O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Sandra Then

Aktuelle Aufführungen

Der Tod als Triumph

LA TRAVIATA
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
21. Oktober 2017
(Premiere)

 

Theater Basel

Das Theater Basel zeigt Giuseppe Verdis La Traviata in einer Koproduktion mit der English National Opera London und macht vieles richtig. Die Inszenierung von Daniel Kramer mit der präzisen Choreografie von Teresa Rotemberg setzt den Kameliendame-Klassiker von Alexandre Dumas teilweise exzentrisch um, gewährleistet aber auch eine differenzierte Sicht auf das vielschichtige Werk. Der Star des Abends ist Sopranistin Corinne Winters, die in der Hauptrolle schauspielerisch wie gesanglich auf der ganzen Linie überzeugt.

Kramer verzichtet bei dem Dreiakter, der 1853 im Teatro La Fenice uraufgeführt wurde, auf einen intellektuellen Überbau und erzählt die rührende Geschichte schnurgerade. Der Regisseur konzentriert sich dabei auf das Libretto von Francesco Maria Piave mit seiner zarten Poesie. Auch zeitlich macht diese Produktion keine allzu weiten Sprünge, sondern bleibt stilistisch in der Ära des Charleston und Art déco hängen. Das zeigt sich vor allem im ersten Akt, wenn sich die Edelprostituierte Violetta Valéry und der Jungspund Alfredo Germont bei einer rauschenden Orgie begegnen. Wir sehen eine zylinderförmige Spielwiese, die mit lauter Spiegeln versehen ist und in der sich die Gesellschaft um die herrschenden Konventionen schert. Die Bühne von Lizzie Clachan erinnert an ein Reich aus einem Fantasyfilm, die Kostüme von Esther Bialas sprühen vor Ideenreichtum. Im Pariser Freudenhaus herrscht schriller Trubel, in dieser Halbwelt sind Dekadenz und Wollust allgegenwärtig. Eine Nuance bilden Garderobenschränke, die im Halbrund verteilt in sattem Rot leuchten: Während des Fests beherbergen sie diverse Herrenhüte, nach der Party die Perücken der Liebesdienerinnen.

Im zweiten Akt des Dramas, der auf einem Landgut spielt, dominieren ein Schwebebett, das mit Seilen am Schürboden befestigt ist, und eine kleine, fast schon symbolische Blumenwiese. Charles Balfour leuchtet den Raum mit pastoraler Zurückhaltung aus, nur das klinische Weiß der Laken und die akkurat gesteppte Decke erinnern unfreiwillig an die Bettenabteilung eines Warenhauses. Alfredo erweist sich als tüchtiger Gärtner, während Violetta im gemeinsamen Bett über dem Boden schläft. Das Bild liefert eine gute Analogie, in der Alfredos Wunsch nach Erdung mit Violettas Vorahnung des nahenden Todes kontrastiert.

POINTS OF HONOR

Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Der Wechsel von der Sanftheit eines ländlichen Anwesens in die harte Wirklichkeit eines Puffs gelingt hervorragend und blitzschnell. Noch während der Chor die ersten Takte im zweiten Bild des zweiten Akts singt, findet die Bühnen-Verwandlung statt. Die Liebesschaukel weicht der Spielweise eines Etablissements. Das opulente Bild des ersten Akts wiederholt sich nicht, Kramer zielt mit seiner Optik hinter die funkelnde Fassade, und dort geht es dreckig zu und her. Der feine Herr Baron wird zum sündigen Bock, auf dem die Dirne genüsslich einen Ritt markiert. Erst wenn Alfredo Violetta zur Rede stellt und aggressiv wird, offenbart sich der Zusammenhalt der Kommune, die ihresgleichen nicht im Stich lässt.

Daniel Kramer zeigt mit Violetta von Anfang an eine starke Frau, die ihre Entscheidungen bewusst fällt. Selbst dann, wenn sie von Alfredos Vater genötigt wird, die Ehre des Sohns nicht in den Schmutz zu ziehen, agiert sie selbstbestimmt. Eine Gestrauchelte, die dennoch oder gerade deswegen mit erhobenem Haupt die Konsequenzen ihres Handelns trägt. Im vierten Akt überbordet die Symbolik und rutscht ab ins Plakative. Violetta macht ihre letzten Atemzüge in einem düsteren Raum. Die zerfransten Matratzen am Boden, aufgereiht wie Gräber, veranschaulichen womöglich das älteste Gewerbe der Welt, vielleicht auch nur ein Sterbehospiz. Eine Sterbende, die ihr eigenes Grab schaufelt und damit den Tod in eine Art Triumpf verwandelt, wirkt surreal und konterkariert die ansonsten stringente Erzählweise dieser mehrheitlich plausiblen Lesart.

Foto © Sandra Then

Der Abend in Basel gehört Corinne Winters, die mit der Rollengestaltung der Violetta Valéry bis zum Schluss überzeugt und mit ihrem differenzierten Gesang jede Wendung punktgenau phrasiert. Winters ist eine Frau mit der Schönheit einer Catherine Zeta-Jones und der Stimme einer jungen Anna Netrebko. Sie nutzt die ungeheure Spannbreite dieser Partie mit all ihren Facetten und Schattierungen genüsslich aus. Sie ist frivol, mädchenhaft, verliebt, gedemütigt und unheimlich stark. Ihr Sopran hat ein dunkles Timbre, über das nicht viele in diesem Fach verfügen. Sie schafft die Koloraturen in der Cabaletta Sempre libera lupenrein und berührt mit vollendeter Dynamik in der Romanze Addio, del passato bei sogni ridenti.

Pavel Valuzhyn hat anfangs einen schweren Stand neben solcher Strahlkraft. Sein luzider Tenor steigert sich stimmlich aber schnell und beweist bereits am Anfang im zweiten Akt mit der Arie De’ miei bollenti spiriti, dass er nicht nur Kraft, sondern auch Schmelz hat. Sein Impetus, wie er den jungen, naiven Burschen vom Lande gibt, geht ans Herz. Das kindliche Verliebtsein, gerade im Zusammenspiel mit Winters, kommt manchmal gar gekünstelt rüber und hinterlässt den Eindruck von Kindergeburtstag. Die unheilvolle Dreiecksrunde wird mit Ivan Inverardi als Giorgio Germont komplettiert. Der Bariton trumpft regelrecht auf mit seiner sonoren Stimme, die bernsteinfarben funkelt. Hinter der Härte des herrischen Patriarchen lässt Inverardi das warme Herz eines liebenden Vaters durchschimmern.

Titus Engel dirigiert in Basel zum ersten Mal Verdis Dauerbrenner. Der musikalische Leiter manövriert das Sinfonieorchester des Theater Basel mit ungeheurem Geschick und geladener Spannung durch die Partitur. Diesen Drive erzeugt Engel mit einer klugen Wahl der Tempi und perfekt gesetzten Pausen. In den Pianissimo-Sequenzen schwelgt das Orchester in subtiler Elegie, umso kraftvoller und lebendig erklingen das Trinklied im ersten Akt und die fortgesetzte Heiterkeit im Walzertakt. Das starke Solisten- und Orchesterensemble wird vom Chor des Theater Basel unter der Leitung von Michael Clark brillant ergänzt. Selbst in der Hektik und im verrückten Outfit bleibt er stimmlich kompakt wie packend. In Nebenrollen glänzen unter anderem Anastasia Bickel als Annina, Karl-Heinz Brandt als Gastone, Domen Krizaj als Baron Douphol, Andrew Murphy als Dottore Grenvil und Matthew Swensen als Giuseppe.

Das mehrheitlich schlüssige Regiekonzept von Daniel Kramer, die herausragende Leistung der Solisten und vom Orchesterapparat unter Titus Engel sorgen beim Premierenpublikum in Basel für lang anhaltende Begeisterungsstürme und Bravorufe.

Peter Wäch