O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Florian Spring

Aktuelle Aufführungen

Szenisch nah am Schiffbruch

IDOMENEO
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Besuch am
6. Februar 2022
(Premiere)

 

Bühnen Bern

Es hätte für die Bühnen Bern ein Triumph sein können, doch Regisseur Miloš Lolić versenkt Mozarts Oper Idomeneo mit einer unausgereiften Lesart, die zwei Dinge auslöst: Langeweile und Kopfzerbrechen. Dass der Abend nicht kippt, liegt an einem auserlesenen Solistenensemble und einem stimmlich exzellent geführten Chor. Nicholas Carter am Pult liebäugelt mit dem Paukenschlag von Kollege Currentzis, was dem Werk „e bisserl“ die Mozartseligkeit nimmt.

Es gibt nichts Schöneres als den Opernschlaf. Der Ausspruch ist legendär und während der ersten beiden Akte des 1781 in München uraufgeführten Dramma per musica ist man versucht, die bequemen Sessel im Stadttheater Bern für ein Nickerchen zu missbrauchen. Nun ist Mozarts Frühwerk Idomeneo beileibe keine einfache Oper, szenisch wie musikalisch. Letzteres, weil die typischen Amadeus-Schlager fehlen. Das Opus mit dem Libretto von Giambattista Varesco nach der Tragédie lyrique von Antoine Danchets orientiert sich an der Nummernoper mit Lieto fine, wie sie Dichter Pietro Metastasio über Jahrzehnte vorgab. Arie folgt auf Arie, Mehrstimmiges gibt’s nur selten zu hören. Es braucht also viel Geschick, das enge Korsett der Opera seria zu entfesseln.

Das Meer ist nicht weit in Mozarts Idomeneo, in dem der kretische Held kriegsgeschüttelt aus der Ferne zurückkehrt, um wieder heimatlichen Boden zu betreten. Kaum hat der König den Widersacher aus Troja besiegt, winkt weiteres Ungemach. Die Götter müssen verrückt sein, denn sie fordern für des Herrschers Unversehrtheit dessen Sohn Idamante als Opfer. Der wiederum liebt mit Ilia eine Frau aus dem Feindeslager. Zu allem Überdruss irrlichtert Elettra auf der Insel herum, die den brutalen Verlust ihrer Familie zu verwinden hat und Heiratsabsichten hegt.

Regisseur Lolić und sein Bühnenmeister Wolfgang Menardi wählen für ihre Anschauung ausgerechnet die ausgelaugte Idee eines Theaters im Theater. Wenn sich der Vorhang nach den ersten Takten hebt, fällt sofort auf, dass die zusätzliche Bühne ein Spiegelbild des Stadttheaters ist. Eine antike Säule liegt zertrümmert am Boden, Leitpfosten mit verdrehter Kordel deuten auf ein Museum hin. Eine Ära ist zu Ende, es brechen andere Zeiten an. Komparsen tragen Plastikstühle, wie man sie von der Imbissbude ums Eck kennt, vor das Podium. Schön ist diese wettertaugliche Billigware jedenfalls nicht und der Bezug zur Handlung will sich auch nicht unbedingt einstellen. Ein Hinweis auf den Wandel? Vielleicht.

Bereits die ersten Auftritte der Solisten machen überdeutlich, dass die Zweitbühne die Künstler in ihrer Bewegungsfreiheit behindert und zu starrem Rampensingen verdonnert. Dasselbe gilt für den Chor, der im Verlauf der fast dreistündigen Oper noch so manchen kunterbunten Kostümwechsel erleben wird. Kostümbildnerin Jelena Miletić mangelt es nicht an Fantasie, was manchmal für kuriose Momente sorgt. Beispielsweise dann, wenn die Damen und Herren aus ihrer Toga ein Tuch hervorzücken und beim Forte freudig damit wedeln. Die Bühnen Bern sind eins der wenigen Häuser, die dem Chor noch Hygienemasken auferlegen und auch hier entfaltet sich unfreiwillig komisches Potenzial, wenn der Solist die Stoffbahn für seinen Einsatz kurz unters Kinn zieht.

Wohlwissend, dass Mozarts Jugendstreich seine Längen hat, lässt Lolić nichts unversucht, Betrieb in den Laden zu bringen. Mit der sperrigen Zusatzbühne bleibt jedoch kaum Spielraum, darum bewegen sich dort via Schürboden die Bühnenbilder und Schäfchenwolken derart hastig auf und ab, dass einem schwindlig wird. Einmal jongliert das Ensemble ein schwarzes Gummiboot durchs Geschehen, was für Lacher sorgt. Mit großem Staunen nimmt man zur Kenntnis, dass für eine farbige Sängerin ein Palmenmotiv im Hintergrund gezeigt wird. Aufgrund solcher, wenn auch unbeabsichtigten Ungeschicklichkeiten in Zeiten der „Critical Race Theory“, entfachen sich gerade in der Kulturszene öfters hitzige Diskussionen. Der Prospekt eines toten Vogels ergibt keinerlei Sinn, ein anderes Motiv sieht aus wie die Fischkarte vom Italiener. Zu guter Letzt ist auch der Dirigent auf diesem Flohmarkt der Wunderlichkeiten sichtbar, er wird live via Mini-Monitor zugeschaltet.

In Idomeneo streiten hauptsächlich vier Protagonisten um die Gunst ihrer Hörerschaft, und Bühnen Bern gelingt es, sogar die Nebenrollen vortrefflich zu besetzen. Attilio Glaser ist zwar ein König der traurigen Gestalt, der im letzten Akt, man ahnt es bereits, Jupe statt Hose trägt, doch seine Stimme hat zum Glück genug Maskulinität, Herrscher und Kriegsfürsten, wenn auch gebrochen, stimmlich würdig zu markieren. Ansonsten verbringt Glaser in seiner Rolle viel Zeit unter der Zweitbühne, unter- und auftauchen ist angesagt, fehlt nur noch der Schnorchel. Für Evgenia Asanova ist die Hosenrolle des Idamante eine Paraderolle, sie lässt ihren farbenreichen Mezzosopran anmutig schwingen und ist in den Kellertiefen genauso sicher wie in lichten Höhen. Der Hinweis, dass sie ein junger Mann ist, wird von der Regie im ersten Akt plakativ mit Lausbubenhosen unterstrichen.

Die Ilia von Giada Borrelli ist anfangs etwa gar schroff im Forte, doch mit der Zeit bekommt ihr Sopran immer mehr das emotionale Rauschen, das diese Rolle erfordert. Den Vogel, beziehungsweise den Barockengel auf der Bühne, schießt Sopranistin Masabene Cecilia Rangwanasha als Elettra ab, wenn sie mit Gartenstühlen um sich wirft. Ihre Melodieführung ist eine Offenbarung und auch die spitzen Töne beim Stakkato sitzen wie die Domspatzen in einer Reihe. Für ihre atemberaubende Darbietung der Verzweiflungsarie Oh smania! oh furie … Oh disperata Elettra – der Hölle Rache der Königin der Nacht nicht unähnlich – erhält sie verdientermaßen tosenden Applaus und anhaltende Bravorufe. Tenor Filipe Manu als Arbace und Gran Sacerdote sowie Bass Christian Valle als teuflischer „Komtur“-Verschnitt Voce ergänzen die sonore Viererrunde perfekt. Der Chor der Bühnen Bern ist bei Zsolt Czetner in besten Händen.

Nicholas Carter, Verdi- und Wagner-erprobt, versucht ähnlich wie sein Kollege Theodor Currentzis, die Extreme in der noch jungen Mozart-Partitur herauszukitzeln. Die Intensität ist fordernd, und die Akzente, die Carter mit dem Berner Symphonieorchester lautstark setzt, gehen klar in Richtung Rock’n’Roll. Doch der Impetus erstickt die Finessen in Tempi und Dynamik. Darunter leidet die zarte Luftigkeit, das Soufflé im Ofen bekommt einen Tick zu viele Hitzegrade ab. Etwas mehr Entspannung und weniger Donner würden weit mehr hergeben. Reduce to the max. Mozart, das ist auch achtsame Gelassenheit, das Gewittergrollen bleibt besser ein Nebenschauplatz.

Das Ensemble wird mit großzügigem Applaus bedacht und der vermindert sich nur ein wenig, wenn das Regieteam die Bühne betritt. Glück gehabt.

Peter Wäch