O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Bernd Uhlig

Aktuelle Aufführungen

Gepflegt und ästhetisch

IDOMENEO
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Besuch am
19. März 2023
(Premiere)

 

Staatsoper Unter den Linden, Berlin

Zu den Top 10 gehört die Oper des gerade mal 25-jährigen Wolfgang Amadeus nicht. Die Opera seria, vom bayerischen Kurfürsten Karl Theodor für die Karnevalszeit kommissioniert, wurde 1781 im damals neuerrichteten Cuvilliés-Theater uraufgeführt. Mit dem Libretto von Giambattista Varesco gilt Idomeneo als die erste reife Oper von Mozart, der seinerzeit auch vom französischen Stil beeinflusst war. Die Handlung spielt im antiken Kreta nach dem Trojanischen Krieg und konzentriert sich auf König Idomeneo, der auf der Rückkehr in die Heimat Schiffbruch erleidet und dem Gott Neptun verspricht, wenn er lebendig ankommt, das erste Lebewesen, dem er begegnet, dem Gott zu opfern. Es ist sein Sohn Idamante.  Idomeneo versucht, das grausame Schicksal abzuwenden, indem er seinen Sohn wegschickt, zusammen mit der trojanischen Gefangenen Prinzessin Ilia, die ihn liebt. Elettra, eine griechische Prinzessin, die ebenfalls Idamante liebt, ist eifersüchtig. Idomeneo enthüllt sein Gelübde und Neptuns Forderung, woraufhin ein Seeungeheuer erscheint und bei der Bevölkerung sein Unwesen treibt. Idamante kehrt zurück und tötet das Ungeheuer. Neptun gibt schließlich nach und erlaubt, dass das verliebte Paar Idamante und Ilia zusammenbleiben, worauf Elettra verrückt wird, während Idomeneo den Thron seinem Sohn gibt.

David McVicar hat diese Geschichte der Antike in einer zeitlosen Welt angesiedelt. Vielleicht dem Mozartschen, französisch angehauchten Stil folgend, gibt McVicar den Solisten würdevolle, formelle Gestiken und dem Chor elegante, gediegene Auftritte. Ebenso die Bewegungsgruppe der Soldaten und Gefangenen in der stilisierten Choreografie von Paule Constable geben den Gruppenbildern vollendete stilisierte Formen.

Alles ist elegant und gediegen in dem minimalistischen Einheitsbühnenbild von Vicki Mortimer: Über einer quadratischen, rostfarbenen, leicht gewellten Bodenstruktur hängt ein überdimensionaler Totenschädel, mit zugebundenem Kiefer und drohenden, leeren Augenhöhlen. Dieser Schädel dominiert die Bühne, alle Aktionen und Gedanken. Erst, als im letzten Akt Gott Neptun besänftigt ist, verschwindet er. Gabrielle Dalton entwarf ansprechende, historisierende Kostüme, besonders das von Elettra, als fremder Prinzessin aus dem Orient: Sie tritt in wallenden, wunderschönen Kimono-ähnlichen Gewändern auf.

Foto © Bernd
Uhlig

McVicar überlässt der Musik die Vertiefung der Charaktere. Lediglich in der Szene der aufkeimenden Liebe zwischen Ilia und Idamante werden die Gesten menschlicher, verlieren an Konvention. Idomeneo darf seine Verzweiflung ob seiner Ohnmacht dem Urteil des Gottes gegenüber Ausdruck geben, indem er sich immer wieder am Boden wälzt. In der allerletzten Szene, nachdem er seinen königlichen Mantel seinem Sohn Idamante als symbolische Machtübergabe übergeben hat, wird er von seinem ehemaligen Vertrauten, Arbace, auf den Boden geworfen und von ihm mit offenem Schwert in ein Grab gezwungen. Diese Interpretation von McVicar zeigt eine Respektlosigkeit, die die vermeintliche Eleganz der ganzen Inszenierung zunichte macht.

Simon Rattle hat bekanntlich Idomeneo zu einer seiner Lieblingsopern erklärt, und seine musikalische Leitung zeigt, wie minutiös er mit der Staatskapelle gearbeitet hat. Er versteht es, Mozarts Partitur mit Leichtigkeit und Tiefe zum Leben zu erwecken. Insgesamt eine herausragende Darbietung. Idomeneo hat mehrere wundervolle Chorpassagen, die hier vom sehr gut disponierten Chor von Martin Wright einstudiert wurden.

Angemessen auch die Besetzung.  Andrew Staples in der Titelrolle des Idomeneo zeigt eine beeindruckende stimmliche Präsenz und Schauspielkunst. Sein Tenor vermittelt die innere Zerrissenheit und den Konflikt der Figur mit großer Intensität, wenngleich er im letzten Akt – mindestens an diesem Abend – seine stimmliche Kraft deutlich verliert. Das passt allerdings zur Rolle des abdankenden Königs.  Als Vertrauter des Königs ist der Tenor von Linard Vrielink fast zu lyrisch, um überzeugend in der Rolle zu wirken.

Magdalena Kožená als Idamante gibt mit ihrem warmen und ausdrucksstarken Mezzosopran eine überzeugende schauspielerische Darstellung. Ihre Szenen mit Ilia, gesungen von Anna Prohaska, sind besonders bewegend. Prohaska zeigt mit ihrem klaren und lyrischen Sopran eine einfühlsame Interpretation der Rolle. Sopran Olga Peretyatko verleiht der Rolle der verzweifelten und rachsüchtigen Prinzessin Elettra große Überzeugung mit ihrer dramatischen Bühnenpräsenz.

Mal ganz nebenbei bemerkt: Sind Sitzgelegenheiten wie Sessel, Stühle oder Bänke ganz aus der Mode gekommen? Ist es nicht evident, dass ein älterer Sänger erhebliche Schwierigkeiten hat, sich vom Boden zu erheben? Von einem eleganten Aufstehen ganz zu schweigen. Eine Nähe zum Geschehen, zum Kern des Dramas bringt das Herumrollen oder -lungern auf dem Boden wahrlich nicht.

Die Produktion sollte ursprünglich 2020 stattfinden. Nun haben Simon Rattle und David McVicar sie endlich zur Aufführung gebracht und werden dafür mit überwältigendem Applaus vom Publikum belohnt.

Zenaida des Aubris