O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Aktuelle Aufführungen

Tcherniakov vs. Götterdämmerung – 0:1

GÖTTERDÄMMERUNG
(Richard Wagner)

Besuch am
23. Oktober 2022
(Premiere am 9. Oktober 2022)

 

Staatsoper Unter den Linden, Berlin

Am letzten Abend des Rings des Nibelungen angelangt kann man gespannt sein, wie Regisseur Dmitri Tcherniakov die großen Intrigen der Menschen interpretiert.

Bühnenbildtechnisch bleibt es beim Forschungszentrum E.S.C.H.E. mit seinen sterilen Fluren, Besprechungszimmern und Versammlungsräumen wie an den anderen Abenden auch. Außer, dass Elena Zaytseva die Kostüme über die vier Abende aktualisiert hat, hat sich gar nichts geändert – weder die kalte Beleuchtung von Gleb Filshtinsky, die nach wie vor als Arbeitslicht eingestuft werden kann, noch irgendein Requisit. Die Umgebung verharrt in Starre, gibt den Rahmen vor, aber deutet auch auf keine Entwicklung, keine wirklichen Einsichten der Protagonisten oder des Regisseurs.  Tcherniakov bleibt bei seiner Dekonstruktion jeglicher hinlänglich bekannter Deutungen, jeder Szenenanweisung, Poetik oder Romantik. Es wimmelt hier nur an Absurditäten, die ganz einfach nichts mit dem Stück zu tun haben.

Was nicht heißt, dass Tcherniakov nicht mit den Sängern gearbeitet und mit ihnen seine Sicht der Geschichte ausgearbeitet hat. Ihre schauspielerischen Fähigkeiten sind hier nicht in Frage gestellt. Hagen beispielsweise, stimmlich grandios von Mika Karres gestaltet, ist Mannschaftskapitän eines mit grünen T-Shirts ausgestatteten Basketballteams und führt sein Team im straffen Regiment. Aus dem Nichts greift er nach einem Fahnenmast mit Mannschaftswimpel und verwundet Siegfried tödlich. Der schleift sich noch in das Stress-Labor und auf eine Krankentrage, um dort sein Leben, umringt von mittlerweile allen Teilnehmern und noch dazu gedachten Statisten wie Ärzten, Pflegern, Verwaltungspersonal und den Nornen, auszuhauchen.

Gunther, von Lauri Vasar stimmgewaltig verkörpert, ist als Intrigant unter dem deutlichen Einfluss von Hagen dargestellt. Ebenso Gutrune, hier von Mandy Fredrich als hedonistisches Girlie dargestellt. Die gealterte Waltraute von Mezzo Violetta Urmana überbringt ihre Botschaft an Brünnhilde mit Überzeugung, aber ohne Wirkung. Die drei Nornen Noa Beinart, Anna Samuil und Kristina Stanek wirken als alte Tanten, die Tee trinken und über das Schicksal sinnieren. Dafür treten Woglinde, Wellgunde und Flosshilde Evelin Novak, Natalia Skrycka und Anna Lapkovskaja wieder als Krankenschwestern mit Klemmbrettchen auf.  Großartig erneut Johannes Martin Kränzle, inzwischen als stark gealterter Alberich, der jetzt nackt mit nur stark verbeulten Unterhosen auftritt und seinem Sohn einredet, er müsse den Ring wieder an sich reißen. Die zwischenmenschlichen Beziehungen in dieser Szene sind ein kleines theatralisches Kleinod. Und wie auch im Siegfried sind die sängerischen Leistungen von Andreas Schager hervorragend, dankenswert auch mit herausragender Wortverständlichkeit.

Brünnhilde, allein an Siegfrieds Seite, setzt zu ihrer Schlussarie Starke Scheite schichtet mir dort … mit Innigkeit an, man merkt ihr die Anstrengung und Erschöpfung des Abends etwas an, aber das macht sie umso liebenswerter und authentischer in ihrem Ausdruck. Sie ist die einzige, die aus diesem Forschungszentrum am Ende – überraschenderweise – entkommt, nachdem sie den Ring in Richtung Publikum geworfen hat. Mit den Schlussakkorden tritt sie auf die jetzt leere Bühne mit ihrem Rucksack und geht Erda, die mit dem Spielzeugvogel aus Siegfried auf sie zukommt, entgegen. Der Grundriss des Forschungszentrum E.S.C.H.E. verfliegt auf dem sich senkenden Vorhang. Brünnhilde steht davor und blickt ins Publikum. Ebenso wie sie in der Walküre ihr Menschendasein begonnen hat, geht sie hier ihren eigenen Weg am Ende der Götterdämmerung in eine unbekannte Zukunft.

Auch in der Götterdämmerung erweist Thomas Guggeis Verständnis und Liebe zu Wagners Musik. Er entlockt der Staatskapelle eine dunkle Grundstimmung, die dennoch den vielen Instrumentalstellen Brillanz zulassen, ohne den großen Bogen der Dramatik zu vergessen. Wie schon in den anderen Teilen der Tetralogie beweist er, dass er als Dirigent den Sängern zuhört und äußerste Sensibilität für die vielen Strecken der ausgeprägten starken Orchestrierung hegt, ohne die subtilen Zwischentöne zu vernachlässigen.

Was nehmen wir mit aus dieser Sicht des Rings? Was bringen die vermeintlichen Versuche an Menschen in diesem Wissenschaftlichen Forschungszentrum für menschliche Entwicklung? Ungepflegte Langeweile, weil sie keinen Sinn macht, wenn es nicht die immer wieder grandiose Musik von Richard Wagner gäbe.

Wie schon an den vorangegangenen Abenden gibt es stehende Ovationen für die Sänger, Dirigent, Orchester und Chor. Da hier der zweite Zyklus des Rings zu erleben ist, tritt das Regieteam nicht vor den Vorhang; so bleibt ein mögliches Buh-Konzert wie beim ersten Zyklus aus.

Zenaida des Aubris