O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Will van Iersel

Aktuelle Aufführungen

Im Tollhaus der Gefühle

L‘ORONTEA
(Antonio Cesti)

Besuch am
17. Februar 2023
(Premiere)

 

Theater Aachen

Wenn der scheidende Intendant Michael Schmitz-Aufterbeck am Ende der Saison auf seine 18-jährige Tätigkeit an der der Spitze des Aachener Theaters zurückblicken wird, kann er sich nicht zuletzt auf die Fahnen schreiben, seinem Theater mit hervorragenden und kontinuierlichen Leistungen auf dem Gebiet der Barockmusik zu einem Profil verholfen zu haben, mit dem es im Rheinland einen Alleinstellungsanspruch erheben darf. Denn was die Mitglieder des Aachener Sinfonieorchesters und des Opernensembles seit einigen Jahren an historisch orientierten Produktionen in Spitzenqualität bieten, ist eben nicht Spezialensembles oder eingekauften Gästen zu verdanken, sondern mit ganz wenigen Ausnahmen den hauseigenen Kräften.

Zu verdanken ist das einem durch Landesmittel unterstützten Programm unter dem Titel „Akzent Barock!“, mit dem sich die Aachener Musiker und Gesangssolisten unter Anleitung versierter Spezialisten zu glänzenden Interpreten barocker Musik entwickelt haben. Dazu gehört auch die Anschaffung historischer Instrumente, und neben etlichen Konzerten konnten die Aachener ihre Leistungssteigerungen auf diesem Gebiet bereits in drei großen Opernproduktionen präsentieren.

Foto © Will van Iersel

Nach Georg Friedrich Händels semi-szenischem Zwitter Il Trionfo del tempo e del disinganno und Francesco Cavallis Oper La Calisto konnte jetzt mit erheblicher Verspätung als Wiederentdeckung Antonio Cestis Oper L’Orontea aus dem Jahre 1656 ihre erfolgreiche Premiere feiern. Die war eigentlich zwei Wochen zuvor geplant. Doch etliche Corona-Infektionen im Ensemble erzwangen die Verlegung. Am Premierentag ist dann die musikalische Crew gesund. Dafür bleibt das zwischenzeitlich infizierte szenische Team der erfolgreichen Aufführung fern. Hoffentlich bleibt es bei diesen letzten Ausläufern der Pandemie. Denn das Aachener Theater hat die Seuche vor drei Jahren besonders früh und heftig erwischt.

Antonio Cesti war zeitweise Kapellmeister am Hof des Tiroler Erzherzogs Ferdinand Karl in Innsbruck und dort komponierte er auch für die Karnevalssaison des Jahres 1656 die leichtfüßige, lebenslustige Buffa L’Orontea. Orontea, die schöne, aber sehr anspruchsvolle Königin von Ägypten, genießt es, ihr Dasein als Single in unabhängiger Freiheit verbringen zu dürfen und verspürt wenig Lust, sich auf eine ernsthafte Partnerschaft einzulassen. Begehrte Kandidaten aus vornehmsten Häusern lässt sie abblitzen, und ausgerechnet der standesgemäß eigentlich indiskutable Maler Alidoro, der sich mit blutigen Blessuren den Fängen der rachsüchtigen phönizischen Prinzessin Arnea entziehen konnte, bringt das Herz der stolzen Königin zum Schmelzen. Der offensichtlich sehr attraktive junge Mann entflammt allerdings auch andere, eigentlich alle Damen des Hofes, so dass es zu einem kaum überschaubaren Wirrwarr an Annäherungsversuchen, Intrigen und Eifersuchtsszenen kommt. Kurzum: Die Handlung greift alles auf, was Liebesgefühle an Irrungen und Wirrungen auslösen können.

Das kleidet Cesti in eine lebendige Musik mit einer Unzahl relativ kurzer Arien und längerer Rezitative. Trotz einiger Kürzungen bringt es die Oper auf eine immer noch dreistündige Aufführungsdauer. Dass sich angesichts des endlosen Arienkonzerts dennoch keine Langeweile einstellt, liegt an der farbigen Komposition, der wachen Inszenierung und der überragenden musikalischen Ausführung.

Christopher Bucknall, ein ausgewiesener Kenner historischer Aufführungspraktiken, arbeitete schon öfter mit dem Aachener Sinfonieorchester. Und mit einem Erfolg, dass die Musiker mit Barocktrompeten, Blockflöten, Langhalslauten, Gamben und allerlei anderen alten Klangkörpern mittlerweile so souverän umgehen können wie mit ihren klassischen Instrumenten. Was so locker, leicht und hell ertönt, erfordert freilich eine Menge an Detailarbeit, mit der Bucknall und die Sinfoniker den Sängern eine ideale Basis für ihre Gesangskünste bieten.

Foto © Will van Iersel

Schön, dass Fanny Lustaud, die auch schon in den bisherigen Barock-Opern des Aachener Theaters starke Akzente setzte, in der Titelpartie der Cesti-Oper an vorderster Front ihren warmen, angenehmen Mezzo, aber auch ihre makellose Technik inklusive geschmeidiger Koloraturkünste demonstrieren kann. Mit seinem ebenso angenehm weichen Countertenor vermag auch Thomas Scott-Cowell als Alidoro zu überzeugen. Und besonders erfreulich ist die wunschlos geschlossene Ensembleleistung, wodurch jede der elf anspruchsvollen Partien adäquat besetzt ist. Sowohl mit Juliana Curcio und Eva Diederix, die sich als zugeknöpfte Filosofia und flatterhafte Amore einen allegorischen Disput liefern, mit Patricio Arroyo als vermeintliche Mutter Alidoros und allen anderen Mitwirkenden.

Ludger Engels, der dem Aachener Theater in Schauspiel und Oper, nicht zuletzt auch mit den Barock-Opern, seit Jahrzehnten eng verbunden ist, verabschiedet sich mit dieser Produktion aus Aachen, um sich auf die Leitung der Akademie für Darstellende Kunst in Ludwigsburg konzentrieren zu können. Engels ist kein Freund üppiger Kulinarik und begnügt sich mit einer schlichten Metallwand als Bühnenbild, die Ausstatter Ric Schachtebeck mitunter in Nebel taucht. Eine Wand, die einen Ausbruch aus den komplizierten Beziehungskisten am ägyptischen Hof vereitelt. Man bleibt gefangen, sich und den Konkurrenten ausgeliefert. Auch Kostümbildner Raphael Jacobs verzichtet auf barocken Pomp und versieht die Figuren mit farbigen Kennzeichen. Die Geschlechtertrennung verwischt sich jedoch im zweiten Teil. Die Irritation am Hofe hat sich so zugespitzt, dass kaum mehr erkennbar wird, ob Mann oder Frau wen liebt oder verabscheut.

Engels führt das Personal mit lockerer Hand, setzt auf Tempo, lässt den komödiantischen Kern des Stücks deutlich werden, ohne sich in klischeehaftem Klamauk zu verstricken. Eine rundum angemessene und wirkungsvolle Gestaltung des Werks.

Das Premierenpublikum reagiert trotz der Länge des Abends mit langanhaltendem Beifall.

Pedro Obiera