O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Ruth Walz

Aktuelle Aufführungen

Viel Schmäh

DER ROSENKAVALIER
(Richard Strauss)

Fernsehübertragung am
21. März 2020
(Premiere am 9. Februar 2020)

 

Staatsoper Unter den Linden, Berlin

In Zeiten, in denen das Coronavirus das gesellschaftliche Leben und damit auch die Kunst und die Kultur fast komplett lahmlegt, sind Opernaufführungen nur noch on Demand im Stream, angeboten durch die großen Häuser, oder in einer Mediathek oder auf DVD zu genießen. Der Spartensender 3Sat hat nun die Neuinszenierung von Richard Strauss‘ Meisterwerk Der Rosenkavalier aus der Berliner Staatsoper Unter den Linden als Aufzeichnung übertragen. Die Premiere, noch mit Publikum, liegt grade einmal sechs Wochen zurück. Gespannt durfte man auf die Inszenierung durch das Wiener Urgesteins André Heller sein, mehr ein bekannter Medienkünstler denn Opernregisseur. Und Heller verlässt sich auf sein Wiener sein, verlegt die Inszenierung ins Jahr 1917, also nur sechs Jahre nach der Uraufführung und lässt das Wien und seine schrille Kunstszene mit Dichtern, Sängern, Komponisten, Malern und Geldadel wieder auferstehen, und das an einem eher preußisch geprägten Opernhaus.

Die Aussagekraft dieser Inszenierung hat trotz dieser stilistisch stark zugespitzten Ausrichtung wenig an Faszination und Emotionen verloren, auch wenn es hier und da schon mal arg klamaukig und derb zur Sache geht. Im Vordergrund stehen zwei Beziehungsebenen, die durch das kongeniale Zusammenwirken von Richard Strauss mit dem Dichter Hugo von Hofmannsthal musikalisch und textlich verwoben werden. Da ist die reife, sich im besten Alter befindliche Feldmarschallin Fürstin Werdenberg, und ihr gerade mal siebzehn Jahre alter Geliebter Octavian, der locker ihr Sohn sein könnte. Eine in der heutigen Zeit zwar auch eher ungewöhnliche Beziehung, aber im Wien zu Kaiser Maria Theresias Zeiten ein unerhörter Skandal, zumal es sich bei der Fürstin ja um die Gattin des Feldmarschalls handelt. Und so wird die Liebschaft auch nur angedeutet. Ein leidenschaftlicher Kuss, ein paar zerwühlte Kissen. Es ist eine eher oberflächliche Beziehung, die der Fürstin schmerzhaft die Verletzlichkeit des Alters vor Augen hält und dem Wissen, dass ihr junger Geliebter sie bald wegen einer Jüngeren verlassen wird.

POINTS OF HONOR

Musik



Gesang



Regie



Bühne



Publikum



Chat-Faktor



Das passiert dann schneller, als ihr lieb ist. Octavian soll als Rosenkavalier für den Baron Ochs auf Lerchenau um die Hand der jungen und liebreizenden Sophie anhalten, und der Moment der Rosenüberreichung wirbelt auch musikalisch die Gefühlswelt der beiden jungen Menschen durcheinander. Der grobschlächtige derbe Ochs hat mit seinem rüpelhaften Charakter keine Chance bei dem jungen Mädchen. Und so entspannt sich um diese beiden Beziehungen ein komödiantisches Verwirrspiel mit deftigem Klamauk, aber auch mit einigen wenigen großen und innigen Momenten wie dem Schluss, wenn die Fürstin in schmerzhafter Erkenntnis der Realität auf den jungen Geliebten verzichtet, und das junge Liebespaar sein Glück kaum fassen kann, weil es ihnen wie ein Traum vorkommt.

Heller hat bei seinem Regiedebüt an der Berliner Staatsoper diese Beziehungsebenen charmant akzentuiert und in den Vordergrund gestellt. Besonders die Fürstin stellt Kirchner als großen Charakter da. Für Heller ist sie „eine kluge, betörend schöne, welterfahrene, in erotischen Dingen sicherlich ausgefuchste, gesellschaftlich und finanziell mit nahezu unbegrenzten Möglichkeiten verwöhnte, durchaus – wenn es darauf ankommt – auch gefährliche wienerische Königskobra“. Auch Octavian, sonst der stets sprunghafte und ungestüme, ja noch pubertierende Teenager, zeigt hier eine für sein Alter schon weit entwickelte Reife. Auch Sophie ist nicht mehr nur das kleine Hascherl, das unter die Haube kommen soll, sondern eine junge, selbstbewusste Frau, die schnell weiß, was sie will. Heller hat diese Charaktere liebevoll skizziert. Dafür darf der Ochs ein etwas rüpelhafter, aber nicht unsympathischer Grobian sein, und alle weiteren Charaktere werden überspitzt gezeichnet, mit viel Situationskomik und typischem Wiener Schmäh.

Das Bühnenbild, das die Malerin Xenia Hauser nach 28 Jahren Abstinenz von der Bühne auf Wunsch Hellers gefertigt hat, gibt diesem Schmäh den künstlerischen Anstrich des Wiens zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Heller und sein Regieteam haben als Grundstruktur für ihre Inszenierung ist eine fiktive, nur einmal am 9. Februar 1917 stattgefunden habende Benefizvorstellung zugunsten des k. u. k. Kriegs-Witwen und -Waisenfonds zugrunde gelegt. Eine Vertraute und Mäzenin Rilkes und Hofmannsthals, die Fürstin Marie von Thurn und Taxis, eignete sich speziell als Organisatorin eines solchen Ereignisses, weil sie derlei im Ersten Weltkrieg tatsächlich nimmermüde tat. Sie besaß Einfluss und Beziehungen genug, um problemlos die wesentlichsten Sängerinnen und Sänger der Monarchie in einer Ausnahmeaufführung zu versammeln und noch Stefan Zweig, Egon Friedell und Hofmannsthal zu stummen Statistenrollen zu überreden. Dem bedeutenden Sezessionisten Kolo Moser hätte sie wahrscheinlich mit Unterstützung Alfred Rollers das Bühnenbild, der revolutionären Kleiderschöpferin und Klimts wichtigster Lebensfreundin Emilie Flöge die Kostümentwürfe anvertraut. Eines ihrer heutigen Pendants ist der „Mode-Wunderknabe“ Arthur Arbesser, der die bunten, manchmal auch schrillen Kostüme gestaltet hat. Auf der Grundlage dieser fiktiven Benefizveranstaltung gestalten sich dann auch das Bühnenbild und das Setting.

Foto © Ruth Walz

Das erste Bild zeigt das Schlafgemach und die Räume der Fürstin im Stil des Japonismus ein. Die Anregung hierzu fanden die Kunstsinnigen Wiens der Jahrhundertwende in den europaweit aufsehenerregenden Japan-Beschreibungen. Der Malerkreis um Klimt war ebenfalls von dieser im Westen damals kaum bekannten Ornamentik und Bildsprache stark beeinflusst und findet sich an den Bühnenseiten wieder. Das Palais des Herrn von Faninal im zweiten Aufzug besticht vor allem dadurch, dass er seine gesellschaftlichen Minderwertigkeitskomplexe durch Einrichtung mit Möbeln und Bildern aus der höchsten Ebene der herrschenden Avantgarde zu kompensieren versucht. Man sieht Gustav Klimts Beethovenfries, und seine Tochter lädt die wesentlichen Vertreterinnen der jungen Gesellschaft und des Geldadels zu der in diesen Kreisen noch nie leibhaftig gesehenen Überreichung der silbernen Rose durch den Bräutigamsaufführer ein. Die Mädchen und Frauen wetteifern untereinander mit ihren extravaganten Kleidern der bedeutendsten Hauptstadt-Couturiers. Der dritte Aufzug spielt nicht in dem üblicherweise runtergekommenen „Vorstadtbeisl“, sondern in einem der damals bei Adel und Großbürgertum populären privaten Palmenhäuser, in denen opulente orientalische Kostümfeste gefeiert wurden.

Mit Unterstützung einer ausgeklügelten Lichtregie von Olaf Freese leuchtet das Bühnenbild in wechselnden Farben, unterlegt von passenden Videoeinspielungen von Günter Jäckle und Philip Hillers.

Im Vordergrund steht aber an diesem Abend eindeutig die musikalische und sängerische Darbietung. Es ist vor allem der Abend der Michèle Losier, die mit der Partie des Octavian debütiert, sängerisch und schauspielerisch alle Facetten ihres Könnens zeigen kann und dem jungen Galan dabei neben großer Leidenschaft auch eine interessante Ernsthaftigkeit verleiht. Dass die Losier auch echt komisch kann, zeigt sie in der Verkleidung als Mariandl im dritten Aufzug. Mit ihrem warmen Mezzosopran, der nicht nur ein breit angelegtes Fundament besitzt, sondern auch wunderbare Spitzentöne erzeugen kann, weiß Losier zu begeistern. Auch Nadine Sierra in der Partie der Sophie zeigt, trotz Ausflugs in dramatischere Partien, dass sie über die strahlenden Höhen und den Liebreiz in der Stimme verfügt, die für die Gestaltung der Partie so wichtig sind. Im Zusammenspiel mit Losier entwickelt sich zudem eine elegische Stimmenharmonie, was die Rosenüberreichung im zweiten Aufzug und das finale Duett im dritten Aufzug zu sängerischen Höhepunkten werden lassen.

Camilla Nylund hat in vielen großen Rollen in Opern von Richard Wagner und Richard Strauss reüssiert. Ihr Debüt als Feldmarschallin gab sie aber erst Ende letzten Jahres an der Metropolitan Opera New York. Anfangs noch fast jugendlich ungestüm, entwickelt sie im Laufe der Partie eine bittersüße Melancholie in dieser Rolle. Ihr warmer, jugendlich dramatischer Sopran verfügt einerseits über eine hohe Strahlkraft, andererseits legt sie die Partie mit hoher musikalischer Intelligenz und Differenziertheit an. Ihr Spiel ist von einer großen Grandezza, doch in den innigen, schmerzlichen Momenten zeigt sie auch musikalisch die große Verletzlichkeit dieses Charakters, besonders beim Verzicht auf Octavian. Ihre Erfahrung mit Werken von Strauss und Wagner und ihre musikalische Interpretation machen sie zu einer Idealbesetzung für die Partie.

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Günther Groissböck gibt mit seinem markanten Bass einen herrlich derben und rüpelhaften Ochs auf Lerchenau, ohne dass der unvermeidliche Wiener Schmäh und der herrliche Dialekt in dieser Rolle zu kurz kommt. Dabei klingt seine Stimme manchmal so balsamisch schön, und sein Spiel ist immer einem Augenzwinkern nah, dass man diesem Grobian eigentlich nicht böse sein kann und ihm sein manieriertes Verhalten einfach verzeihen muss. Stimmlich in einer absolut Topverfassung, darf man sich auf sein Rollendebüt als Wotan bei den diesjährigen Bayreuther Festspielen freuen, wenn denn bis dahin wieder gespielt werden darf.

Roman Trekel als eitler Herr von Faninal überzeugt mit Stimmgewalt und wuchtigem Spiel. Anna Samuil verleiht mit spitzem Sopran der Rolle der Jungfer Marianne Leitmetzerin große Dynamik. Karl-Michael Ebner als Valzacchi und Katharina Kammerloher als Annina sind als intrigantes Paar eine Idealbesetzung. Atalla Ayan darf in seinem Kurzauftritt als italienischer Sänger mit tenoralem Schmelz und großem Ausdruck eine besondere Duftnote hinterlassen, auch wenn man ihm um sein Kostüm schon etwas bemitleiden muss. Alle anderen Rollen sind sängerisch und spielerisch auf hohem Niveau besetzt.

Musikalisch lässt diese Aufführung fast nichts zu wünschen übrig. Zubin Mehta führt die Staatskapelle Berlin mit dem richtigen Gespür für die Schönheit, aber auch die Tücken der Straussschen Musik durch die Partitur. Er schwelgt in Walzerseligkeit, lässt es poltern und krachen, um dann die innigen Momente punktiert herauszuarbeiten. Hervorzuheben ist seine fast schon zärtliche Begleitung der Rosenüberreichung und des großen Finales im dritten Aufzug. Wie er das Orchester zum Ende des Terzetts zu einem schon elegischen Höhepunkt führt, das ist Gänsehaut pur. Mehta ist sicher einer der profiliertesten Dirigenten, der in der Lage ist, große symphonische Tondichtung, Walzerklänge und kammermusikalische Intimität gleichermaßen anzubieten, wobei die Sänger bei ihm immer im Vordergrund stehen. Anna Milukova hat den Staatsopernchor und Kinderchor harmonisch aufeinander abgestimmt.

Der Schlussapplaus des Publikums ist groß, und insbesondere Michèle Losier, Nadine Sierra, Camilla Nylund und Günther Groissböck werden zu Recht umjubelt, aber auch Zubin Mehta und die Staatskapelle Berlin dürfen auf der Bühne den verdienten Lohn entgegennehmen. André Heller hat es mit seiner wienerisch-avantgardistischen Inszenierung verstanden, knapp vier Stunden pure Unterhaltung mit Augenzwinkern und viel Schmäh auf die Bühne zu bringen. Und durch die Fernsehübertragung konnte ein breites Publikum die charmante Aufführung genießen.

Andreas H. Hölscher