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Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Matthias Stutte

Aktuelle Aufführungen

Mördersuche

DAS GEHEIMNIS DES EDWIN DROOD
(Rupert Holmes)

Besuch am
28. Oktober 2015
(Premiere am 24. Oktober 2015)

 

Theater Krefeld Mönchengladbach,
Mönchengladbach

Ein starkes Stück von Charles Dickens: Einen Kriminalroman zu beginnen und kurz vor der Überführung des Mörders das Zeitliche zu segnen. Das Geheimnis des Edwin Drood aus dem Jahre 1870 zählt zu den frühen Kriminal-Klassikern und ausgerechnet er enthält uns die Auflösung vor. Rupert Holmes animierte gerade dieser Schönheitsfehler zu einem Musical, das es seit seiner Uraufführung vor 30 Jahren beim New Yorker Shakespeare-Festival in Amerika zu großer Popularität gebracht hat, in Europa aber recht unbekannt geblieben ist.

Holmes, der gleich Musik, Libretto und Songtexte in Personalunion schuf, überlässt die Lösung des Falls dem Publikum. Das kann am Ende bestimmen, wer von den acht in Frage kommenden Tätern der Mörder ist. Entsprechend wird Abend für das Abend das Finale ausgerichtet. Ein pfiffiger Einfall, den das Publikum auch am Theater Krefeld Mönchengladbach dankbar aufnimmt, zumal das quicklebendige Ensemble auch vorher schon in engem Kontakt zum Publikum agiert. Es prescht nicht nur in und durch das Parkett, es spricht, schimpft und schäkert auch mit einzelnen Besuchern.

Die Handlung ist im Aufriss denkbar einfach, im Detail recht kunstvoll gestrickt: Der geheimnisvolle, opiumsüchtige Kantor der Kathedrale von Cloisterham lädt Verwandte und Freunde zu einem Weihnachtsessen ein, bei dem es recht munter zugeht. Am Morgen danach fehlt von seinem Neffen, dem jungen Ingenieur Edwin Drood, jede Spur. Wurde er ermordet? Und von wem? Der Reiz des Stücks liegt nicht zuletzt in der pointierten Charakterisierung der acht möglichen Täter, lauter spleenige, skurrile Typen aus dem viktorianischen englischen Bilderbuch. Jeder hat ein Motiv und jeder tickt so schräg, dass man es ihm zutrauen kann.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Das alles lässt Rupert Holmes von einer quicklebendigen Schauspieltruppe aufführen. Eine Steilvorlage, die ihm viel Raum für revueartige Chor- und Tanzszenen und solistische Einlagen bietet, die in ihrer Skurrilität denen der Rocky Horror Picture Show nicht nachstehen, aber eine dicke Dosis englischer Nobilität versprühen. Nicht minder eine Einladung an den Musical-erfahrenen Regisseur Karl Absenger, die Spielfreude des niederrheinischen Ensembles treffsicher zu nutzen, um keine Sekunde Langeweile aufkommen zu lassen.

Wie ein Zirkusdirektor peitscht Tobias Wessler als aalglatter Prinzipal gleich zu Beginn das Publikum auf das turbulent-geheimnisvolle Treiben ein, und wenn die Festgesellschaft aus allen Ecken und Winkeln des Theaters auf die Bühne drängt und mit einem feschen Ballett-Oktett ein nicht sehr andächtiges, dafür aber umso freudigeres Weihnachtsfest anstimmt, wird die Distanz zum Publikum gleich mit den ersten Takten minimiert.

Gabriela Kuhn als Edwin Drood mit dem Ballett - Foto © Matthias Stutte

Absenger sorgt, gemeinsam mit der Choreografin Teresa Rotemberg, nicht nur für brillante Tanzeinlagen und große Ensembleszenen, sondern findet auch den richtigen Zugang zu den Profilen der einzelnen Figuren. Und da kann er sich auf vortreffliche Stützen des Krefeld-Mönchengladbacher Ensembles und einiger Gäste verlassen. Im Mittelpunkt steht als besonders verdächtige Schlüsselfigur der dämonisch-charismatische Kantor John Jasper, dem der Genre-erfahrene Axel Herrig nichts an Bühnenpräsenz und stimmlichem Ausdruck schuldig bleibt. Vokal sind in einem von Schauspielern durchsetzten Ensemble natürlich Abstriche zu machen. Aber Ausfälle gibt es nicht, zudem das vitale Spiel aller Darsteller kleine stimmliche Ecken und Kanten vergessen lässt. Die gesanglich eindringlichste Leistung serviert Kerstin Brix als mondän-abgetakelte Prinzessin Puffer, die eine billige Absteige mit integrierter Opiumhöhle betreibt und mit rauchig-disseusenhafter Stimme für Eindruck sorgt. Die Verwandschafts- und Liebesverhältnisse des Personals sind recht verwickelt. Da sind hervorzuheben Lisenka Kirkcaldy als Helena Landless und James Park als ihr Bruder Neville Landless, die beide zu ebenso großer Form auflaufen wie Susanne Seefing als Rosa Budd, der Verlobten von James Drood, die sich zugleich mit den Nachstellungen des zwielichtigen Kantors herumplagen muss. Auch der versoffene Steinmetz Durdles und Julius Seeger als sein Gehilfe passen sich nahtlos der Gesamtleistung an.

Das Bühnenbild von Karin Fritz mutet wie eine britisch viktorianisch angehauchte Zirkusszenerie an. Entsprechend auch die liebevoll gestalteten Kostüme. Die Musik von Rupert Holmes bietet alles auf, was ein gutes Musical braucht. Viel Pep, raffinierte Klangeffekte und feines Gespür für dramatische Effekte. Da das ganze Stück von feiner bis leicht-derber Ironie überzogen ist, kommt es auch in den gefühlvolleren Szenen nirgends zu sentimentalen Entgleisungen.

Dafür sorgt nicht zuletzt Karsten Seefing am Pult der Niederrheinischen Sinfoniker. Da das Orchester auf der Bühne hinter der Szene postiert ist, bleibt die klangliche Balance zwischen Orchester und Sängern ausgewogen, was zu einer erfreulich hohen Textverständlichkeit führt. Ein besonderes Schaumkrönchen servieren die acht Mitglieder des Ballettensembles.

Und das Publikum macht begeistert mit, so dass wir es mit einem gelungenen Beispiel interaktiven Theaters zu tun haben.

Pedro Obiera