O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Aktuelle Aufführungen

Doppelbödige, bittersüße Angelegenheit

COSÌ FAN TUTTE
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Besuch am
11. März 2023
(Premiere)

 

Komische Oper Berlin

Die Oper geht los, bevor sie losgeht:  Die Bühne ist durchweg geteilt auf zwei Ebenen.  Zu Anfang sind es Fitnessstudios mit grellem Neonlicht – die Mädels machen oben Yoga und Selfies, die gleich gepostet werden; unten schnaufen, boxen und stemmen die Männer Gewichte. Hier wird mit den neusten Apps trainiert, damit der Herzschlag auch richtig ansteigt. Auch bei Mozart kann man ins Schwitzen kommen! Ganz selbstverständlich also, dass sich der erfahrene Don Alfonso mit den beiden milchgesichtigen Buben Ferrando und Guglielmo einlässt und so die Wette entsteht, ihnen zu beweisen, dass ihre hübschen Verlobten ihnen nicht treu bleiben werden.

Kirill Serebrennikov geht gar nicht auf die übliche Maskierungscharade ein. Der Abschied der beiden jungen Männer, die überraschend ins Militär einberufen werden, von ihren Verlobten Fiordiligi und Dorabella beweint und mit Kriegsvideos bebildert, wie wir sie aktuell jeden Tag in den Nachrichten sehen. Die Abschiedstrauer ist noch nicht vorüber, da erhalten die in modische schwarze Kleider gewandeten Trauernden auch schon die Urnen mit der vermeintlichen irdischen Asche ihrer Liebsten inklusive blumigen Heldenschmucks. Kein Wunder, wenn die Vertraute Despina – mit einer angezeigten digitalen Zahlung von 20.000 Euro von Don Alfonso schon auf ihrem PayPal-Konto – den beiden Trauernden zwei muskelbepackte, tätowierte Jungs anpreist. Diese stummen Rollen – von Goran Jurenec und Amer El-Erwadi äußerst realitätsnah verkörpert – geben dem Ganzen eine raffinierte Erotik. Das erhöht die Spannung und macht auch aus dem Zuschauer einen Voyeur, während Ferrando und Guglielmo als Avatare ihrer selbst ihre eigenen Verführungskünste besingen. Die zwei Ebenen verwandeln sich in Boutiquen, in denen die Mädels shoppen gehen, dann in designergestylte Wohnungen – mal die integrierte Küche samt Espressomaschine, mal minimalistisch eingerichtetes Schlafzimmer. Kirill Serebrennikov zeichnet für Regie, Bühnenbild und Kostüme verantwortlich.

Die Schlussszene der Così ist immer eine Herausforderung für den Regisseur – wie geht es aus, wie verhalten sich Fiordiligi und Dorabella, wenn ihre ursprünglichen Verlobten zurückkehren? Serebrennikov ist konsequent bei seinen Doppeldeutungen: Die Hochzeit mit den Fremden wird als Albtraum dargestellt mit einer kurzen musikalischen Einlage der Höllenfahrt aus Don Giovanni, komplett mit Stroboskoplicht, schwarzen Bären mit Hörnern – in Bayern würde man sie als Wolpertinger bezeichnen – die Bräute in fantasievollen, traditionellen albanischen Hochzeitsgewändern. Wenn der Hokuspokus endet, sitzen beide Paare entfremdet auf dem Boden. Ausgang ungewiss. Don Alfonso sprayt Così fan tutte als Grafitto auf die Hinterwand. Streicht das tutte aus und macht daraus tutti – so machen es alle und nicht nur die Frauen.

Dirigentin Katharina Müllner kämpft gelegentlich gegen die schwierige Synchronität und Balance, die aus der zwei-geteilten Bühne resultiert. Ansonsten führt sie das Orchester der Komischen Oper mit musikalischer Leichtigkeit und flotten Tempi in ihrem Dirigenten-Debüt der Mozart-Oper.

Das junge Ensemble beweist einmal mehr die gute Besetzungspolitik der Komischen Oper. Spielfreudig und musikalisch sind die Sängerdarsteller allesamt. Sopran Nadja Mchantaf ist eine ausdrucksstarke Fiordiligi, die verzweifelt versucht – plakativ dargestellt, indem sie ein Neonkreuz umarmt – an ihren Gefühlen der Treue festzuhalten, um sich dann doch den Verführungskünsten des jungen Mannes hinzugeben. Mezzosopran Susan Zarrabi verleiht ihrer Dorabella einen kokettierenden und lustvollen Ausdruck. Despina wird von der Sopranistin Alma Sadé eher blass und überfordert dargestellt. Serebrennikov scheint sich wenig für sie ausgedacht zu haben. Die Rollen des Medicus und des Notars findet man nur in der Musik, nicht schauspielerisch umgesetzt. Ihr Gegenspieler, Don Alfonso, von Bariton Günter Papendell gesungen, ist stärker definiert – er trinkt, raucht und poltert herum mit einer Qualität in seiner Stimme, die ihn wirklich zu einem alten Mann macht. Tenor Caspar Singh ist ein Ferrando der zumindest an diesem Abend einige Intonationsunsicherheiten in der Höhe zeigt. Als Guglielmo findet Bariton Hubert Zapiór sich eher zurecht, wobei beide Herren kultiviert, aber behutsam zurückhaltend klingen.

Die Inszenierung ist eine Koproduktion mit der Oper Zürich. Dort hatte Kirill Serebrennikov sie schon 2018, als er sich in Moskau unter Hausarrest befand, über seinen Assistenten in Abwesenheit herausgebracht. Damals durfte er seine Wohnung nicht verlassen. Wie er im Programmheft schreibt, hat die Musik von Mozart – übrigens ist es seine erste Mozart-Inszenierung – „einen besonderen Wert für mich, denn ich sehe sie mitten im niemals endenden Widerstand gegen die Finsternis und den Tod“. Man darf auf seine nächsten beiden Inszenierungen der Da-Ponte-Trilogie an der Komischen Oper gespannt sein.

Zenaida des Aubris