O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Andreas Harbach

Aktuelle Aufführungen

Talentierter Komponist

I PORTENTOSI EFFETI DELLA MADRE NATURA
(Giuseppe Scarlatti)

Besuch am
9. Juli 2022
(Premiere)

 

Markgräfliches Opernhaus Bayreuth

Scarlatti ist nicht gleich Scarlatti. Die Werke von Alessandro und Domenico sind auch heute noch bekannt. Giuseppe Scarlatti war wahrscheinlich mit beiden nicht verwandt, aber ein genauso talentierter Komponist. Zu Lebzeiten, er ist um 1718 in Neapel geboren und 1777 in Wien gestorben, schätzte das Publikum seine Opern sehr. Später gerieten sie in Vergessenheit.

Inseln war das Motto der diesjährigen Musikfestspiele Sanssouci. Intendantin Dorothee Oberlinger hat Giuseppe Scarlattis komödiantische Oper I portentosi effetti della madre natura – Die wundersamen Wirkungen von Mutter Natur – auf der Suche nach Stücken, die einst im Schloss oder der Region aufgeführt worden waren, neu entdeckt. Seit der Zeit Friedrichs II. von Preußen war das Werk, das 1752 in Venedig uraufgeführt worden war, nicht mehr zu hören. Bestandteile fanden sich in den Archiven des Musikvereins Wien und in Wolfenbüttel. Francesco Russo und Giovanni Benvenuti erarbeiteten eine vollständige musikalische Version, basierend auf dem Libretto von Carlo Goldoni.

Die Neufassung, produziert von den Musikfestspielen Sanssouci in Zusammenarbeit mit Musica Bayreuth, erlebte vier hochgelobte Aufführungen in Potsdam. Nun gastiert Dorothee Oberlinger mit ihrem Ensemble 1700 an zwei Abenden im prächtigen Markgräflichen Opernhaus Bayreuth. Das barocke, 1748 eingeweihte Hoftheater ist Unesco-Weltkulturerbe und wurde 2018 nach einer umfassenden Renovierung wiedereröffnet. Anders als das ebenfalls berühmte Festspielhaus auf dem Grünen Hügel, das erst über ein Jahrhundert später entstand, liegt es direkt im Zentrum Bayreuths.

Es vermittelt ein gutes Gefühl, wieder festlich gewandetes Publikum auf dem Bayreuther Pflaster zu sehen. Erst im strahlend erleuchteten Innenraum zeigt sich, dass nur gut die Hälfte der Plätze belegt ist.

Dorothee Oberlinger – Foto © Andreas Harbach

Oberlinger wählte das Stück auch wegen des humorvollen Plots: Celidoro, rechtmäßiger Herrscher Mallorcas, wurde seit seiner Kindheit gefangen gehalten, konnte aber als Erwachsener fliehen. Prompt verliebte er sich in Cetronella. Sie ist die erste Frau, die ihm begegnet, ist allerdings vergeben. Ruggiero herrscht mit Gattin Lisaura an Celidoros Stelle. Er versucht vergebens, seinen frisch entflohenen Kontrahenten umzubringen. Als sich beide in Ruspolina verlieben, ist das Chaos perfekt. Nach weiteren Irrungen und Wirkungen, Tricks und Ränkespielen enden der politische Konflikt und die privaten Beziehungen mit einem Happy End für alle, Tote gibt es nicht.

Das Opernregiedebüt des Filmemachers Emmanuel Mouret enttäuscht, mitsamt den fast einheitsblau-grau-beigefarbenen Kostümen und dem Bühnenbild. Eine solch schwungvolle Oper muss auch visuelles Fest sein und darf nicht zum Kammerspiel mutieren. Mouret lässt den Sehnsuchtsort Mallorca zur Bürohölle mit schäbigem, minimalistischem, altmodischem Interieur werden. Die Protagonisten stecken in freudlosen, schlechtsitzenden, schlichten Alltagsklamotten, werden zur Putzfrau oder zur Handwerkerin. Diese armselige, billige Alltagswirklichkeit passt weder zum Ambiente des bombastischen Opernhauses noch zu den imponierenden Glanzleistungen eines jeden Ensemble-Mitglieds.

Die Besetzung ist exzellent. Alle Sänger begeistern mit scheinbar mühelos gelingenden Koloraturen in ihren verschiedenen Stimmlagen – es ist eine unbändige Freude, zuzuhören. Alle singen hervorragend, niemand steht den anderen nach. Der britische Tenor Rupert Charlesworth, derzeit festes Mitglied im Ensemble der Staatsoper Hannover, macht Celidoro zum echten Sympathieträger, dem die Herzen der Zuhörer schneller zufliegen als die der anvisierten Damen. Benedetta Mazzucato singt als Cetronella äußerst souverän und pointiert. Der italienische Countertenor Filippo Mineccia verleiht der Rolle des Ruggiero die nötige machtbewusste Ausstrahlung. Sopranistin Roberta Mameli entzückt als dessen empathische Ehefrau Lisaura und bestärkt mit ihrer Ausdrucksfähigkeit die Tiefgründigkeit des Librettos. Die Österreicherin Maria Ladurner glänzt als kokette, selbstbewusste Ruspolina.

Mit dieser Opera buffa hat Oberlinger einen echten Schatz gehoben. Das Stück ist durch seine fantasievolle und ausgeprägte, für diese Entstehungszeit eher ungewöhnliche Stilmischung und einige sogar experimentell anmutende Passagen über die gesamte Spieldauer von zweieinhalb Stunden musikalisch spannend und abwechslungsreich. Kastagnetten und eine Laute verleihen volkstümlichen Charme, die Pauken und Trompeten spiegeln das herrschaftliche Leben. Oberlinger dirigiert ihr fantastisches Ensemble 1700 engagiert, genauso schwungvoll wie entspannt und mit extremem Feingefühl – kein Instrument kommt zu kurz, sogar die Harfe von Maximilian Ehrhardt und die Laute von Axel Wolf behaupten sich neben den starken Streichern und Bläsern. Die verschiedenen Soli imponieren. Zwei Musiker ersetzen kurzfristig erkrankte Kollegen: Olga Watts, deren intensives Cembalo-Spiel im Gedächtnis bleiben wird, und Riccardo Coelati am Kontrabass. Sogar ertönt – hin und wieder – einfach mal keine Musik. Die Stille hat eine positive dramaturgische Wirkung.

Die Lösung angesichts der langweiligen Regiearbeit: Die Augen schließen, Musik und Gesang genießen. Dabei den Duft der hölzernen Fußbodendielen und Balkone einatmen – herrlich! Einen derart musikalisch perfekten, kurzweiligen Abend erlebt man selten. Schon nach kurzer Zeit ertönen Bravo-Rufe, auch der stürmische Schluss-Applaus zeugt von einem tief beeindruckten Publikum.

Lucie Peetz