O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Ein Amerikaner in der DDR

IRON CURTAIN MAN
(Claas Krause, Christopher Verworner)

Besuch am
5. September 2020
(Premiere am 3. September 2020)

 

Neuköllner Oper, Berlin

Manche ältere Menschen aus der ehemaligen DDR bekommen leuchtende Augen, wenn sie den Namen Dean Reed hören, Westdeutsche dieser Generation hingegen wissen mit ihm selten etwas anzufangen. Das könnte sich jetzt dank der neuesten Produktion in der Neuköllner Oper Berlin ändern. Sie erinnert mit dem Musical Iron Curtain Man an den amerikanischen Musiker, der auch den Beinamen der rote Elvis trug und in Osteuropa ein Idol war. Als Glück im Unglück kann man die Corona-bedingte Verschiebung der Premiere von April auf September ansehen. Denn nun gerät sie zu einem thematisch passgenauen Vorläufer für die anstehenden Feierlichkeiten zum 30. Jahrestag der Wiedervereinigung.

Dean Reed, Jahrgang 1938, wächst auf einer Farm bei Denver auf. Mit 18 Jahren bricht er nach Hollywood auf, in der Hoffnung auf eine erfolgreiche Laufbahn im Film- und Showgeschäft. Doch erst eine Tournee durch Südamerika bringt den ersehnten Durchbruch. Hier steigt er zum Rock’n‘Roll-Star auf, füllt sogar Fußballstadien und zieht daraufhin nach Argentinien. Durch die Konfrontation mit Armut und Unterdrückung wendet er sich dem Sozialismus zu. Als er wegen Protestaktionen ausgewiesen wird, setzt er seine künstlerische Karriere in der Sowjetunion fort und ab 1971 in der DDR, wohin er der Liebe wegen umsiedelt. Er genießt Ansehen als rockender Teenagerschwarm, Vorzeigeamerikaner und gesellschaftskritischer Aktivist in einem. Als sein Stern zu sinken beginnt, begeht er 1986 vermutlich Selbstmord. Noch einmal steht er im Rampenlicht, denn sein Tod löst Spekulationen über Fremdverschulden durch CIA, Stasi oder KGB aus.

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Viel von diesem filmreifen Leben ist in Eine letzte Show für Dean Reed, so der Untertitel von Iron Curtain Man hineingepackt. Wobei es für die Zuschauenden hilfreich ist, ein bisschen Hintergrundwissen zu haben. Denn Regisseur Fabian Gerhardt erzählt Reeds Biografie nicht chronologisch, sondern verknüpft Episoden aus seinem Leben zu einer knallbunten Collage aus Dialogen, kabarettistischen Szenen und vielen musikalischen Einlagen. Zusätzlich laufen fast ununterbrochen Videos mit stilisierten Bildern oder Originalfotos ab.

Doch damit nicht genug. Das sechsköpfige Ensemble, bestehend aus Frédéric Brossier, Sophia Euskirchen, Raphael Dwinger, Franziska Junge, Claudia Renner und Meik van Severen, wechselt permanent die Rollen und Kostüme, die Sophie Peters im Stil der Zeit entworfen hat.

Mal verkörpert der eine oder die andere Reed selber, mal sind sie Personen aus seinem Umfeld, mal Honecker und andere Mitglieder des Politbüros.

Es wird von allen virtuos gespielt, vor allem aber energetisch getanzt und großartig gesungen. Wie in einer klassischen Revue bildet die gelbe Showtreppe den optischen Mittelpunkt der minimalistischen Ausstattung von Michael Groessner. Und Reeds Hits? Sie zünden auch heute, zumal in den gekonnten Arrangements von Claas Krause und Christopher Verworner, den Leitern des ordentlich einheizenden VKKO-Kammerorchesters.

Achtzehn Aufführungen mit jeweils 60 Plätzen hat die Neuköllner Oper angesetzt. Stimmung kommt trotz Corona-Begrenzung auf. Die zweite Vorstellung ist ausverkauft und wird obendrein heftig bejubelt.

Karin Coper