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Als letzte seiner 28 Opern war Falstaff erst die zweite Opera buffa, die Giuseppe Verdi als fast 80-jähriger komponierte. Mit Arrigo Boito als Librettist wurden die Lustigen Weiber von Windsor von William Shakespeare adaptiert. Nun hat Barrie Kosky diesen Klassiker an der Komischen Oper Berlin auf seine Weise gedeutet.
Sir John Falstaff ist bei Shakespeare und Verdi ein dickleibiger, verarmter Edelmann, der jetzt, in die Jahre gekommen, noch stolz und eitel ist. Der Zeitgeist ist an ihm vorbei gegangen, und er hat es nicht gemerkt. Er sieht sich noch als der fesche Sir John, der mit seiner Galanterie jede Frau verführen kann. Und das probiert er hier gleich bei zwei verheirateten Damen der bürgerlichen Gesellschaft, Alice Ford und Meg Page, die gute Freundinnen sind und ihm einen Streich spielen wollen, der ihm zeigen soll, wie lächerlich sein Verhalten ist. Die Oper folgt nun diversen Verwicklungen, inklusive jungem, verliebtem Glück und vermeintlich gehörnten Ehemännern.
Bei Kosky ist Sir John Falstaff ein Genießer – er hat längst Sex durch Essen ersetzt und schnipselt in seiner gut sortierten Küche herum. Mit nur einer Kochschürze bekleidet, zaubert er köstliche kulinarische Kreationen. Drei davon – Vorspeise, Hauptspeise und Dessert – werden dann in den kurzen Umbaupausen genüsslich auf Italienisch aus dem Off vorgelesen. Leider sind die Rezepte hierfür nicht im Programmheft abgedruckt. Dass dann im zweiten Akt die Damen mit Sahnetüten die mehrstöckigen Torten dekorieren und sie um das rosa-rote Himmelbett platzieren, ist konsequent und wiederholt die Pointe – Sex und Essen gehen Hand in Hand. Als Gegensatz hierfür finden sich dann sehr triste, ältliche Besucher in Falstaffs Kneipe ein, die das Leben eben nicht als Genuss sehen.
Katrin Lea Tag, verantwortlich für Bühne und Kostüme, unterstreicht diese Aussage mit knallbunten Kostümen für die lustigen Weiber und deren Ehegatten, ebenso auch für Falstaff, wenn er zum Rendezvous mit den Damen und stolz einen Anzug passend zur Tapete samt gepuderter Rokokoperücke trägt. Übrigens spielen Perücken eine große Rolle bei Sir John – sie sind Ausdruck seiner jeweiligen Laune – ob jugendlich hip oder verführerisch barock lässt sich leicht anhand des Kopfputzes feststellen. Wenn er am Ende der Oper sein Fazit Tutto nel mondo è burla … Ma ride ben chi ride la risata final – Alles auf der Welt ist ein Scherz … aber wer zuletzt lacht, lacht am besten – vorträgt, hat er den Scherz verstanden und kann über sich selber lachen, mit nacktem Oberkörper und ohne Perücke.
Der musikalische Chef des Hauses, Ainārs Rubiķis, setzt eher auf Lautstärke als auf Nuancen. Das Orchester gibt zwar genau und präzise die Partitur wieder, aber die Feinzeichnungen bleiben fern. Das überträgt sich dann auch auf die Sänger. Die menschlich allzu subtile Tragik, die sowohl Shakespeare als auch Verdi so fein deuten, geht leider in diesem fortwährenden Dauerfortissimo verloren.
Foto © Iko Freese
Bariton Scott Hendricks gibt einen agilen Falstaff, der sich für keine Blödelei zu schade ist. Kein Wunder, dass er sich in Alice verguckt hat, hier von Sopran Ruzan Mantashyan sehr vivace verkörpert. Auch ihre Freundin Meg, von Mezzosopran Karolina Gumos dargestellt, verzaubert mit elegantem Auftritt. Mezzosopran Agnes Zwierko überzeugt als Mrs. Quickly mit altersgerechtem Vibrato und Gehabe. Als vermeintlich gehörnter Ehemann ist Bariton Günter Papendell ein Ford, der ebenso eitel ist wie Falstaff. Seine Diener, Bardolfo und Pistola, gekonnt von James Kryshak und Jens Larsen dargestellt, müssen fast Purzelbäume schlagen, während sie singen. Das junge Liebespaar Fenton und Nanetta wird hier als sexsüchtige Teenager porträtiert, dabei strahlen der junge Tenor Oleksiy Palchykov und Sopran Alma Sadé absolute Unschuld aus.
Das Premierenpublikum applaudiert alle Darsteller, Dirigent, Chor und Regieteam rauschend. Oberflächlich ein amüsantes Vergnügen, aber es hätte so viel mehr sein können – wo bleiben die Finessen der Figurengestaltung? Falstaffs nackter Po ist kein Ersatz für gute Personenregie. Zwischenmenschliche Beziehungen lassen sich nicht auf Hin- und Hergerenne und Geknutsche reduzieren. Kosky hat in so vielen Werken gezeigt, dass er gerade das Menschliche, das Scheitern seiner Operncharaktere so viel besser zeigen kann, schade, dass dieser Aspekt hier nicht zum Ausdruck kommt.
Der Abend endet dann doch ungewöhnlich: Die langjährigen Ensemblemitglieder Günter Papendell und Karolina Gumos erhalten jeweils den Ehrentitel Kammersänger aus den Händen des Senators für Kultur und Europa von Berlin, Klaus Lederer. Danach ist der Abend noch nicht zu Ende: Kosky ruft das Publikum auf, sich an der Spendenaktion für die Ukraine der Komischen Oper zu beteiligen. Hierzu singt der ukrainische Tenor Oleksiy Palchykov ergreifend ein Volkslied aus seiner Heimat. Erst danach lädt der Intendant das Publikum zur ersten Premierenfeier im Foyer nach zweieinhalb Jahren Pandemiepause ein.
Zenaida des Aubris