Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Alle Fotos © Winfried Hösl

Aktuelle Aufführungen

Teuflischer Showdown an der Isar

MEFISTOFELE
(Arrigo Boito)

Besuch am
15. November 2015
(Premiere am 24. Oktober 2015)

 

Bayerische Staatsoper,
Nationaltheater

Arrigo Boito ist eine vielseitige und schillernde Künstlerpersönlichkeit Italiens im ausgehenden 19. Jahrhundert. 1842 wurde er in Padua als Sohn eines Malers und einer polnischen Gräfin geboren. Er studierte Musik am Mailänder Konservatorium, wurde aber auch als Literat, Librettist und Komponist bekannt. Er schloss Freundschaft mit vielen Künstlerpersönlichkeiten mit denen er auch eng zusammenarbeitete. Seine für den greisen Giuseppe Verdi entstandenen Libretti für die Opern Otello und Falstaff machten ihn für die Nachwelt unvergesslich. Mit anderen Künstlerfreunden gründete er die Avantgarde-Gruppe der Zerzausten, die Scapigliati. Der Name leitet sich von einem gleichnamigen Roman ab, der eine junge Künstlergruppe beschreibt, die abenteuerlustig bereit ist, das Böse kennenzulernen. Der Kampf des Guten mit dem Bösen, Gott gegen den Teufel rückte in den philosophischen Mittelpunkt und entsprach der damaligen Weltsicht. So engagierte sich Arrigo Boito auch politisch und nahm an der Schlacht gegen die unterdrückenden Österreicher als auch am Ersten Weltkrieg teil. Das dramatische Werk Faust von Johann Wolfgang von Goethe passte in dieses Weltbild und erlebte zu dieser Zeit eine Vielzahl von Vertonungen, unter anderem von Hector Berlioz oder Charles Gounod.

Für Boito war Mephisto und sein teuflisches Begehren die ansprechendere, reizvollere Figur in dem Stück. Viele Jahre arbeitete er an seiner Oper, die auch seine einzige bleiben sollte. Die Urfassung fiel 1868 an der Scala durch. Jahrelang überarbeitete er das Werk, sodass am Ende 1872 eine neue, deutlich kürzere Oper entstand, die sich bis heute in den Spielplänen der Opernhäuser hält. In München hat sie in dieser Spielzeit ihre erste szenische Aufführung. Roland Schwab hat die Regie übernommen. Er hat bei Götz Friedrich und Ruth Berghaus gelernt. Es ist dies seine erste Arbeit an der Bayerischen Staatsoper. Viel hat er sich mit seinem Team, dem Bühnenbildner Piero Vinciguerra, dem Lichtkünstler Michael Bauer, der Videokünstlerin Lea Heutelbeck und der Kostümbildnerin Renee Listerdal ausgedacht, um die drei Akte mit Prolog und Epilog ausdrucksstark und ereignisreich auf die Bühne zu bringen.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Schon am Beginn steigt der Betrachter gleich in das Geschehen ein. Während das elegante Opernpublikum Platz nimmt, lümmeln auf der düsteren Bühne bereits die Handlanger von Mefistofele, an eine Mischung aus Hell Angels und Gothic im Untergrund erinnernd. Mefistofele, stimmlich sicher einfarbig, dafür mit viel Spielfreude von René Pape verkörpert, erscheint und legt eine alte Schellackplatte auf einem großformatigen Grammophon mitten auf der Bühne auf. Das Spiel beginnt. Die himmlischen Heerscharen preisen aus dem Nichts ihren Herrn, während Mefistofele und seine dunklen Begleiter auf einer Videoleinwand himmlische Eindrücke verfolgen. Wir tauchen in Kuppeln, schwirren durch den Orbit und landen in New York, Manhattan mit John Lennon und dann kreist ein Flugzeug und die teuflischen Ereignisse von 9/11 kommen wieder in Erinnerung, aber nicht auf die Bühne. Faust wird aus dem Unterboden an einer Hundeleine gekettet auf die Bühne gezogen. Das Bild kennt man nun schon und wirkt unpassend banal. Mefistofele schließt seine berühmte Wette, Faust zum Bösen zu verführen und die Party endet in Extase, die unter dem dynamischen, jungen Dirigenten Omer Meir Wellber lautstark im Orchester seine Krönung findet.

Foto © Winfried Hösl

Zünftig in Oktoberfest-Laune geht es gleich im nächsten Bild auf dem Volksfest weiter. In Tracht und Lederhose wird auf den Bänken ausgelassen getanzt und geschunkelt. Da kommt Faust, dargestellt von Joseph Calleja. Der großgewachsene, kräftige Malteke ist ja für seine glockenhelle und geschmeidige Tenorstimme, die mit Schmelz und Volumen unterlegt ist, bekannt und beliebt. Seine spielerische Leidenschaft ist eher statisch schablonenhaft. Aber das passt auf das naive Charakterbild, das die Regie vorgibt. Auch Andrea Borghini als Wagner kommt in kurzer Hose als schelmenhafter Bub an.  Mefistofele findet sein Opfer und rauscht am Ende mit ihm auf einer Harley Davidson auf dem Highway to hell davon. Im nächsten Bild landen sie bei Margherita. Kristine Opolais, die als kühle Blondine im eleganten, rosafarbenen Kleidchen mit ausladendem Rock an Grace Kelly erinnert, ist wiederum Mitglied einer Premierenbesetzung in München. Ihr Sopran wirkt stumpf in der Höhe, mit Konzentration bleibt ihre Stimme fest, aber ihr schauspielerisches Talent kommt voll zum Einsatz, und sie gestaltet die romantische Gartenszene bis zur pikanten Vergewaltigung souverän. Derweilen wirkt das erotische Abenteuer von Mefistofele und Marta, farblos Heike Grötzinger, auf dem Motorrad platt. Noch einmal wird es ekstatisch im nächsten Bild der Walpurgisnacht. Hier kommt alles in Bewegung. Der perfekt von Sören Eckhoff vorbereitete Chor als tobende Volksmenge, das Bühnenbild, das in mehrere Ebenen geteilt ist , die sich gegenläufig auf und ab bewegen, Video und viel Feuerzauber heizen die Stimmung noch weiter an. Faust erkennt seine Schuld beim Anblick von fünf Schwangeren, die geschmacklos am Boden turnen. Mefistofele beendet das Schauspiel mit einer Tafel "Back in 35 Minutes". Ein Regie-Gag? Oder ist das der Livestream-Übertragung anzurechnen? Das Publikum kehrt erholt zurück, und der letzte Teil des Abends erreicht nun intime Augenblicke, die berühren.

Da leidet die von ihrem Gewissen gequälte Margherita im Kerker, ergreifend berührend stimmlich und im Spiel wiederum Opolais, bereits himmlisch anmutend der Gesang von Calleja, der einmal mehr die Facetten und Flexibilität seiner Stimme auffahren lässt. Die Flucht in die historische Traumwelt und die Begegnung mit Elena wird zum geschickt angelegten Ausflug in eine Heilanstalt. Faust im Bademantel als Patient und Elena als seine aufopfernde Pflegerin, von Karin Babajanyan mit viel Einfühlungsvermögen und stimmlicher Eleganz gesungen. Am Ende wird nochmal kräftig aufgedreht, und das göttlich Gute setzt sich über das zerstörerische Böse durch.

Musikalisch beinhaltet die Oper verschiedene spätromantische Arien und Chorszenen, lässt aber Spannungsbogen und Handlungsstrom vermissen. Diese Inszenierung von Roland Schwab füllt den Stoff der Geschichte bis in alle Ecken aus und reichert die Geschichte mit vielen Bildern und Szenen an. So wird der Abend kurzweilig mit der Tendenz der Reizüberflutung. Der Dirigent will hier sportlich nicht nachstehen und führt das Orchester sehr präsent in das Geschehen ein. Omer Meir Wellber, Schüler von Daniel Barenboim, hat trotz seines jungen Alters bereits viel erkennbare Erfahrung mit Oper, wenn man sein Dirigat von Solisten und Chor verfolgt.

Das Publikum nimmt das Konzept an und feiert langanhaltend die Solisten, das Großaufgebot an Chor und das Orchester.

Helmut Pitsch