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Aktuelle Aufführungen
TOSCA
(Giacomo Puccini)
Besuch am
24. Mai 2023
(Premiere am 23. Mai 2023)
Die Grieghallen im norwegischen Bergen sind zwar als Gebäude nicht besonders architektonisch auffallend, und auch der Saal ist eher sachlich gestaltet, aber man vergisst alles, wenn die ersten Takte ertönen und die wunderbare Akustik sich bemerkbar macht. So auch bei der Premiere des 71. Festivals mit einer konzertanten Aufführung der Tosca. Besonders auch deswegen, weil es das Rollendebüt von Lise Davidsen ist. Freddie de Tomaso als Cavaradossi und Bryn Terfel als Scarpia sind die anderen Hauptdarsteller unter der Leitung von Edward Gardner.
Seit 2015 kennt man den Namen Lise Davidsen, als sie wie eine Bombe in die Opernwelt einschlug und gleich drei wichtige Wettbewerbe im gleichen Jahr gewann: den Operalia-, Hans-Gabor-Belvedere- und in ihrem Heimatland den Königin-Sonja-Wettbewerb. Mit ihrem jugendlich-dramatischen Sopran verzaubert sie seitdem auf den großen Bühnen der Welt als Sieglinde in Walküre, Elisabeth in Tannhäuser, Eva in Meistersinger, aber auch als Ariadne oder Lisa in Pique Dame.
Foto © Thor Brødreskift
Nun traut sie sich an das wichtige Puccini-Repertoire. Ein gewagter Sprung ins Feuer. Jetzt ist sie 36, sieht immer noch wie Mitte zwanzig aus und verfügt über eine wunderschön strahlende, butterweiche Höhe. In dieser ersten Tosca ist sie eher die naive, liebende Kind-Frau. Sicherlich wird die dramatische, weltgewandte Souveränität, die wir von vielen berühmten Toscas der Vergangenheit kennen und die Merkmale dieser Figur geworden sind, noch mit der Zeit dazukommen. Oder auch nicht – jede große Sängerin prägt diese Rolle auf ihre eigene Art, und das wird auch Davidsen so halten. Dass sich ihre italienische Aussprache noch verbessern kann und sie nicht mehr eine Partitur brauchen wird, kommt in Zukunft oder vermutlich, sobald sie an einer szenischen Produktion teilnimmt. Als Rollendebütort konnte sie sich keinen besseren auswählen – am diesjährigen Bergen-Festival ist sie Artist-in-Residence, gibt noch eine Meisterklasse und einen Liederabend und übernimmt die Sopranpartie beim Messa da Requiem von Verdi.
Tenor Freddie De Tommaso ist ihr Cavaradossi – auch er mit strahlenden, wenn auch etwas forcierten Spitzentönen – als argloser Künstler, der sich in eine politische Intrige hineinziehen lässt. Besonders seine Arie im dritten Akt E lucevan le stelle betört mit einer gefühlten und ehrlichen Innigkeit.
Bryn Terfel ist der Inbegriff eines machtgierigen Scarpia. Jeder noch so kleine Blick, jede Fingerbewegung verrät seine Erfahrung in dieser Rolle und wie er sie zu eigen gemacht hat. Seine dramatische Präsenz ist schier überwältigend.
Foto © Thor Brødreskift
Bassbariton Ashley Riches gibt den Angelotti mit angemessener Intensität und Verzweiflung. Christian Valle setzt seinen ausdrucksstarken Bass in der Rolle des Sakristan mit einem Hauch Humor ein. Auch die beiden Handlanger von Scarpia, Tenor Kjetil Støa als Spoletta und Bass Ludvig Lindström als Sciarorone bringen viel Engagement in ihren Nebenrollen. Der Knabensopran Olav Frøyen Sandvik als Hirtenjunge rührt jedes Herz mit seinem Lied am Anfang des dritten Aktes.
Unter der Leitung von Chormeister Håkon Matti Skrede füllt der gemischte Chor und Kinderchor den Saal mit überzeugenden Klängen, obwohl er hinter dem Orchester platziert ist. Das spricht ebenfalls für die gute Akustik des Saales.
Edward Gardner, Musikdirektor des Bergen Filharmoniske Orkester seit 2015, führt die Musiker souverän. Nie lässt er das Orchester die Sänger überdecken, unterstützt sie, wo er kann, lässt den Streichern viel Raum in den symphonischen Passagen und pocht auf Dramatik im Finale des ersten Aktes mit dem Einsatz der gesamten Schlagzeugbrigade.
Der Saal ist bis auf den letzten Platz ausverkauft. Man merkt, diese Premiere ist ein stadtweites Galaereignis, nicht zuletzt, weil auch König Harald und Königin Sonja anwesend sind. Für sie gibt es zwei besonders schöne, rote Sessel in der ersten Reihe. Es gibt standing ovations für Sänger, Dirigent, Chor und Orchester nach der Aufführung. Eine besonders rührende Geste beim Schlussapplaus ist das Überreichen eines Blumenstraußes durch Königin Sonja von Norwegen an Lise Davidsen, die sie seit Jahren kennt und deren Karriere sie verfolgt. Am nächsten Tag ist Davidsen bei einem Publikumsgespräch ganz entspannt, aber noch ungläubig und fragt „Ist das wirklich passiert?“
Zenaida des Aubris