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Es schneit. Und schneit. Immerfort. Eine leere, post-apokalyptische Landschaft mit an Caspar David Friedrich erinnerndes, fahles Licht hüllt die Bühne ein. Nur ein einziger, kahler Baum deutet an, dass es vielleicht doch Leben gab. Wie aus einer anderen Welt tönen die Holzbläser in leicht erkennbaren Straussschen Weisen aus dem Graben. Es schneit weiter, fast ununterbrochen durch das zweistündige Werk ohne Pause.
In dieser Landschaft spielt sich die Geschichte der Daphne ab: In ferner griechischer, mythologischer Zeit ist sie die junge Tochter des Fischers Peneios und seiner Frau Gaea. Die Vorbereitungen für ein Fruchtbarkeitsfest zu Ehren Dyonisius‘ sind im Gang. Daphne fühlt sich in dieser Gesellschaft befremdet, sie ist ein Naturkind. Ihr Jugendfreund, der Schäfer Leukippos, will ihr seine Zuneigung zeigen; sie lehnt diese ab. Ermuntert von ihren Freundinnen, kleidet sich Leukippos als Frau, um in Daphnes Nähe zu kommen. Auch der Gott Apollo ist von Daphne entzückt und erscheint als Hirte. Er umgarnt sie und verführt sie sogar zu einem Kuss, nach dem sie gleich flieht. Die Prozession zum Fest findet statt, Leukippos reicht Daphne einen Becher Wein, worauf Apollo eifersüchtig reagiert und ein Unwetter aufziehen lässt, um den Feierlichkeiten ein Ende zu setzen. Es kommt zwischen den Männern zu einem Showdown, Apollo tötet Leukippos. Daphne nimmt die Schuld dieser Aktion auf sich, worauf Apollo reumütig die Götter bittet, Leukippos in den Olymp aufzunehmen. Daphne wird in einen Baum verwandelt – sie wird eins mit der von ihr so geliebten Natur.
Foto © Monika Rittershaus
Romeo Castellucci, der für Regie, Bühnenbild, Kostüme und Licht verantwortlich zeichnet, verrätselt und verdreht alles: diese arktische Landschaft ist nicht Griechenland, es gibt kein Anzeichen von den angesungenen blühenden Reben, Daphne besingt den Tag und die Sonne, auf der Bühne entsteht höchstens ein angedeutetes abendliches Glühen mit Wolkenschatten, die Natur im Winterschlaf, alles ist kalt und verschneit. Die Hirten stampfen, dick in ihre Anoraks eingehüllt, durch den Schnee. Nur Brocken eines Tempelfrieses und ein weiblicher Torso deuten auf eine längst verlorene Zivilisation. Daphne, in ihrem unerbittlichen Drang, der Natur nahe zu stehen, entkleidet sich bis auf ihre knappen Dessous, trotzt der augenscheinlichen Kälte und beschmiert sich mit Erde, um sich schließlich darin einzugraben – sie wird die Wurzel des Baumes. Zuletzt wird eine überdimensionale Abbildung des Titelblatts von T. S. Elliots The Waste Land, erschienen 1922, also deutlich früher als die Uraufführung von Daphne, sichtbar. Will uns Castelucci sagen, in unserer Gesellschaft halten noch wenige Gestrige an längst überholte Traditionen fest, nur Daphne bekennt sich zur trostlosen, von Klimakrisen gerüttelten Wirklichkeit?
Auch menschlich kommen sich die Charaktere nicht nah – selbst wenn Apollo Daphne verführt, scheint das eher, als suchen zwei Wesen körperliche Wärme, von Sinnlichkeit keine Spur. Für den Höhepunkt der dionysischen Feierlichkeiten wird Daphne widerwillig auf einen Altar gelegt. Da kommen Erinnerungen an Stravinskys Sacre du Printemps auf – allerdings passen die fünf Tänzerinnen im Daunenskidress nicht wirklich dazu.
Castellucci scheint zielgerichtet gegen das Libretto zu arbeiten, dem Publikum zeigen zu wollen, dass alles auch eine entgegengesetzte Deutung haben kann. Ob das dem doch so selten gespielten Werk dienlich ist, darf man bezweifeln. Seit der Uraufführung 1938 an der Semperoper in Dresden, hat sich das einaktige Werk mit einem Libretto von Joseph Gregor schwergetan, einen Platz im gängigen Repertoire der Opernhäuser zu finden.
Foto © Monika Rittershaus
Die Musik unter der Leitung von Thomas Guggeis ist unverkennbar Richard Strauss mit seinen orchestralen Farben und Vielstimmigkeit. Er kämpft teilweise mit der Akustik der komplett nach hinten offenen Bühne, wo sich die Stimmen der Sänger, sobald sie nicht an der Rampe stehen, im hohen Bühnenraum verflüchtigen. Es gilt, eine Balance für Orchester und Sänger zu finden, damit beide im Zuschauerraum gut vernommen werden. Das ist besonders bei den tiefen Stimmen von René Pape und Anna Kissjudit deutlich.
Eindeutiger Star des Abends ist Vera-Lotte Boecker als Daphne mit glasklaren Koloraturen. Schlank und zierlich, körperlich wie stimmlich, verkörpert sie die unschuldige Kindfrau, die den Männern unwillkürlich den Kopf verdreht. Hätte Daphne noch einige Jahre gelebt und wäre sich dieser Gabe bewusst gewesen, wäre sie eine perfekte Lolita oder Salome geworden.
Anna Kissjudit ist die bodenständige Mutter, die mit warmem Mezzo ihrer Tochter die gesellschaftlichen Konventionen – erfolglos – beibringen will. René Pape als Vater Peneios ist eine Luxusbesetzung für die kleine Rolle. Leukippos ist der verliebte jugendliche Freund, der durch den frischen und schlanken Tenor von Magnus Dietrich verkörpert wird. Tenor Pavel Černoch tritt als sein Rivale und erfahrener Gott Apollo mit maskulinem Gebaren auf.
Übrigens: Ein großes Lob an die Schneespezialisten unter den Technikern. So einen eindrucksvollen, lebensechten, ästhetischen Schneefall gibt es nicht oft. Erst große Flocken, dann kleine – und die passende sanfte Beleuchtung – geben dem trostlosen Bühnenbild eine melancholische Schönheit.
Zenaida des Aubris