O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Florian Spring

Aktuelle Aufführungen

Unter dem Eis brennt das Feuer

JENŮFA
(Leoš Janáček)

Besuch am
15. Juni 2021
(Premiere am 29. Juni 2018)

 

Konzert Theater Bern

Eine kühle Betonwand, Protagonisten mit Porzellanmasken, dazu noch stilisierte Folklore, die ein abgelegenes Landidyll in Tschechien und die dortigen Trachten sublim karikiert. Der Gedanke regt sich schnell, dass es nun die berühmten zwei Stunden vor, hinter und neben einer Wand gibt. Ausgeliefert und die Pausenglocke herbeisehnend. Doch weit gefehlt! Bereits nach fünf Minuten wird klar: Das wird spannungsgeladenes wie tiefschürfendes Musiktheater. Regisseurin Eva-Maria Höckmayr und ihre Ausstatterin Julia Rösler erzählen die Bauerntragödie ganz ohne Schnickschnack und konzentrieren sich mit ihrer konzisen Arbeit für Leoš Janáčeks 1904 uraufgeführtes Opus Jenůfa auf das zunehmend zerrüttete Seelenleben der vier Hauptcharaktere.

Die rurale Gemeinschaft, in der das Drama um Liebe, Zurückweisung und Verrat seinen unheilvollen Lauf nimmt, ist in der entrümpelten, kühlen Lesart kein mährisches Dorf um 1900, sondern lediglich ein Echo einer vergangenen Zeit. Die Thematik um eine Kindstötung könnte sich genauso gut im Hier und Jetzt abspielen. Höckmayr präsentiert eine schlüssige Personenführung, die sich noch dadurch verstärkt, dass einzig die Figuren agieren, die etwas zu sagen respektive zu singen haben. Maskenbefreit notabene. Die anderen Gestalten verharren mit ihrer Larve im Freeze in einer Art Schockstarre – den schaurigen Lauf der Dinge vorausahnend. Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Die Sitten und Gebräuche dieser eingeschworenen Eintracht mit ihren lebensfeindlichen Zwängen sind evident. Christian Aufderstroth am Licht schafft dazu die passende Stimmung, in dem er den Raum selten verdunkelt, sondern die Akteure ausleuchtet und somit auch bloßstellt.

Janáček schrieb das Libretto nach dem Schauspiel Ihre Ziehtochter von Gabriela Preissová. Um diese Ziehmutter, die Küsterin Buryjovka, dreht sich das todbringende Trauerspiel. Sie ist es, die ihre anvertraute Ziehtochter vor der Schmach einer verschmähten Mutter bewahren will und darum deren uneheliches Kind unter das Eis eines Bachs legt.

Es ist auch der Abend der Mezzosopranistin Claude Eichenberger, die ihre Rolle mit darstellerischer Wucht und ebenso stimmlicher Kraft meistert. Die Künstlerin, die den Part der Küsterin anlässlich einer konzertanten Matinee Ende Januar 2021 im Concertgebouw in Amsterdam gab, gestaltet ihre Rolle bei Konzert Theater Bern mit einer Intensität, die unter die Haut geht und einen gefangen nimmt. Es ist das intime Porträt einer Frau, die ihren moralischen Impetus wie einen Schutzschild vor sich trägt, damit sie ihre Verletzlichkeit nicht preisgeben muss. Claude Eichenberger changiert mit ihrer Stimme vom vokalen Ausbruch als Akt der Verzweiflung bis hin zu dunklen Schattierungen in der Tiefe. Ihr Stimmumfang ist beeindruckend, was die Sängerin schon wiederholt mit Wagner-Partien unter Beweis gestellt hat.

Johanni van Ostrum als Jenůfa ist die ideale Sparringpartnerin für Eichenberger. Die Sopranistin singt an bekannten Häusern in Europa und ist mit den großen Partien aus dem 20. Jahrhundert bestens vertraut. Van Ostrums ausdrucksvoller Sopran bleibt auch im Forte differenziert, und sie verfügt gleichzeitig über eine eindrückliche Mittellage mit sonoren Tiefentauchern. Ihr Spiel ist weder aufgesetzt noch manieriert, was die Titelfigur vielmehr zu einer starken Frau macht als zu einer schicksalergebenen Figur.

Besonders hervorzuheben ist Beau Gibson in der Rolle des Laca, einem etwas ungeschickten Zeitgenossen, der am Ende doch noch sein großes Glück findet. Gibson verleiht seiner Partie vor allem mit seinem klaren, hellen Tenor Strahlkraft, während das Spiel weniger nuanciert bleibt. Die Melodiebögen glänzen, und da ist auch ein zarter Schmelz, der durchschimmert. Nazariy Sadivskyy singt seinen Števa sicher und mit kerniger Note, kommt aber mit seinem Tenor nicht in die gleiche Riege wie Kollege Gibson.

Konzert Theater Bern besetzt die alte Burya mit der einstigen Wagner-Sängerin Ursula Füri-Bernhard, deren Sopran mittlerweile in eine sinister knisternde Altlage gerutscht ist. Philipp Mayer brummt wohltuend mit seinem Bass als Altgesell, und auch die übrigen Solisten sind mit Young Kwon als Dorfrichter, Sarah Mehnert als dessen Frau und Eleonora Vacchi als Karolka solide besetzt. Zsolt Czetner hat den Chor gut vorbereitet, auch wenn dieser vereinzelt die Solisten übertönt.

Matthew Toogood am Pult präsentiert einen ausnahmslos luziden und schön aufgefächerten Klangkörper. Das mag vielleicht daran liegen, dass das Berner Symphonieorchester aufgrund der Pandemiemassnahmen ausgedünnt wurde und die einzelnen Instrumente besser zur Geltung kommen. Bei Toogoods Tempi, in der Partitur polyrhythmisch angelegt, hapert es mitunter. Das wirkt sich auf das nahtlos ineinander übergehende und komplexe Klanggebilde mit seinen Elementen aus der tschechischen Volksmusik aus und rüttelt hie und da am dicht verzahnten Gefüge dieses komplexen Meisterwerks. Der soghafte Rausch des Dreiakters bleibt aber über weite Strecken erhalten.

Das Publikum honoriert den Abend mit kräftigem Applaus und anhaltenden Bravorufen.

Peter Wäch