O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Mareike Zeis

Aktuelle Aufführungen

Über Träume und Utopien

CANZONI SEGRETE
(Diverse Komponisten)

Besuch am
23. Mai 2022
(Einmalige Aufführung)

 

Das Zentrum, Bayreuth

So geheim sind sie gar nicht mehr, die geheimen Lieder. Zu Jahresbeginn erschien Pippo Pollinas 24. Album Canzoni segrete. Die Medien schwärmen, nicht nur das Schweizer Radio und Fernsehen SRF bezeichnet es als „Meisterwerk“.

„Jemand schrieb mir: ‚Wir holten den verstaubten CD-Player aus dem Keller, luden Freunde ein und hörten gemeinsam die neuen Lieder. Schon lange hatten wir nicht mehr so einen schönen Abend’“, erzählt der aus Sizilien stammende Wahl-Schweizer. Sogar auf Vinyl brachte er die Scheibe heraus.

Die Europa-Tour feierte am 28. Februar in Lugano Premiere. Nach Konzerten in der Schweiz, in Italien, Österreich und Luxemburg gastiert das Palermo Acoustic Quintet nun auch in Bayreuth im Zentrum, einem internationalen Jugendkulturzentrum.

Spärlich besucht zeigt sich der Saal mit 120 Besuchern. Die Pandemie hat Spuren hinterlassen. Schon die CD-Produktion hatte sich verzögert, die Tour wurde mehrmals verschoben. Aber: „Ein Repertoire ist erst vollkommen, wenn man es live präsentiert“, sagt Pollina. „Diese 20 Quadratmeter Bühne bedeuten für uns Künstler eine Heimat.“

Die wichtigste Botschaft des Abends überbringt der Liedermacher, der selbst auch abwechselnd Gitarre und Piano spielt, gleich im ersten Titel Una musica anche domani: „Auch morgen wieder so eine Musik – sie wird uns retten – noch einmal retten.“ Pollinas volle, warme Stimme erreicht die Seele ab dem ersten Ton. So sind diese Querflöten-umspielten Zeilen ein Versprechen an ihn selbst und das Publikum.

Melancholisch, mit dem satten Klang von E-Gitarre und E-Bass, klingt Guarda scende la neve – Schau mal, wie der Schnee fällt. Der Frontmann erinnert sich: „Als ich 20 Jahre alt war, reiste ich mit der Band nach Tirol. Plötzlich sahen wir diese wunderschöne, weiße Landschaft! Es gab keine Grenze mehr zwischen Himmel und Erde!“ Am Bahnhof Innsbruck lieferten sich die Musiker die erste Schneeballschlacht ihres Lebens.

Foto © Mareike Zeis

Das beschwingte Abbiamo tutti lässt die Herzen fröhlicher schlagen. Immaginarti, im Gedenken an den verstorbenen Vater geschrieben, klingt sanft, hymnenartig und getragen.

Das zarte, langsame Un altra vita hat die Liebe zum Thema: „Künstler haben das Privileg, über Träume und Utopien zu singen. Wir müssen uns die Hände nicht schmutzig machen mit Politik“, meint Pollina. Das Wichtigste bleibe stets die Liebe – zum Leben, zur Natur, zur Familie, zu Freunden, zu Ideen und natürlich zum Frieden: „Ein Wert, der erneut in Frage gestellt wird. Wo bleibt unsere Friedenskultur, die wir seit Jahrzehnten fleißig propagieren?“, fragt er. Die Instrumentierung mit Kontrabass, Querflöte und Saxofon betont die Sehnsucht: „Ich bin auf der Suche nach einem Sinn.“

Eingängig klingt die pianobetonte Ballade Prendile se vuoi – Nimm, wenn Du willst: Eine Aufforderung, das Leben als Chance zu begreifen.

Dramaturgischer Höhepunkt des Abends ist Pizzolungo, ein Stück, das an das Attentat 1985 erinnert, das dem Anti-Mafia Richter Carlo Palermo galt, bei dem Margherita Asta einen Großteil ihrer Familie verlor. Den Anwesenden bleibt kurz der Atem stehen, als der Scheinwerfer auf den leeren Platz neben Pollina leuchtet. In Italien war Asta, die ihre Geschichte auch in Schulen erzählt, auf der Bühne dabei.

Beliebte Klassiker der älteren Alben, darunter die Hommage an die 1970-er Jahre, Anni Settanta und Centopassi über die Ermordung des Anti-Mafia-Kämpfers Giuseppe Impastato stehen ebenfalls auf dem Programm.

Seit zwölf Jahren an Polinas Seite: der unvergleichliche Roberto Petroli, ein Meister an Saxofon, der Klarinette, dem Ewi und der Querflöte. Ebenfalls dabei: der exzellente Schlagzeuger Fabrizio Giambanco, der Pollina seit 2014 oft begleitet. Souverän am Keyboard: Gianvito di Maio. Weiterhin spielen Bassist Mario Rivera, ein alter Weggefährte, und Gitarrist Eduardo Musumeci.

Nach dem Konzert im prächtigen Teatro Massimo Palermo wird es bis Sommer kommenden Jahres weitere Konzerte auch in Deutschland geben.

Lucie Peetz