassen.

Dieter Kaegi hat schon mit seiner Anschauung von Bartóks Blaubart, in der er die Entführung von Natasha Kampusch thematisiert, dargelegt, dass er sein Publikum nicht schont. So ist es auch bei Mazeppa mit der Ausstattung von Dirk Hofacker. Seine Regie zeigt Krieg und Folter gnadenlos auf, den Soundtrack dazu liefert ihm der russische Komponist. Am Anfang ist das Laufen über glühende Kohlen noch ein Spiel, doch es wird zur bitteren Realität. Die Szene im Folterkeller, wo Orlik Marias Vater eine Nacht der Schmerzen bereitet, ist nichts für schwache Nerven. Und wo einst ein Birkenhain stand, sieht man im letzten dritten Akt nur noch verbrannte Erde und flüchtende Menschen. Mario Bösemann am Licht schafft beklemmende Momente. Die Geschichte ist in den 1950-er Jahren angesiedelt, während der Zeit des Kalten Krieges, und der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine dauert bis heute an.

Die Wucht dieser Oper geht in Mark und Bein, das gleiche gilt für den Gesang in Biel. Was man hier hört, hat Scala-Dimension. Viele der Solisten singen an großen Häusern. Eine derart schiere Kraft, die sich eins zu eins ins authentische Spiel der Protagonisten fügt, hört man selten. Ein Erdbeben. Das hat zur Folge, dass im beschaulichen Stadttheater oft die Wände vibrieren und einen der schiere Impetus in die Sitzpolster presst. Aleksei Isaev ist mit seinem stimmlichen Volumen und seiner männlichen Statur als Mazeppa ein brummender Bär, den man nicht reizen sollte. Askar Abdrazakov hält als gedemütigter Kotschubej mit seinem warmen Bass wacker dagegen. Heldentenorartige Höhen und edle Gesangslinien kommen von Igor Morozov als Marias unglücklich verliebter Andrej.

Eugenia Dushina meistert ihre anspruchsvolle Rolle als Maria mühelos. Die Sopranistin ist in den Spitzentönen sicher und transparent. Den Wahnsinn am Ende, wenn auch überzeichnet, nimmt man ihr ab. Nach dem Donnergrollen aus dem Graben wird man mit einem der schönsten Wiegenlieder der Operngeschichte belohnt. Maria singt es lupenrein im Piano für Andrej, der tot in ihren Armen liegt – ein Wiegenlied für eine Leiche. Bestens besetzt ist auch die Partie der Ljubov mit Jordanka Milkova als verzweifelte Mutter. Die lodernde Glut in ihrem Mezzosopran ist die einer Azucena aus Verdis Trovatore. Javid Samadov ist der Kerkermeister Iskra, der in seiner ledernen Uniform einem Tarantino-Film entsprungen sein könnte. Sein Bariton wirkt in dieser Rolle furchteinflößend.

Der Chor unter Valentin Vassilev strotzt vor Agilität und hat Kraft. Yannis Pouspourikas, der zukünftige Chefdirigent des Sinfonieorchesters Biel Solothurn, reizt die Orchesterszenen genüsslich aus und er hat auch die Tempi bis zum letzten Takt im Griff. Die satten Bässe rauschen durch den Saal, dazu gesellen sich flirrende Streicher, akkurate Bläser und dröhnendes Blech. Es ist ein ausgesprochen opulenter und prachtvoller Klangkörper, der förmlich nach mehr Raum schreit. Nach den letzten leisen Tönen, die die Oper ausklingen lassen, müssen sich die Premierengäste erstmal sammeln, bevor sie zu großem Jubel und Rhythmusklatschen ansetzen.

Peter Wäch