Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
Bereits mit der Eröffnungspremiere ihrer ersten Saison setzt Aachens neue Intendantin Elena Tzavara eigenwillige Akzente, mit denen sie das Haus in eine neue Ära führen will. 17 Jahre stand Michael Schmitz-Aufterbeck an der Spitze des Zwei-Sparten-Theaters. Er sorgte nach turbulenten Jahren unter Elmar Ottenthal und Paul Esterhazy für gediegene Ruhe, abwechslungsreiche Spielpläne und nicht zuletzt mit Unterstützung hervorragender Generalmusikdirektoren wie Markus Bosch, Kazem Abdullah und derzeit Christopher Ward für eine hochwertige musikalische Basis. In den letzten Jahren entwickelte sich das Aachener Sinfonieorchester mit Hilfe von Förderprogrammen des Landes zu einem exzellenten Interpreten Alter Musik auf dem aktuellen Stand historischer Aufführungspraktiken, wovon auch die Eröffnungsproduktion mit Henry Purcells Semi-Opera King Arthur wesentlich profitiert.
Große Oper steht allerdings nicht im Fokus der neuen Intendantin, die in leitender Funktion bisher nur an den Kinder- und Jugendsparten der Kölner und Stuttgarter Opern gewirkt hat. Neben Puccinis La Bohème und einer Wiederaufnahme von Bizets Carmen füllen kleinere Produktionen den ersten Spielplan der 46-jährigen Intendantin: Rossinis Il Viaggio a Reims, ein neues Musiktheater von Paul Georg Dittrich Ich bin Carmen, Brittens Curlew River sowie – an zwei Abenden – Mozarts Zaide und Der Schauspieldirektor.
Foto © Thilo Beu
Von Oper im klassischen Sinn kann erst recht nicht beim King Arthur die Rede sein, nicht einmal von einer „Semi-Oper“, als die sie angekündigt wird. Purcell hat eine Schauspielmusik zu John Drydens Drama geschrieben, dessen Handlung Regisseur Marco Štorman stark verändert und durch sehr lange „Langgedichte“ der non-binären Autorin Kae Tempest ergänzt und, dramaturgisch nicht sehr klug, letztlich zerreißt. Damit überwiegt der Sprechanteil die musikalischen Beiträge, was sich nicht zuletzt in der Besetzung der meisten Hauptrollen mit Kräften aus dem Schauspielbereich niederschlägt. Bei der Geschlechterzuordnung geht es bunt zu: Die Titelpartie, King Arthur alias König Artus übernimmt mit ihrer knabenhaft androgynen Gestalt Marlina Adeodata Mitterhofer, den Zauberer Merlin die feministisch selbstbewusst auftretende Stefanie Rösner und Emmeline, das sanfte Opfer der Begierde, Hermia Gerdes, die oder der sich als „dey“ bezeichnet und nicht als „sie“ oder „er“. Ein Geschlechterkarussell, das Praktiken der Shakespeare-Zeit gar nicht so fernsteht, auch wenn damals etwas einseitig Männer in Frauenkleider schlüpften.
Die Verkörperung richtiger Mannsbilder bleibt den Bösewichtern vorbehalten, mit dem Schauspieler Tim Knapper als Arthurs Rivale Oswald im Ringen um die Gunst Emmelines und dem markigen Bariton Ronan Collett als dessen Adlatus Grimbald. Neben Collett müssen sich die Profi-Sänger des Hauses mit kleineren Rollen begnügen, die sie aber effektiv ausführen. An der Spitze die Mezzosopranistin Fanny Lustaud als Emmelines Zofe Matilda und die Sopranistin Suzanne Jerosme als Arthurs Luftgeist Philidel. Nicht zu vergessen die junge Sopranistin Lara Vallés als kapriziöser Amor, ein zukunftsträchtiger Neuzugang des Ensembles. Sie alle profitieren von der intensiven Pflege barocker Musik am Aachener Theater und sorgen für vitalere Eindrücke als die zähen Texte Tempests.
Foto © Thilo Beu
Die eigentliche Handlung von Drydens Schauspiel interessiert Štorman nur beiläufig. Dort steht der Kampf des sächsischen Königs Oswald gegen König Artus um die Gunst der blinden Prinzessin Emmeline im Zentrum, die sich zu Artus hingezogen fühlt und von diesem auch erobert wird und durch ihn auch ihr Augenlicht wieder gewinnt. Regisseur Štorman geht dagegen von Artus legendärer, bei Dryden nicht thematisierter Eroberung des magischen Schwertes Excalibur aus, das der Titelheld in Aachen in überdimensionaler Größe über die von einer grau betonierten Felslandschaft beherrschten Bühne schleppt. Warum, wird nicht wirklich klar, wie so manches in Štormans eigenwilliger Deutung. Die von Purcell mit Choreinlagen und einigen Arien garnierte Version wird durch die langen gesprochenen Monologe Merlins noch stärker an den Rand gedrängt als im Original. Dabei startete die Aufführung effektvoll mit dem originellen, der später eingefrorenen Landschaft vorweggenommenen „Schnatter-Chor“, indem er ins Parkett strömt, dem Publikum hautnah die hart rhythmisierten Töne in die Ohren bläst und Erwartungen auf einen lebendigen Theaterband weckt, die nicht eingelöst werden.
In der Presse wird angesichts der in der Tat ungewöhnlichen Produktion ein Neuanfang gepriesen, der Tzavaras Interesse an gattungsübergreifenden Mischproduktionen bestätigt. Inwieweit das Musiktheater dabei nicht zu kurz kommt, wird sich bereits im Laufe ihrer ersten Saison zeigen.
Im Konzertbereich ändert sich dagegen wenig. Generalmusikdirektor Christopher Ward stellte ein Konzertprogramm zusammen, das groß besetzte Höhepunkte wie Strauss‘ Also sprach Zarathustra oder Rachmaninows 2. Symphonie mit mäßig modernen Klängen des diesjährigen „Composers in Focus“, den türkischen Pianisten und Komponisten Fazil Say, kombiniert. Ein ebenso lange schwelendes wie heißes Eisen scheint die neue Intendantin allerdings auch nicht anpacken zu wollen: Die Notwendigkeit, den akustisch unzulänglichen Eurogress durch einen angemessenen Konzertsaal ersetzen zu müssen. Dafür stehen die politischen Zeichen im Aachener Stadtrat allerdings denkbar schlecht.
Pedro Obiera