O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Szene aus Die Walküre - Foto © Enrico Nawrath

Aktuelle Aufführungen

Noch immer nicht gelungen

DER RING DES NIBELUNGEN
(Richard Wagner)

Besuch vom
26. Juli bis 1. August 2023
(Premiere 2022)

 

Bayreuther Festspiele, Festspielhaus

Die Proteste gegen Valentin Schwarz‘ Bayreuther Inszenierung des Rings des Nibelungen fielen im zweiten Jahr zwar kürzer, dafür aber umso heftiger aus. Szenisch ist die Produktion des gewaltigen Herzstücks der Festspiele nicht zu retten. Schwarz‘ konstruierte Eigendichtung deckt sich mit Wagners Libretto und Musik so sinnvoll oder besser sinnlos wie ein Grimmsches Märchen mit Shakespeares Hamlet.

Wagners ebenso utopische wie realitätsnahe Warnung vor einer materialistischen Gesellschaft ohne menschliche Empathie und Rücksicht auf die Umwelt blendet Schwarz aus und banalisiert die Geschichte zur Saga einer verkorksten Familie, für die er den Ring als Symbol hybrider Machtfantasien durch ein Kind ersetzt. Schließlich seien Kinder die Hoffnungsträger einer besseren Zukunft. Das mag zutreffen, ist aber so kurz gegriffen, dass Kinder bei Schwarz in allen Altersstufen, lebendig oder als Puppen, zwar allgegenwärtig sind, letztlich aber nur als hilflose Staffage Verwirrung stiften. Wie auch Schwarz‘ Scheu vor den zentralen, nicht zuletzt die musikalische Struktur bestimmenden Symbolen wie der Weltesche, des Rings, Schwerts oder Speers zu abstrusen Spielereien mit Waffenarsenalen von der Wasserpistole bis zur messerscharf geschmiedeten Gehhilfe führt. Von völlig sinnentstellenden und der Dramaturgie widersprechenden Entgleisungen nicht zu sprechen, wenn etwa Sieglinde bereits vor dem Zusammentreffen mit ihrem Bruder Siegmund schwanger ist und die von Wotan inszenierte Blutschande, mit der der Gott seine moralische und politische Demontage beschleunigt, ausgeklammert bleibt. Womit die große Auseinandersetzung zwischen der moralisch konservativen Fricka und Wotan ebenso überflüssig wird wie der Sühnetod Siegmunds. Mit desaströsen Folgen für einen logischen Verlauf der Handlung.

Trotz Kindersegens endet Schwarz‘ Götterdämmerung im Untergang aller Menschen. In scharfem Widerspruch zu Wagner, der lediglich das Ende einer alten, inhumanen Weltordnung ankündigt, der überlebenden Menschheit jedoch eine dicke Prise Hoffnung mit auf den Weg gibt.

Szene aus Siegfried – Foto © Enrico Nawrath

Musikalisch weckte vor allem der ursprünglich für den Ring vorgesehene, aber durch Pandemie und eigene Krankheiten mehrfach ausgefallene Dirigent Pietari Inkinen große Erwartungen. Die kann er nur teilweise einlösen. Nach einem erschreckend langweilig und undifferenzierten Rheingold verleiht er der Walküre und dem Siegfried zwar mehr Schwung, setzt aber zunehmend auf dynamischen Hochdruck. Was die Sänger zu forcierten Kraftakten drängt. Besonders stark ausgerechnet in den Teilen, dem dritten Akt des Siegfried und der Götterdämmerung, die Wagner spezifisch auf die Akustik des Festspielhauses ausrichtete. Wodurch Wagner auch den gewaltigsten Klangmassen so viel Druck nimmt, dass sich die Sänger relativ mühelos selbst gegen die stärksten Wogen durchsetzen könnten, wenn der Dirigent die Chancen wahrnimmt und das Riesenorchester nicht ungefiltert aufbrausen lässt. So wie es Pablo Heras-Casado bei seinem glänzenden Bayreuther Debüt mit dem Parsifal gelang. Wenn auch noch etliche Stellschrauben zu korrigieren sind, kann sich Inkinen in einem langen Bad fast hysterischer Ovationen baden.

Und zufrieden zeigt sich das Publikum auch mit den Gesangsleistungen. Etliche kurzfristige Umbesetzungen fördern nicht unbedingt die Homogenität des vielköpfigen Ensembles. Anders als im Vorjahr steht mit Catherine Foster für die Walküre und Götterdämmerung eine herausragende Brünnhilde zur Verfügung. Auch Daniela Köhler als Brünnhilde im Siegfried setzt mit ihrer jugendlichen, noch lyrisch angehauchten Stimme starke Akzente. Andreas Schager, der neben den beiden Siegfried-Partien auch noch den Parsifal übernahm und alle drei Partien an drei aufeinander folgenden Tagen stemmte, beeindruckt vor allem mit seiner Kondition. Angesichts des massiven Orchesterklangs bleibt für feinere Zwischentöne wenig Platz.

Mangelhafte Textverständlichkeit, aufgrund internationaler Besetzungen oder Defiziten in der Gesangsausbildung, ist allerorten zu beklagen, nicht nur in Bayreuth. Problematisch wird es, wenn von einer zentralen Partie wie der des Wotans, die Wagner an den entscheidenden Passagen denkbar zurückhaltend instrumentierte, kaum ein Wort zu verstehen ist. Die starke Bühnenpräsenz von Tomasz Konieczny kann das Manko kaum ausgleichen. Umso wohltuender sticht die messerscharfe Diktion von Klaus Florian Vogt als Siegmund heraus, der sich mit seinem lyrischen Timbre gegen die Sieglinde von Elisabeth Teige harmonischer behaupten kann als im letzten Jahr gegen Lise Davidsen mit ihrer raumsprengenden Stimme. Als Tannhäuser gerät Vogt heuer allerdings an seine Grenzen, während Elisabeth Teige als Elisabeth regelrecht aufblüht.

Ein Vorbild an Verlässlichkeit, Textverständlichkeit und Stimmschönheit bietet der Bassist Georg Zeppenfeld, der im Ring zwar nur die relativ kleine Rolle des Hunding zu bewältigen hat, aber als Gurnemanz im Parsifal und mit weiteren Partien im Fliegenden Holländer und Tristan und Isolde viel beschäftigt ist. Licht und Schatten halten sich beim Rest des Ensembles die Waage.

Dass beim Ring mancher Platz unbesetzt bleibt, mag nach der Korona-Zäsur nicht verwundern. Aber das Geld für vier Aufführungen eines szenisch missratenen Zyklus‘ zuzüglich Reisekosten sitzt nicht mehr so locker wie in früheren Zeiten.

Pedro Obiera