O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Carl Brunn

Aktuelle Aufführungen

Habanera auf dem Akkordeon

CARMEN
(Georges Bizet)

Besuch am
10. Dezember 2021
(Premiere am 31. Oktober 2021)

 

Theater Aachen

Endlich wieder große Oper im Aachener Theater. Die Pandemie hat gleich zu Beginn vor knapp zwei Jahren das Ensemble mit vielen Infektionen stark betroffen, so dass Intendant Michael Schmitz-Aufterbeck den Spielbetrieb nur sehr vor- und umsichtig wieder aufgenommen hat. Umso dankbarer reagiert das Publikum auf die lange erwartete Produktion von Georges Bizets Super-Hit Carmen. Die zahlreichen Aufführungen sind, mit hygienisch bedingten Einschränkungen, restlos ausverkauft und alle Beteiligten stürzen sich mit solchem Engagement auf die wiedergewonnene Freiheit, dass die Produktion ihre Wirkung auch mehrere Wochen nach der Premiere nicht verfehlt.

Zu erleben ist eine Carmen, die wesentliche Impulse aus den vokalen Qualitäten und der Bühnenpräsenz der französischen Mezzosopranistin Fanny Lustaud bezieht, einem der begabtesten Ensemblemitglieder des Aachener Theaters. Ihr warmer, sinnlicher Mezzo bietet beste Voraussetzungen für eine musikalisch prickelnde Darstellung. Dabei hält sie sich mit plakativen, klischeebehafteten erotischen Attributen zurück, sondern präsentiert sich als eher distanzierte, selbstbewusste Frau, die durch ihre leichte Kühle noch an Anziehungskraft gewinnt.

Damit entspricht sie auch ideal dem Konzept der jungen Regisseurin Lucia Astigarraga, die auf folkloristischen Plüsch verzichtet, die Handlung in ein regional neutrales Milieu des frühen 20. Jahrhunderts verlagert und in der nüchternen, mehrdimensional nutzbaren, aus Stahlrohren geflochtenen Bühnenkonstruktion von Aida Guardia die psychologischen Dimensionen des komplexen Werks in den Mittelpunkt rückt. Dabei geht sie in Sachen Personenführung präzise, detailgenau und treffsicher vor, wobei sie geschickt mit den Resten empfohlener Abstandsreglungen vorgeht. Was sie nicht daran hindert, Carmen von Don José nicht erstechen, sondern erdrosseln zu lassen. Einer der wenigen überflüssigen Eingriffe in die Handlung.

Foto © Carl Brunn

Ein Problem bereitet stets die Charakterisierung Don Josés. Auf den ersten Blick ein schwaches, leicht verführbares Muttersöhnchen. Aber nur auf den ersten Blick. Schließlich wäre ein Pantoffelheld völlig uninteressant für eine Persönlichkeit vom Format der Carmen. Vergessen wird oft, dass Don José als Baske Strafdienst im verhassten Andalusien für einen Totschlag an einem seiner Kameraden leistet. Er ist ein zur Aggression neigender, willensstarker Baske. So ist es eine gute Idee, dass Teile der Dialoge zwischen ihm und Micaëla auf Baskisch gesungen werden. Dem chilenischen Tenor Carlos Moreno Pelizari gelingt es über weite Strecken, der komplexen Figur ein angemessen nachhaltiges Profil zu verleihen. Und zwar sowohl gesanglich als auch darstellerisch.

Wenig fällt der Regisseurin zu Escamillo ein, den Csaba Kotlár relativ blass darstellt. Anrührend empfiehlt sich Anne-Aurore Cochet als Micaëla. Sie entwickelte sich als ehemaliges Mitglied des Aachener Opernstudios zu einer Sopranistin mit beachtlichen lyrischen Qualitäten. Mit der vorzüglichen Besetzung der vielen kleineren Partien stellt das Aachener Theater seine solide Ensemblepflege unter Beweis. Das gilt auch für den zuverlässig agierenden Chor einschließlich des Aachener Kinder- und Jugendchors.
Generalmusikdirektor Christopher Ward betont die dramatischen Aspekte des Werks und bevorzugt forsche Tempi, die die Koordination zwischen Orchester und Bühne mitunter auf eine harte Probe stellen. Allerdings hat man den Streicherapparat corona-bedingt so stark reduziert, dass eine ausgewogene Klangbalance und ein ausreichendes Klangvolumen nicht annähernd erzielt werden können. Dass man den dünnen Streicherklang in der Habanera Carmens durch ein Akkordeon aufzupeppen versucht, kann nur als fauler Kompromiss verstanden werden.

Von diesen orchestralen Defiziten abgesehen bietet das Aachener Theater eine spannende, sorgfältig erarbeitete Carmen mit einer überragenden Interpretin der Titelpartie.

Pedro Obiera