O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Brice Robert

Aktuelle Aufführungen

Ein philosophischer Schmetterling

MUGEN – SLEEPLESS BUTTERFLY
(Yui Kawaguchi)

Besuch am
17. Dezember 2021
(Premiere)

 

Sophiensäle, Berlin

Bin ich ein Mensch der träumte, er sei ein Schmetterling, oder bin ich ein Schmetterling, der träumt, er sei ein Mensch? –  Diese Zeilen stammen von Zhuangzi, der sie sinnigerweise Der Schmetterlingstraum betitelt hat. Zhuangzhi gilt als einer der wichtigsten alten Meister des chinesischen Zen-Buddhismus aus dem 4. Jahrhundert vor Christus. Nun sind diese Gedanken von der Choreografin Yui Kawaguchi in Tanzformen des 21. Jahrhunderts übersetzt worden. Sie hat ihr Werk Mugen betitelt, was im Japanischen eine Synthese von Illusion und Unendlichkeit bedeutet.

Foto © Brice Robert

Abstrakt, poetisch, urstimmig lässt Kawaguchi die Solotänzerin Joy Alpuerto Ritter zu den Klängen der Trommeln von Mohammad Reza Mortazavi den Traum gestalten. In knapp über 60 Minuten gelingt Ritter, die Metamorphose von der Raupe zur Puppe zum Schmetterling mit durchaus auch menschlicher Emotionalität auszudrücken. Die Choreografie von Kawaguchi findet ihre Inspiration in östlicher Formalität, vom künstlichen Spreizen der Finger und Zehen, wie man sie oft in Thai oder indischen Figuren sieht, bis hin zur westlichen Tanzsprache der Gegenwart – Elemente aus klassischem Ballett ebenso wie Urban Dance und Pantomime sind da zu entdecken. Auch die klassischen Elemente des japanischen Nō-Theaters sind vorhanden: Die hyperkontrollierten langsamen Bewegungen, die groteske Figuren ergeben und sich dann verspielt auflösen. Insgesamt ist es das erzeugte Spannungsfeld, das dabei entsteht und einzigartig wirkt, und durch das die Tänzerin in einer rasanten Choreografie regelrecht fliegt.

Die verdunkelte Bühne wird nur von diffusen Lichtblöcken erhellt – niemals verlässt die Tänzerin diese Zwischenwelt, begibt sich weder in tiefe Nacht noch gleißenden Tag. Nur eine Installation von sechs bemalten Acrylhängern von Acci Baba deuten Lebens- oder Traumphasen an, sind Anreiz und Hindernis zugleich. Joy Alpuerto Ritter begibt sich zwischen und unter die Hänger, umwirbt sie, umspielt, prallt ab – es sind letztendlich die Fäden und Schichten der Puppe, die dem Schmetterling zu neuem Leben verhelfen werden.

Begleitet und zugleich befeuert wird sie von Mohammad Reza Mortazavi, der allein mit seinen Trommeln eine Soundatmosphäre von fast orchestraler Qualität schafft. Obwohl sich jedes Element in seinem eigenen Kosmos bewegt, entsteht durch immer neue Begegnungen und wechselnde Tempi ein tranceartiger Fluss, der die Grenzen zwischen Fantasie und Wirklichkeit, Traum- und Wachzustand auflöst.

Beim Philosophen Zhuangzi geht es viel um Gelassenheit, Muße und Spontaneität. Er galt auch als unkonventionell und humorvoll. Eben diese Essenz hat Yui Kawaguchi in ihrem Werk umgesetzt. Das Publikum ist begeistert.

Zenaida des Aubris