O-Ton

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Aktuelle Aufführungen

Im Bann von Cio-Cio-San

MADAMA BUTTERFLY
(Giacomo Puccini)

Besuch am
8. Februar 2019
(Premiere)

 

Theater Orchester Biel Solothurn, Theater Nebìa, Biel

Man reibt sich etwas verwundert die Augen. Die Stadt Biel hat ein altes Kino zu einem stattlichen Theatersaal inklusive Orchestergraben umgebaut, und die Regie nutzt den Bühnenraum nur reduziert. Gut, die Produktion geht auf Tournee und macht auch in kleineren Theatern Halt. Man hätte dem routinierten Team bezüglich Platzverhältnisse jedoch eine pragmatischere Lösung zugetraut als ein starres Konstrukt, das die Ausweglosigkeit der Protagonistin betont.

Regisseur Louis Désiré und sein Bühnen- wie Kostümbildner Diego Méndez-Casariego sperren die blutjunge Geisha Cio-Cio-San in eine Kartonschachtel, so wie man früher Schmetterlinge ihrer Freiheit beraubt hat. Der Fingerzeig macht von Anfang an eines deutlich: Viel Luft zum Atmen bleibt in diesem Gefängnis nicht. Ein klarer Hinweis ist auch die riesige Puppe in der papiernen Box, die im ersten Akt noch ein schönes Ebenbild der jungen Frau symbolisiert und im weiteren Verlauf des Puccini-Opus als gebrochene Marionette am Boden liegt. Nach kurzer Zeit verpuffen diese Ansätze allerdings. Metaphern taugen in der Regel für einen Moment und sollten nicht überstrapaziert werden.

POINTS OF HONOR

Musik



Gesang



Regie



Bühne



Publikum



Chat-Faktor



Die Kostüme von Diego Méndez-Casariego sind asketisch-ästhetisch und illustrieren ein Japan, das gestern, heute oder morgen stattfinden könnte. Cio-Cio-San trägt jungfräuliches Weiß, bei den übrigen Darstellern inklusive Chor dominiert schlichtes Schwarz. Die japanische Tradition ist stilisiert und schimmert unaufdringlich durch. Unverkennbar amerikanisch ist das Outfit von Mister Pinkerton, dem Offizier, der kein Gentleman ist. Das stolze Sternenbanner kommt gleich verschiedentlich zum Einsatz. Es ist aber vor allem eine Wetterfahne, die Sturm ankündigt. Mario Bösemann ist ein Meister am Schweinwerfer. Mit punktgenauen Effekten gibt er diesem Kammerspiel die nötige Intimität. Bösemanns Flirt mit Licht und Schatten ist differenziert. Es gelingen ihm beeindruckende Close-Ups, wenn er die Darsteller mittels Spot in ihrer Zerbrechlichkeit bloßstellt.

Das Theater Nebia, das 520 Plätze umfasst und nahe beim Bieler Bahnhof liegt, wird zum ersten Mal mit großer Oper eingeweiht. Désirés minimalistische Lesart erweist sich mit seinen Feinheiten als stimmiger Schauplatz für die Tragödie. Auch wenn die Protagonisten einen Tick zu oft auf dem Bänkchen vor der Pappschachtel Platz nehmen und ihre Arien und Duette schmettern, sind es immer wieder subtile Deutungen, die einen gefangen nehmen. Die Personenführung ist nuanciert und verzichtet bewusst auf theatralische Gesten. Louis Désiré gelingen für diesen sogvollen Dreiakter, der 1904 an der Scala uraufgeführt wurde, individuelle Rollenzeichnungen. Jeder Charakter scheint hier in seinem eigenen kleinen Käfig zu sitzen. Elektrizität liegt in der Luft, wenn das Drama unerbittlich seinen Lauf nimmt.

Es ist im Schweizer Mittelland, zu dem die Städte Bern und Biel gehören, kein Geheimnis, dass der Verbund Theater Orchester Biel Solothurn den Riesen Konzert-Theater Bern aus der Hauptstadt in punkto Programmgestaltung und einzelner Solistenleistungen immer wieder in die Schranken verweist. TOBS, so die Kurzform, ist derzeit das kulturelle Flaggschiff im Kanton Bern, wenn es um die Sparte Musiktheater geht. Das liegt auch daran, dass es Intendant Dieter Kaegi stets von neuem gelingt, großartige Stimmen und Nachwuchskünstler nach Biel und Solothurn zu lotsen. Für einige dieser jungen Sänger und Sängerinnen ist es ein Sprungbrett für eine Opernkarriere.

Das ist bei Puccinis gefühlsintensivem Meisterwerk Madama Butterfly im Nebia nicht anders. Hier kommt ein Ensemble auf Top-Niveau zusammen und eine Sopranistin singt sich in der Titelpartie schnurstracks an die Spitze. Hye Myung Kangs Rollengestaltung als gedemütigte Japanerin, die erst von der Familie und dann von ihrem Scheingatten verlassen wird, ist darstellerisch wie gesanglich ein Hochgenuss. In dieser Stimme ist nicht nur alles angelegt, was ein charismatisches Gesangstalent ausmacht, es ist auch schon viel davon in voller Blüte. Kang gelingen die farbenreichen Schattierungen ebenso wie die strahlenden Gesangsbögen, mit denen Puccini die Affekte auf die Spitze treibt. Ihr Forte ist unangestrengt, und das Volumen beachtlich. Kang sorgt auch in der Reduktion für Gänsehaut-Momente. Ihre Phrasierungen sind meisterhaft. Das weite Spektrum an Puccinis Gefühlswelten bringt die Sopranistin nicht nur stimmlich zum Tragen, sie berührt im selben Maß mit einem facettenreichen Spiel, das tüchtig in die Knochen fährt und zu Tränen rührt.

Hye Myung Kang wird in Biel von einem starken Ensemble flankiert, allen voran von Rodrigo Porras Garulo als windigem Militär Benjamin Pinkerton. Sein Tenor hat eine luzide Strahlkraft, die nicht nur für die große Show taugt. Das Timbre in seiner geschmeidigen Stimme macht seine Dynamik zusätzlich verführerisch. Garulo gibt seinem Antihelden Tiefe, weil er ihn als vielschichtige Persönlichkeit zeichnet, die auch ihre sensiblen Seiten hat. Leonardo Galeazzi findet mit seinem Bariton als Sharpless zu sonorer Grandezza, und auch er überzeugt im Schauspiel als hilfloser Beschützer einer zutiefst verletzten Seele. Sunghee Shin gestaltet ihre Rolle als Dienerin Suzuki mit großer Sorgfalt für Mimik und Gestik. Ihr bernsteinfarbener Mezzosopran ist wie das sanfte Brummen einer Bienenkolonie. Die Nebenrollen sind auf gutem Niveau besetzt, und der Chor unter Valentin Vassilev geht vollends auf in diesem Orientalismus italienischer Prägung.

Das Orchester Biel Solothurn unter dem kraft- und saftvollen Dirigat von Manilo Benzi bietet einen Puccini in Reinkultur. Von den ersten Takten einer Fuge bis hin zum brachialen Schlussakkord bleibt der Klangkörper transparent und spannungsgeladen. Flöten und Piccolo blitzen frech auf, und die Wirbel beim Schlagzeug sind eindringlich. Die Blechbläser klingen mal fordernd, mal majestätisch, und die Streicher flirren im Forte wie eine aufgepeitschte See. Gegen Ende der Oper lässt es Benzi manchmal arg laut krachen, als gingen ihm bei dieser Glanzleistung etwas die Pferde durch. Die Premierengäste feiern diesen energetischen Abend mit Rhythmusklatschen und Jubelrufen.

Peter Wäch