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Tschaikowsky und Parfenov

TSCHAIKOWSKY IN AACHEN
(André Parfenov)

Gesehen am
29. März 2021
(Premiere/Stream)

 

Theater Aachen

Während der Vorbereitung auf sein Amt als Generalmusikdirektor der Stadt Aachen hat sich Christopher Ward intensiv mit der musikalischen Geschichte der Kaiserstadt beschäftigt, in der sich schon Georg Friedrich Händel, und zwar recht erfolgreich, Linderung von einem Schlaganfall erhofft hatte. Dass sich hier auch Peter Tschaikowsky sechs Wochen aufgehalten hat, weckte früh Wards Interesse. Nicht zuletzt die knappe Skizze eines nur 16 Takte umfassenden Walzer-Themas, das Tschaikowsky im August 1887 in Aachen ohne weitere Folgen hinterließ. Auf der Suche nach einer geeigneten Aufbereitung des Themenkomplexes um „Tschaikowsky in Aachen“ fiel ihm eine CD mit interessanten Bearbeitungen russischer Kompositionen durch den Pianisten André Parfenov in die Hände. Nach einer Aufführung von Liszts Faust-Symphonie kam es zu einem Treffen und man einigte sich darauf, dass Parfenov das Walzer-Fragment als Basis einer eigenen Komposition für das Neujahrskonzert 2021 nutzen sollte. Entstanden ist der Aachener Walzer, ein sechsminütiges Werk für großes Orchester und Klavier. Bereits von der Partitur war Ward begeistert. „Es ist stilistisch hervorragend gearbeitet, lässt vieles von Tschaikowsky anklingen und zugleich die persönliche Handschrift Parfenovs erkennen“, freute sich der GMD. Und Parfenov äußert sich überglücklich über den Kompositionsauftrag, den Josef Offelder, der ehemalige Schlagzeuger des Aachener Sinfonieorchesters, finanziell förderte.

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„Die Skizze enthält keine Tempoangabe und man könnte das Fragment als Beginn eines Adagios verstehen. Ich habe mich aber an den schönen Momenten seines Aachener Aufenthalts orientiert, die Tschaikowsky auf seinen Wanderungen und in den Cafés erleben durfte. Und so ist ein positives, beschwingtes Werk entstanden mit starken Rhythmen, Jazz-Elementen und einem Intermezzo für Blaskapelle“, erzählt Parfenov.

Die geplante Uraufführung im Rahmen des ursprünglich vorgesehenen Neujahrskonzerts ist der Pandemie zum Opfer gefallen, wurde aber jetzt im Rahmen des 5. Sinfoniekonzerts nachgeholt. Zum Abschluss des um Tschaikowskys Aachener Aufenthalt gestrickten Programms konnte man sich davon überzeugen, was Parfenov aus den 16 von Tschaikowsky skizzierten Takten gezaubert hat: Einen glänzend instrumentierten und stilistisch farbig erweiterten Konzert-Walzer für Klavier und Orchester, der das Kolorit der großen Ballett-Walzer Tschaikowskys enthält, zugleich aber die Stimmungsschwankungen des Komponisten einfängt. Das schlägt sich in Passagen nieder, die den Glanz des Walzers klanglich und harmonisch verschleiern und eindunkeln wie Ravel in La Valse und dessen dekadentem Abgesang auf den Wiener Walzer. Anspruchsvolle Klavier-Kadenzen, die Parfenov am Flügel selbst stemmte, vermengen Tschaikowskys Handschrift mit Vorgriffen auf Rachmaninow und Gershwin. Trotz der stilistischen Vielfalt wirkt das Werk formal geschlossen und dem verhaltenen Duktus des Themas entspricht der zart verhauchende Schluss des „neu entstandenen“ Werks.

Nicht nur Christopher Ward ist von dem Talent Parfenovs überzeugt. Das Label Naxos war von dem erfolgreichen Album mit dessen Transkriptionen einiger Werke Liszts für Violine und Klavier so begeistert, dass die Zusammenarbeit mit einem noch größeren Projekt vereinbart wurde.

An fünf Aufnahmetagen spielte das Aachener Sinfonieorchester fünf Orchesterwerke Parfenovs ein. Das Album enthält neben zwei Beiträgen Tschaikowskys, also Tschaikowskys und Parfenovs Aachener Walzer und der in Aachen teilweise instrumentierten Orchestersuite Mozartiana, zwei Sätze aus Parfenovs Violinkonzert, dessen Malewitsch-Suite sowie zwei Tangos. Für Ward eine abwechslungsreiche Mischung einiger der besten Stücke Parfenovs. „Das Violinkonzert ist eher abstrakt und zeitgenössisch, pure Musik. Die Malewitsch-Suite und die Tangos erzählen dagegen eine Geschichte. Beide sind sehr dramatisch und bunt. Das Programm zeigt sehr viele Fassetten und trotzdem lässt es eine ausgeprägte persönliche Handschrift erkennen“, lobt Ward das Ergebnis.

Susanne Laschet, André Parfenov und Christopher Ward – Foto © Pia-Rabea Vornholt

Überzeugt von dem Projekt ist auch Susanne Laschet, die als Schirmherrin unter anderem das Sponsoring ankurbeln will. „Als diese beiden wunderbaren Menschen bei mir eintrafen (Parfenov und die Geigerin Iuliana Münch) und mich mit ihrer Fröhlichkeit, ihrem Enthusiasmus, ihrer Freude und Perfektion beeindruckt haben, war mir klar, dass ich dieses Projekt mit Freude unterstützen werde“, erinnert sie sich.

Die enge Zusammenarbeit André Parfenovs mit Robert North, dem Ballettdirektor des Theaters Krefeld Mönchengladbach, spiegelt sich auch in vielen seiner Kompositionen wider. So in der Malewitsch-Suite, einer Auftragsarbeit Norths für ein großes Ballett, das das bewegte Leben des Malers reflektiert. Und auch den Tango W.S. hat Robert North choreografiert. Als Referenz vor dem Mäzenen Werner Sahm, der unter anderem die Übersiedlung der Geigerin und musikalischen Partnerin Parfenovs, Iuliana Münch, nach Deutschland unterstützt hat.

Das Recital wird abgerundet durch den Piloten-Tango aus dem Ballett Verlorene Kinder, das das Schicksal von 49 bei einem Flugzeugabsturz in Überlingen umgekommenen Kindern 2002 thematisiert. Ein Ereignis, das Parfenov, der zweitweise in Überlingen aufgewachsen ist, ebenso nachhaltig beschäftigt wie die Bewohner der Stadt am Bodensee.

Den Solo-Part der beiden Sätze aus Parfenovs Violinkonzert übernimmt die junge rumänische Geigerin Ioana Cristina Goicea. Das Album wird voraussichtlich im Spätherbst erscheinen. Christopher Ward hofft, Teile daraus Ende November auch live aufführen zu können. Und zwar im Kontext der ersten Erwähnung des Aachener Orchesters im Jahre 1720. Ein Jubiläum, das im vergangenen Jahr eigentlich gebührend gefeiert werden sollte. Bleibt zu hoffen, dass sich einiges davon wenigstens Ende des Jahres nachholen lässt.

Pedro Obiera