Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Alle Fotos © Andrea Huber

Aktuelle Aufführungen

Das Ende des Idylls

MÜNCHNER PHILHARMONIKER
(Wagner/Strauss/Schostakowitsch)

Besuch am
11. Dezember 2015
(Einmaliges Konzert)

 

Münchner Philharmoniker im Gasteig

Vorweihnachtliches wird nicht unbedingt gegeben. Dafür bedient sich Chefdirigent Valery Gergiev nach beendeter Japan-Tournee und vor seiner Abreise nach Wien großer Opernklänge in konzertanter Form. Strauss dirigiert er in diesen Tagen durchweg. Dazu tritt an diesem Abend Richard Wagner mit dem Siegfried-Idyll und Schostakowitsch fünfzehnte, letzte Symphonie. Die Gegenüberstellung gelingt. Nach Wagners eskapistischen, knappen Verschnaufen in der epischen Siegfried-Trägodie erklingt als Winkelstelle zur Moderne Richard Strauss mit seinen Metamorphosen, der die Verwandlung, das Werden und Verändern immer wieder ins Zentrum seines musikdramatischen Schaffens gestellt hat. Vor dem Angesicht der Zerstörungen 1944/45 gewinnt diese untypische Miniatur aus dem Spätwerk des Künstlers auch an diesem Abend besonderes Gewicht. Zunächst jedoch eröffnet der populäre Fidi-Vogelgesang das Programm und erzeugt in Millisekunden die wagnertypische, gefährlich-euphorische Atmosphäre seiner suggestiven Musik.

Gergiev jedoch traut dem Idyll nicht. Langsam setzt er ein, sortiert seine Streicher genau und ist nah an den Musikern. Mit leichtem Schwenk der Linken führt er das Orchester, beugt sich bei seinem unprätentiösen Dirigat über das Pult und hört mit seinen bestens aufgelegten Philharmonikern Wagners versteckte Zweifel. Er arbeitet die Brüche, die melodischen Pausen, die dramatischen Akzente dieser nur vordergründig leichtfertigen Suite heraus. Die Flöten klingen hier am saubersten, die Erfahrung des Orchesters mit dem Werk ist offenkundig, auch wenn die Bläser leicht verzögert einsetzen. Dennoch erklingt eine atypische, gänzlich unromantische Lesart, anders als ein Zubin Mehta, der im Wagnerfluss schwimmt. Gergiev stutzt die satten Läufe und weist auf das Unvermeidliche hin: Denn die kurze Ruhepause des Helden wird im Weltenbrand enden.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Dieser klingt in heimeliger Grausamkeit deutlich bei Strauss nach. Zutiefst verzweifelt angesichts der Kriegswirren und -zerstörung stemmte Strauss diese Miniatur am Ende seines Schaffens. Die nonchalant als Studie für 23 Streicher überschriebenen Metamorphosen verzichten auf jeglichen orchestralen Tand aus Strauss‘ Hauptwerken. Während die deutschen Städte und Opernhäuser brannten und einstürzten, verzichtet auch der Komponist auf Schnörkel und Lautmalerei. Dezidiert lakonisch, tieftraurig mit knappen Walzereinsprengseln klingt hier ein deutscher Trauermarsch für die zerstörte Welt. Logisch folgt dieser auf das Idyll. Ohne Podest und Stab rückt Gergiev hier nochmals näher an seine Musiker. Präzise klingen die Geigen, die sich auf ihren ersten Mann, Sreten Krstic, ebenso wie das Publikum verlassen können. Lange erklingt der Applaus für den Münchner Hofkomponisten.

Foto © Andrea Huber

Ebenso wenig versöhnlich geht es nach der Pause weiter. Denn auch Dmitri Schostakowitsch misstraut seinen Zitaten. Der Tell-Galopp wird zur zynischen Persiflage, eingerahmt in das widerborstig geniale Flötenhauptthema, das sich leitmotivisch durch das Werk zieht, einem Verwirrspiel, dass die analog zu Strauss gestaltete, private Trauer und das Unvermögen von Frieden im Angesicht des Todes meisterlich auserzählt. Dazu bedient er sich in scharfer Kontur bei Wagner, dessen Verkündigungsthema aus der Walküre prominent ebenso wie der Tristan eingeflochten sind.

Der erzählerische Bogen dieses Abends gelingt. Die Rückbezüge stürzen den Zuhörer hinab in einen Totentanz, durch melancholische Trauer gebrochen, die gerade im Violoncello und der Posaune des zweiten Satzes greifbar wird. Eruptiv kämpft sich jugendliche Agilität zurück, der Tell wehrt sich gegen Vergänglichkeit, doch die Wagner-Zitate obsiegen. Dabei dröhnt es dynamisch, immer wieder eruptiv, stöhnend, schwer zu ordnen, bläserlastig und mit teils schrillem Blech. Ein klarer Kontrapunkt zu Wagners romantisierenden und Strauss lakonischen Streichern. Diese kehren trauriger und extremer bei Schostakowitsch im Finale zurück. Die Tuba klingt unsagbar desolat nach Mussorgski. Allgemein durchdringt soldatische Tristesse die marschhaften Adagio-Passagen. Es scheint, als sei sich Siegfried, wie es im Ring nie passiert, seines Schicksals bewusst, und das Idyll des tumben Helden gipfelt in Verzweiflung, kraftmeierndem Aufbäumen und letzten Hilferufen vor dem Todesfrieden, der bereits in den Metamorphosen erklingt. Der Abend folgt damit einem grandiosen dramatischen Bogen. Die große Besetzung rahmt dieses Finale durch klares Schlagwerk und einen inspirierten, intellektuellen Dirigenten, der einen abendfüllenden Trauermarsch von bitterschöner Intensität inszeniert.

Versöhnlicher geht es nach den Feiertagen zu. Dann erklingen Bach und Vivaldi zur philharmonischen Weihnacht. Dieser tragische Kontrapunkt in unsicheren Zeiten aber sucht und findet seinen Platz. Lange hallen Wagners verführerische Melodie, Strauss‘ melancholisches Treiben und Schostakowitschs bizarre Todessehnsucht nach.

Ein ergriffenes, andächtiges Publikum dankt den Philharmonikern mit viel Applaus.

Andreas M. Bräu