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Vor leerem Tanzsaal

EIN ABEND IM MOKA EFTI
(Kurt Weill et al.)

Gesehen am
23. Februar 2021
(Premiere/Livestream)

 

Philharmonie Berlin

Mit einem Online-Festival erinnern die Berliner Philharmoniker auf ihre ganz eigene Art und Weise an Die Goldenen Zwanziger, die vielleicht im Wortsinn verrücktesten Jahre des vergangenen Jahrzehnts. Am vierten von fünf Abenden wird im Vorfeld viel versprochen. Ein Abend im Moka Efti lautet der Titel des Abends. Na, berauschender kann ein Abend wohl kaum werden. Fernsehzuschauer kennen das Moka Efti wenigstens dem Namen nach aus der Serie Babylon Berlin. Dafür wurde der Tanzsaal des Tanzpalastes nicht originalgetreu im fast so berühmten Kino Delphi nachgebaut. Man braucht über das Berlin der zwanziger Jahre nicht zu sprechen, wenn man das Moka Efti auslässt. 1926 eröffnete Giánnis „Giovanni“ Eftimiades das Café Moka Efti an der Leipziger Ecke Friedrichstraße. Drei Jahre später erwarb er mit Hilfe britischer Investoren den gegenüberliegenden Equitable-Palast. Aus dem Café wurde eine Art Shopping-Mall mit Friseur, Stenografie-Service, Billardsalon und vielem mehr. Eine der Attraktionen war die Rolltreppe, über die man die obere Etage erreichte. Das neue Moka Efti entwickelte sich rasch zum erfolgreichsten Café Berlins mit einem Ausschank von mehr als 25.000 Tassen pro Tag. Hier pulsierte das Leben, wurden von Orchestern die neuesten Schlager gespielt. Hier wurde getanzt, geliebt, gekokst, gegessen und getrunken.

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Wer dort einen Abend verspricht, hat sich was vorgenommen. Und so lässt man zum vierten Mal den Einstiegstrailer geduldig über sich ergehen, hört in der Einleitung zum Abend von Tänzen wie Shimmy, Foxtrott und Tango und freut sich auf das Flair jener Zeit. Gut, es werden keine Kaffeehaus-Tische aufgestellt sein und die Musiker werden nicht in der Kleidung jener Zeit auftreten. Schließlich findet auch dieser Abend in der Philharmonie statt. Und der Einstieg ist auch vielversprechend. Schauspielerin Dagmar Manzel, neben Diana Damrau der einzige Gast des Festivals abseits des Pultes, singt den Berlin-im-Licht-Song von Kurt Weill. „Komm, mach mal Licht, damit man sehen kann, ob man da ist“, swingt es von der Bühne. Schön, dann kann es ja jetzt losgehen mit Charleston, Quickstep und Tango. Wir tauchen ein in das Nachtleben im Moka Efti. Halt, nein! So haben es die Berliner Philharmoniker doch gar nicht gemeint. War doch nur Werbung für den Abend, der Titel. Mehr so assoziativ wahrscheinlich. Und so gibt es Orchestermusik, die die Tänze im Namen trägt, vermutlich aber 1929 sehr schnell dafür gesorgt hätte, dass der Tanzsaal im Moka Efti genauso leergeblieben wäre wie heute die Ränge in der Philharmonie.

Um dem Schwerpunkt des Festivals treu zu bleiben, gibt es als nächstes die Suite panaméenne von Weill. Zum Einstieg was Instrumentales mehr zum Schwofen. Dann folgen mit jeweils kurzen Pausen, um die Noten zu ordnen, ein Marsch mit Augenzwinkern, ein schwüler Tango und ein Foxtrott, der eigentlich eher ein Quickstep ist. Tanzen würde zu dieser Musik zumindest heute kaum jemand mehr. Abgerundet wird die Suite mit einem Text aus Josephine Bakers Erinnerungen, den Manzel auswendig vorträgt. Kommt einem bekannt vor? Richtig. Die Texte, die Manzel an diesem Abend frei – und schön – deklamiert, hat sie am Vorabend alle schon mal hintereinander weg gelesen. Es folgen noch Trude Hesterbergs Was ich noch sagen wollte und Lotte Lenyas Kennenlernen mit Bertolt Brecht. Wiederholung ist ja auch in der Dramaturgie ein beliebtes Kunstmittel, der Arbeitsverkürzung wird sie hier kaum gedient haben, bei all dem Aufwand, den alle anderen im Festival betreiben. Das mag man sich nicht vorstellen.

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Jazz und Swing gehörten zu den meistgehörten Stilrichtungen jener Zeit. Das änderte sich bekanntlich erst in den 1930-er Jahren, als die Nationalsozialisten Schilder vor den Tanzcafés aufstellten, dass „Swingtanzen“ verboten sei. Um den Jazz auch im Konzert zu hören, haben die Philharmoniker Two Jazzolettes von Mátyás Seyer ausgewählt. Komponiert in den Jahren 1929 und 1932 in Frankfurt, stehen sie gewiss nicht stellvertretend für die Kaffeehaus-Musik in Berlin. Das dürfte auch für die Suite from the Twenties von Stefan Wolpe gelten. Sie umfasst einen Marsch, zwei Tangos, einen Charleston, eine Rag-Caprice und einen Blues. Dass Wolpe sich in Reduktion übte, ist hier deutlich zu hören. Also, es ist so deutlich zu hören, dass man die Tänze eigentlich nur mit äußerst geübtem Ohr erkennt.

Wenn Kurt Weill bisweilen mit seiner Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht haderte, lag es daran, dass er der Auffassung war, seine Musik sei bedeutsamer als die Texte Brechts. Einen deutlichen Beweis des Gegenteils liefern die Berliner Philharmoniker, wenn sie die Kleine Dreigroschenmusik spielen, eine weitere Suite, die unter anderem Die Moritat von Mackie Messer, den Kanonen-Song und Die Ballade vom angenehmen Leben umfasst. Da können die Musiker noch so virtuos und konzentriert spielen, ohne Texte, deren politische Hintergründe und die Akzente, die sie setzen, ist selbst die Orchesterfassung in ihrer vor allem emotionalen Wirkung kaum mehr als ein Klavier-Auszug.

Nach rund 75 Minuten läuft der Abspann an. Da hatte doch irgendein Witzbold noch Ernst Kreneks Drei lustige Märsche auf den Programmzettel gesetzt, ohne das Orchester informiert zu haben. Also entfallen die kurzerhand und ohne weitere Begründung.

Michael Hasel leitet die Berliner Philharmoniker in wechselnder Besetzung durch den Abend, immer ein wenig den Schalk im Nacken und bemüht, die swinging moments in den Vordergrund zu heben. Die nicht genug zu lobende Bildregie zeigt den hochkarätigen Einsatz der Musiker en detail mit all ihrer Konzentration und Spielfreude. Das macht Spaß. Und entschädigt ein wenig für den entgangenen Abend im Moka Efti. Am 27. Februar startet das Festival mit Christian Thielemann am Pult in die letzte Runde. Auf dem Programm steht dann Richard Strauss, dessen Orchesterlieder von Diana Damrau interpretiert werden. Und die Besucher werden erfahren, was der Komponist aus Garmisch-Patenkirchen mit den Goldenen Zwanzigern in Berlin zu tun hat.

Michael S. Zerban