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HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN
(Jacques Offenbach)
Besuch am
20. Januar 2017
(Premiere)
Die Entstehung von Jacques Offenbachs letzter Oper Hoffmanns Erzählungen ist tragisch überschattet. Der Komponist schrieb mit dem Tod um die Wette an dieser auf drei Erzählungen des deutschen Dichters E. Th. A. Hoffmann basierenden fantastischen Oper; er stirbt am im Oktober 1880, hinterlässt aber einen Klavierauszug mit genauen Anweisungen für die Instrumentierung und eine grobe Skizze für den Epilog. Da sich viele Varianten in seinen Aufzeichnungen finden, kommen immer wieder verschiedene Fassungen auf die Bühne. Die Uraufführung am 10. 2. 1881 an der Opéra Comique in Paris war ein unwahrscheinlicher Erfolg, enthielt aber nicht den Giulietta-Akt, da man befürchtete, die Oper sei sonst zu lang. Die deutschsprachige Erstaufführung in Wien endete tragisch: Beim Brand im Ringtheater fanden mehrere hundert Menschen den Tod. Nach einer Art Schock-Pause eroberte sich das Werk aber schnell dank seiner wunderbaren Musik die europäischen Bühnen, allerdings mit immer neuen Umstellungen, Besetzungen, Strichen und Einfügungen, so etwa mit der von unbekannter Hand geschriebenen Spiegel-Arie.
Im Meininger Theater hält sich Regisseur Christian Poewe an die letztlich verbürgten und verfügbaren Quellen und bringt das Werk bildgewaltig, lebendig, mit viel Sinn für unterschwelligen Humor und Empathie für das künstlerische Bemühen und Scheitern der Hauptfigur Hoffmann auf die Bühne. Bei ihm ist dieser Hoffmann ein grübelnder Poet mit einer Art Schreibzwang, wie man an seinen Wortfindungsproblemen auf dem Eisernen Vorhang sehen kann; er kann nur im Alkoholrausch seine schmerzlich schönen Fantasien aufleben lassen, in der Erinnerung an unerfüllte, tragisch endende Liebesbeziehungen zu Frauen und in der frustrierenden Ahnung, dass er mit seinen Schöpfungen keine gesellschaftlichen Veränderungen bewirken wird. Doch gerade das ruft einen kreativen Schub hervor. Am Schluss bleibt ihm nur die Muse treu. Sie begleitet ihn in Gestalt des Gefährten Niklas durch seine Fantasien, und auch eine weitere Erscheinung kommentiert immer wieder seine imaginierten Bilder als eine Art Clown, die Diener-Gestalten Andrès, Cochenille, Frantz und Pitichinaccio in diversen Verkleidungen; das verleiht den tragischen Erinnerungen ein komisches Gegengewicht, und Stan Meus unterstützt diesen Eindruck mit seiner hellen, durchdringenden Stimme. Hoffmann also tritt im Rausch in ein „fernes, unbekanntes Geisterreich“ ein, wo ihn ein „unaussprechlicher, himmlischer Schmerz“ erfüllt.
Musik | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Gesang | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Regie | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Bühne | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Publikum | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Chat-Faktor | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Diese Ambivalenz zeichnet die Inszenierung nach. Hoffmann ist hier ein etwas gammeliger Alltagsmensch von heute im Parka, einer, der im Alkohol Zuflucht sucht, da er mit seinen Beziehungen zu Menschen, vor allem zu Frauen, nicht zurechtkommt. Die Geschichte beginnt und endet in Luthers Weinstube, einer gut bestückten Bar; dort warten schon schwarz gekleidete, gleich aussehende Männer mit Sonnenbrillen, wohl eine anonyme Gesellschaft, auf Hoffmann und seine Geschichten, während im Hintergrund, auf einer Bühne darüber, die von ihm vergeblich angebetete Stella gerade eine Mozart-Arie singt. Diese große Liebe Hoffmanns aber wird ihm schließlich von dem irgendwie bedrohlich intriganten, geheimnisvollen, eleganten Lindorf abspenstig gemacht. In seiner Verzweiflung singt Hoffmann das Lied vom hässlichen Zwerg Klein-Zack, erinnert sich in seiner Liebesnot an die drei Frauen, die ihm in seinem Leben das Wichtigste waren und die er verloren hat.
Sie verkörpern drei Frauen-Typen, die femme artificielle, das Püppchen, hier Olympia, die femme fragile, die übersensible Künstlerin, hier Antonia, und die femme fatale, die Kurtisane, hier Giulietta. Diese drei Frauen-Bilder sind vereint in Stella, und sie zieht den reichen, selbstbewussten Lindorf dem armen Dichter vor. Die drei Frauengestalten aber werden in der Inszenierung räumlich präsentiert im Bühnenbild von Christian Rinke und in auch oft bewusst etwas übersteigerter Kostümierung durch Tanja Hofmann als illusionäre Vorstellung in einem jeweils anders möblierten Guckkasten-Theater; es beruht auf einer Basis, die sich im Hochfahren zeigt und die Grundlage enthält für das Geschehen darüber. Olympia, das mechanisierte Kunstwerk einer Puppe, tritt auf über einer Energie-Station in einem spießigen 1960-er-Jahre-Haushalt als eine nur auf ihre Funktion hin domestizierte, hübsche Hausfrau, das Ideal einer American house-wife, fröhlich abstaubend, saugend, Blumen gießend, bügelnd, kochend, bis ihr der „Saft“ ausgeht und sie wieder ans Stromnetz angeschlossen werden muss. Dieser Hausfrauen-Automat wird dirigiert von seinem Erfinder, dem Konstrukteur Spalanzani, einem Trump-Double im türkisfarbenen Anzug mit stolzgeschwellter Brust. Doch Coppelius, der andere, Leben vortäuschende Erfinder dieser Puppe, zerstört sein seelenloses Geschöpf, das in immer schnelleren Drehungen außer Kontrolle geraten ist. Hoffmann werden so die Augen für die Wirklichkeit geöffnet, während er vorher durch die seltsame Schar der grotesk puppenhaften Wesen mit ihren verdrehten Bewegungen nicht alarmiert wurde. Die nächste Angebetete Hoffmanns, die Sängerin Antonia, hat im Gegensatz zu Olympia einfach zu viel Seele, ausgedrückt durch ihre Stimme im Gesang. Dieses reine, kränkliche, ätherische Wesen in Weiß mit überlangen schwarzen Haaren wird in einem gekachelten, an ein Forensik-Labor erinnernden Raum vor der Welt abgeschirmt und festgehalten von ihrem übervorsichtigen Vater Crespel und in einem roten Bett präsentiert; die Basis hierfür ist eine düstere Bildergalerie mit dem Bild der toten Mutter. Der dämonische Verführer Doktor Miracle befördert Antonia durch die Aufforderung zum verbotenen Singen aus ihrem schwachen Leben zum Tod. Wieder bleibt Hoffmann enttäuscht zurück. Auch Giulietta, die sinnliche Kurtisane, sich räkelnd in einem goldenen Luxus-Badezimmer, umschwebt von Seifenblasen und Goldflitter, betreut von einem Muskel-Mann, verlockt den Dichter; doch ihre Basis, eine Art goldener Spiel-Salon, bringt Hoffmann nicht zur Besinnung. Er lenkt sich ab im Glücksspiel. Auf Betreiben des aalglatten Dapertutto, der Hoffmann eine Pistole gibt, mit der er im Streit Schlemihl erschießt und versehentlich den Diener trifft, verliert der Dichter nun auch die Möglichkeit einer Liebesbeziehung zu dieser Frauengestalt. So wird er zurückgeworfen auf den Boden der Tatsachen, betrinkt sich, zerreißt seine zerwühlten Manuskripte und singt das Lied vom Klein-Zack zu Ende; es bleibt ihm nur die Muse.
Foto © Sebastian Stolz
Doch für allzu viel Melancholie ist in dieser stimmigen Inszenierung kein Platz. Es begeistert die genau zur Musik passende Personenregie, etwa bei den äußerst witzigen Gags zu Olympias kühnen Koloratur-Künsten oder bei den synchronen Bewegungen des Chors, der, von Martin Wettges geleitet, vor allem im Vorspiel mit seinen schön ausgewogenen Männerstimmen imponiert. Ein Garant für das Gelingen ist auch die Meininger Hofkapelle unter dem Ersten Kapellmeister Chin-Chao Lin; sie kostet alle Regungen der abwechslungsreichen Partitur fein aus und gefällt vor allem durch die Bläser. Überragend aber ist in dieser überzeugenden Premiere als Hoffmann der Tenor Mirko Roschkowski, der dieselbe Partie zurzeit auch an der Wiener Volksoper singt. Er verkörpert einen jungen Mann, der Inspiration im Rausch sucht, nachdem er im Leben nur Frustration erlitten hat; überzeugend gestaltet er diesen Dichter auch mit seiner jugendlich unverbrauchten, großartig steigerungsfähigen Stimme. Seine Muse und sein Begleiter Niklas, Carolina Krogius, erfüllt sowohl in der frischen Darstellung wie auch durch ihren hellen, sicheren Mezzosopran alle Anforderungen dieser Doppelrolle nach ein paar Anfangsschwierigkeiten bestens. Ein vollkommener Genuss aber ist Monika Reinhard als Olympia nicht nur dadurch, dass sie perfekt die starre, maskenhafte Schönheit einer Puppe nachzeichnet, sondern auch, dass sie glockenrein und glänzend hell alle Koloratur-Finessen ihrer Kunstfigur bestens beherrscht. Elif Aytekin als Antonia beeindruckt mit der Stärke ihres gehaltvollen, strahlenden Soprans, hat aber deshalb gewisse Schwierigkeiten, die schwankende, schwächliche Konstitution ihrer „Heldin“ zu vermitteln. Bei Camila Ribero-Souza als Giulietta bedauert man, dass man kein Wort versteht – es gibt keine Übertitelungen! – und auch ihr kräftiger, dramatisch betonter Sopran erweist sich manchmal als etwas brüchig. Eine Bombenrolle legt Xu Chang als komischer Spalanzani-Trump nicht nur sängerisch hin. Mikko Järviluoto kann als Crespel mit seinem angenehmen Bass gefallen. Von Marián Krejcik in den vier „bösen“ Rollen von Lindorf bis Dapertutto hätte man sich ab und zu mehr dämonische Ausstrahlung und mehr Tiefengehalt seines nicht allzu starken Basses gewünscht. Christiane Schröter bedient die Stimme der Mutter von Antonia gut, und auch die kleineren Rollen werden angemessen gesungen.
Das Publikum im nahezu ausverkauften Meininger Theater ist nach der Premiere fast aus dem Häuschen, überschüttet alle Beteiligten mit Jubel, Lob und Begeisterung und möchte mit Trampeln und Klatschen gar nicht aufhören. Ob die alternierende Besetzung der Titelrolle mit Scott Mac Allister andere Schwerpunkte setzt, bleibt abzuwarten.
Renate Freyeisen