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Aktuelle Aufführungen
TANNHÄUSER UND DER SÄNGERKRIEG AUF DER WARTBURG
(Richard Wagner)
Besuch am
7. Mai 2023
(Premiere am 12. April 2014)
Tannhäuser-Inszenierungen tun sich häufig schwer, Richard Wagners mystische, aus vielen Versatzstücken zusammengesetzte Erzählung stringent zu übersetzen. Ob Biogasanlage im Venusberg auf der Wartburg, die Sebastian Baumgarten 2011 in Bayreuth auf die Bühne hievte, ob Burkhard Kosminskis Idee 2013 in Düsseldorf, Wagners Antisemitismus als Hintergrund-Raunen im Venusberg zur Sprache zu bringen – von einigen Medien kurzerhand als Nazi-Oper bezeichnet und nach der Premiere vom Spielplan wieder abgesetzt – oder jüngst die von Paul-Georg Dittrich am Aalto-Musiktheater Essen mit wenig geschickter Modernisierungs-Attitüde: Häufig haben sie grundsätzliche Akzeptanzprobleme.
Das Rezeptionsproblem liegt in der Tannhäuser-Perspektive des 19. Jahrhunderts. Ein öffentliches Liebes-Bekenntnis, das frank und frei sagt, was Sache ist, war zu Wagners Zeiten ein Tabubruch und ein Skandal zugleich. Dass Liebe auch erotisch körperliches Begehren bedeutet, war auch schon damals nicht fremde und vielfach gelebte Praxis. Nur darüber zu reden oder es gar auf einer Opernbühne mit Tannhäusers schwelgerisch sinnlichem Gesang als Anstiftung zum ungezügelten Sex vorgeführt zu bekommen, war das eigentliche Skandalon.
Wer heute Tannhäuser inszeniert, kann deshalb die gehabte, schamhaft sich gebende, doch in Wirklichkeit verlogene Moral-Keule nicht mehr schwingen. Allein mit jedem Klick im Internet ist es möglich, Räume zu öffnen, wo erotische Fantasien zu pornografischen Freizeitangeboten stand-by gestreamt werden. Was also im 21. Jahrhundert mit einem von Wagner im 19. Jahrhundert zusammen gebastelten Tannhäuser-Mythos aus dem 13.Jahrhundert tun, um Menschen heute zu erreichen?
Foto © Bernd Uhlig
Sasha Waltz inszeniert, wofür sie als Choreografin bekannt ist. Sie entwickelt szenische Bewegungsstrukturen, die individuell geprägt sind, sich aber als kollektiv atmender Menschenkörper bewegen. Die Wiederaufnahme ihrer Inszenierung von 2014 basiert auf einer Mischform von Wagners 1845 in Dresden uraufgeführter und für die Pariser Aufführung 1861 überarbeitete Version. Insbesondere das Bacchanal, das ohne Pause nach der Ouvertüre folgt, kommt ihr als Leiterin der Compagnie Sasha Waltz & Guests entgegen. Dass sich die Choreografin gegenüber der Regisseurin viel Raum gibt, führt allerdings zu einer im Verlauf der Aufführung unausgewogenen, auf Dauer ärgerlichen Schieflage von Musik und Tanz.
Mit der Ouvertüre öffnet sich der Vorhang, und eine diffus beleuchtete Scheibe fokussiert den Blick. Sie verräumlicht sich in der Bühnenarchitektur von Waltz und Pia Maier Schriever stetig zu einem offenen Kegel. Aus dem Venusberg sprudeln die Tänzer, als fielen sie aus dem Himmel auf die Erde. Choreografierte scherenschnittartige Szenen bilden den Prolog für Tannhäusers Abschied aus dem Liebes-Lust-Reich der Venus. Diese assoziative Ebene von Tanz und Musik schließt sich im finalen Bacchanal symbiotisch relevant und stimmig kurz.
Weniger stimmig zeigen sich die choreografierten Kommentare zu den solistischen und chorischen Handlungsabläufen. Sie überdecken mitunter geradezu den musikalischen Handlungsraum. Diese tänzerischen Arabesken über-tanzen die Musik.
Für einen Moment drängt sich die Video-Arbeit Abstraction Licking aus 2013 von Cristina Lucas auf, die bei einem Zwischenhalt auf dem Weg nach Berlin im Kunstmuseum Wolfsburg innerhalb der Ausstellung Re-Inventing Piet. Mondrian und die Folgen zu sehen ist. Sie kontrastiert, distanziert abstrakt in Sequenzen. Eine solcherart minimalistische Reduzierung hätte Waltz‘ Inszenierung eine ausgewogenere Balance gegeben. So geriert sie sich in eine teilweise überambitioniert dominante Tanz-Performance-Perspektive. Sie hemmt das Spiel von amour courtois und amour fou eher, als das sie es beförderte.
Foto © Bernd Uhlig
Das Erhabene nahe dem Lächerlichen, die sinnliche Liebe neben dem Gutmenschentum als Engagement für eine bessere, erlöste Welt. Tannhäusers Einerseits – „Nach Freiheit, Freiheit dürstets mich“ – und sein Andererseits – „Ach, schwer drückt mich der Sünden Last, kann länger sie nicht mehr ertragen“ – ist ein schwer zu bewältigender Spagat.
Sebastian Weigle findet mit der Staatskapelle Berlin musikalische Ausdrucksformen, diese Widersprüche nicht zu verwischen. Er stellt sie hörbar aus. Blechbläser auf der Bühne, der Staatsopernchor hinter der Bühne: Suggestion von Nähe und Ferne.
Der Tannhäuser von Vincent Wolfsteiner ist insbesondere anfangs in vielerlei Hinsicht gewöhnungsbedürftig. Seine besondere Körperlichkeit erweist sich nicht nur für ihn, sondern auch für die anderen Solisten neben Lise Davidsens zauberischem Sopranklang als schwer überbrückbarer Gegensatz. Dass Wolfsteiner vor allem zu Beginn, aber auch späterhin Intonationsprobleme hat, macht diesen Kontrast noch deutlicher. Hervorzuheben ist sein sprechdeutlicher Gesang, der aber mitunter den Tannhäuser-Anforderungen hinsichtlich Kondition von stimmlicher Kontinuität und körperlicher Beweglichkeit Tribut zollen muss.
Davidsen singt als Elisabeth in einer eigenen Liga. Ihr Ansatz ist makellos selbstverständlich. Sie atmet mit brillantem Ausdruck, in den Höhen mit schimmerndem Leuchten, wie sie in den Sopran-Ebenen eine souveräne Präsenz ausstrahlt. Als Venus verfügt Marina Prudenskaya über einen satten, dunkel getönten, erotisch gefärbten Mezzosopran. Gesang und Spiel fügen sich bei ihr zu einem eigengeprägten Venus-Charakter.
Als Wolfram von Eschenbach setzt André Schuen dort fort, wo er vor zwei Jahren als Elias in Felix Mendelssohn Bartholdys Oratorium im Gewandhaus zu Leipzig nachhaltig auf sich aufmerksam gemacht hat: Ein kraftvoll faszinierender Bariton mit sorgfältig ausbalancierter Empfindsamkeit.
Lebhafter Beifall für einen durchaus widersprüchlichen Tannhäuser nach und mit Sasha Waltz.
Peter E. Rytz