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Kommentar
Düsseldorf verschuldet sich für die kommenden 50 Jahre mit mindestens 1,8 Milliarden Euro für einen Opernneubau. Während die Sozialausgaben unangetastet bleiben sollen, droht der freien Kulturszene das Aus – ein kulturpolitischer U-Turn mit Ansage. Was Düsseldorf seit Mitte der 1970-er Jahre mühsam in 50 Jahren aufgebaut hat, könnte in den kommenden 50 Jahren wieder verschwinden. Der geplante Opernneubau, der die Stadt mit mindestens 1,8 Milliarden Euro belasten wird, markiert nicht nur eine finanzpolitische Zäsur – er könnte das Ende einer kulturellen Erfolgsgeschichte bedeuten.

Oper Düsseldorf – Foto © Michael Zerban
1,8 Milliarden Euro inklusive Zinsen über einen Zeitraum von 50 Jahren – diese Zahl hat Gewicht. Zum Vergleich: Das entspricht 36 Millionen Euro jährlich – zusätzlich zu den bestehenden Subventionen für die großen Kulturhäuser – die für einen einzigen Kulturprachtbau aufgewendet werden müssen. Geld, das an anderer Stelle fehlen wird.
Die Koalition aus CDU und Grünen hat sich darauf verständigt, die Sozialausgaben nicht anzutasten. Eine politisch verständliche, aber haushaltspolitisch fatale Entscheidung. Denn in der kommunalen Finanzwirtschaft sind Kultur und Sport die so genannten „freiwilligen Leistungen“ – genau jene Posten, die bei Finanzengpässen zuerst gekürzt werden.
50 Jahre Aufbau, 50 Jahre Abbau?
Die kulturelle Landschaft Düsseldorfs, wie wir sie heute kennen, ist das Ergebnis eines langen Prozesses. Seit Mitte der 1970-er Jahre investierte die Stadt kontinuierlich in eine vielfältige freie Szene. Das Buch Die Bretter, die die Stadt bedeuten dokumentiert eindrucksvoll, wie reichhaltig sich die Entwicklung gestaltet hat: Off-Theater, freie Tanz- und Performance-Gruppen, experimentelle Musikprojekte, Ateliergemeinschaften, Soziokultur, neue freie Spielstätten.
Die Vielfalt war kein Zufall, sondern das Ergebnis gezielter Förderung. Kleine und mittlere Zuwendungen ermöglichten es Hunderten von Künstlern zu arbeiten, zu experimentieren, neue Ausdrucksformen zu entwickeln. Die freie Szene wurde zum kulturellen Humus, aus dem Innovation, gesellschaftliche Auseinandersetzung und künstlerische Exzellenz erwuchsen.
Nun droht die Rechnung: Wenn die Sozialausgaben tabu sind und 36 Millionen Euro jährlich zusätzlich für die Oper abfließen, bleibt nur der restliche Kulturtopf. Projektförderungen werden gekürzt, Zuschüsse gestrichen, Räume unbezahlbar. Was in fünf Jahrzehnten gewachsen ist, könnte in den nächsten fünf Jahrzehnten systematisch ausgehungert werden.
Zurück in die 50-er Jahre: Repräsentationskultur statt Partizipation
Der geplante Opernneubau symbolisiert mehr als nur eine architektonische Entscheidung – er markiert eine fundamentale kulturpolitische Kehrtwende. Die Logik ist einfach und brutal: Ein monumentaler Prachtbau statt dutzender lebendiger Kulturorte. Eine Institution statt eines kulturellen Ökosystems.
Die Rückkehr zur Repräsentationskultur der 1950-er Jahre ignoriert alle kulturpolitischen Erkenntnisse der vergangenen Jahrzehnte. Direkt nach dem zweiten Weltkrieg ging es um Prestige, um Wiederaufbau des bürgerlichen Selbstverständnisses, um die Demonstration wirtschaftlicher Potenz. Die Kultur war Aushängeschild, nicht Teilhabeprojekt.
Die demokratische Kulturpolitik, die sich seit den 1970-er Jahren entwickelt hat, setzte andere Prioritäten: Zugänglichkeit, Vielfalt, Experiment, gesellschaftliche Relevanz. Kultur sollte nicht nur für eine Elite sein, sondern für alle. Die freie Szene war Ausdruck und Motor solcher Entwicklung.
Die soziale Dimension
Besonders bitter: Während die Stadt massiv in einen Repräsentationsbau investiert, der primär das bildungsbürgerliche Publikum anspricht, werden jene kulturellen Angebote gefährdet, die tatsächlich Stadtgesellschaft erreichen und gestalten. Soziokultur in Stadtteilen, niedrigschwellige Kulturangebote, Jugendkulturprojekte – sie alle konkurrieren um denselben schrumpfenden Topf.
Die Botschaft ist eindeutig: Ein goldener Kronleuchter ist der Stadt mehr wert als tausend Taschenlampen, die die unterschiedlichsten Ecken der Stadtgesellschaft ausleuchten.
Was auf dem Spiel steht
Düsseldorf steht vor einer Entscheidung, die weit über Baupolitik hinausgeht: Die kulturelle Vielfalt wird gefährdet: Eine diverse Szene mit unterschiedlichsten Ausdrucksformen droht zugunsten eines Hochkultur-Monolithen zu verschwinden. Das demokratische Kulturverständnis wird ersetzt, Partizipation entfällt zugunsten Repräsentation. Die künstlerische Innovationskraft droht abzusinken, wenn ein Prachtbau Experimentierräume verdrängt. Die gesellschaftliche Reichweite könnte minimiert werden. Dann heißt es: Kultur für wenige statt Kultur für viele. Und nicht zuletzt könnte die finanzielle Flexibilität erstarren, wenn Kapital gebunden wird anstatt es beweglich zu verteilen.
Alternativen? Unerwünscht.
Dabei gäbe es Alternativen: Man studiere dazu das 2021-er Neubauvorhaben des Münchner Volkstheaters für 131 Millionen Euro. Natürlich nur das Theater und nicht, wie in Düsseldorf geplant, eine große Lösung mit Musikschule und Musikbibliothek. Aber was spricht eigentlich für die beiden Institute gegen die bestehenden Lösungen? Würde man so denken, hätte man weiteres Geld für mehrere flexible, zeitgemäße Spielstätten oder auch unter Umständen eine notwendige Bibliothekserweiterung im Bestand, statt eben nur die eines neuen Monumentalbaus. Eine Kulturpolitik, die das 21. Jahrhundert im Blick hat, nicht das 19.
Doch die Diskussion scheint nicht mehr gewünscht. Die Weichen sind gestellt – zurück in eine Vergangenheit, die als Zukunft verkauft wird.
Fazit: Ein teurer Rückschritt
Düsseldorfs Opernneubau ist mehr als ein Bauprojekt. Er ist ein kulturpolitisches Statement: Die Stadt verabschiedet sich von fünf Jahrzehnten kultureller Demokratisierung und kehrt zurück zu einer Kulturpolitik, die auf Repräsentation statt Partizipation setzt.
Die Rechnung wird die freie Szene zahlen – mit ihrer Existenz. Und die Stadt wird ärmer sein, auch wenn sie einen prächtigen Neubau ihr Eigen nennt. Denn Kultur ist nicht nur das, was auf den großen Bühnen glänzt. Kultur ist zunehmend auch das, was in den Proberäumen, Ateliers, Off-Spaces, in Hinterhoftheatern und freien Spielstätten in den Stadtteilen einer Stadt pulsiert.
50 Jahre Aufbau, 50 Jahre Abbau. Ein kultureller U-Turn, der sich bitter rächen könnte.
Jörg U. Lensing