Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Alle Fotos © Hans-Jorg Michel

Aktuelle Aufführungen

Peking im Regen

TURANDOT
(Giacomo Puccini)

Besuch am
5. Dezember 2015
(Premiere)

 

Deutsche Oper am Rhein,
Duisburg

Nach dem großen Wurf mit Prokofieffs Feurigem Engel zum Abschluss der letzten Saison tut sich die Deutsche Oper am Rhein in der neuen Spielzeit schwer. Litt die Eröffnungspremiere von Richard Strauss‘ Arabella nicht nur an einer unbedarften Regie, sondern auch an dem groben Dirigat von Lukas Beikircher, tat es jetzt Generalmusikdirektor Axel Kober in der Neuproduktion von Giacomo Puccinis brutaler Märchenoper Turandot seinem Kapellmeister gleich. Noch schlimmer: Selbst die vokale Qualität, die in der Arabella noch ein einigermaßen standesgemäßes Niveau erreichte, enttäuscht diesmal auf ganzer Linie.

Nun macht es Puccini in seiner letzten, unvollendet hinterlassenen Oper allen Akteuren und im Grunde auch dem Publikum nicht leicht. Wenn es den großen Frauengestalten in seinen Opern besonders schlecht geht, schwelgt Puccini bekanntlich in den schönsten und wärmsten Klängen. So ist man es von dem Schöpfer der Bohème, der Tosca und der Madama Butterfly gewohnt. In seiner letzten Oper mit der zumindest scheinbar gefühlskalten chinesischen Prinzessin Turandot rückt der Meister die Titelheldin mit einer kühlen, wenn auch prächtigen Klangkulisse in eine ungewohnt weite Distanz zum Publikum. Puccinis Seiltanz zwischen Märchen, Burleske und Liebesdrama mit unerwartet gutem Ausgang stellt damit nicht nur das Besetzungsbüro vor große Probleme, sondern auch das Regieteam.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Die Neuproduktion der Deutschen Oper im voll besetzten Theater Duisburg kann leider weder musikalisch noch szenisch überzeugen. Kober lässt sich von den Massenchören und einem mächtig aufdröhnenden Orchester zu einem klanglichen Gewaltakt verleiten, dem keine menschliche Stimme gewachsen ist. Kraft ersetzt Präzision und Feinarbeit, so dass selbst die an sich erstklassigen Duisburger Philharmoniker ihre Qualitäten kaum entfalten können. Und die Chöre überrumpeln zwar, verwöhnen aber auch nicht mit klanglicher Sensibilität. Kleiner Lichtblick: Der seit kurzem liebevoll von Sabina López Miguez geleitete „Kinderchor am Rhein“. Besonders erstaunlich, dass selbst Stars wie Linda Watson in der Titelpartie und der serbische Tenor Zoran Todorovich als Kalaf weitgehend enttäuschen. Linda Watson setzt ihre große Stimme mit der Schärfe eines Henkerbeils ein, das wie eine optische Illustration demonstrativ über die Bühne getragen wird. Kober lässt ihr freilich auch kaum eine Chance, sich subtiler zu präsentieren. Und Todorovich singt so farb- und glanzlos, wie er spielt. Dass er über eine Stimme von metallischer Strahlkraft verfügt, mit der er es zu internationalen Ehren gebracht hat, davon ist in der Duisburger Premiere kaum etwas zu hören. Brigitta Kehle sorgt als Liù für ein paar lyrische Farbtupfer, kann aber die schwerelosen Höhenflüge der Partie nicht ohne Anstrengung bewältigen. Annehmbar Sami Luttinen als Timur. Den geschlossensten Eindruck hinterlässt noch das Ministertrio mit Bogdan Baciu, Florian Simson und Cornel Frey. Kultiviert interpretiert Bruce Rankin den Kaiser Altoum.

Foto © Hans-Jörg Michel

Warum der allerdings im schwarzen Lieblings-Outfit Puccinis mit Zigarre, Gehstock und Melone auf den Zinnen des Kaiserpalastes erscheint, ist ebenso rätselhaft und überflüssig wie vieles in der Inszenierung des in Taiwan viel beschäftigten Regisseurs Huan-Hsiung Li, den Intendant Christoph Meyer auf Empfehlung seines ebenfalls aus Taiwan stammenden Kapellmeisters Wen-Pin Chien mit dieser Aufgabe betraut hat. Wen-Pin Chien selbst wird zwei der insgesamt nur sechs für diese Spielzeit vorgesehenen Aufführungen leiten. Hoffentlich etwas differenzierter als sein Chef. So betonhart Kober die Aufmärsche dirigiert, so statisch steuert Li die Personen. Von einer Chorregie kann überhaupt keine Rede sein, Turandot wandelt selbst nach ihrer Wandlung zur liebenden Frau wie eine Marmorstatue über die Bühne, der Rest darf sich kaum weniger langweilig und stereotyp in Szene setzen. Die bizarren und magischen Episoden, die die Kernhandlung unterbrechen oder vertiefen, erfahren keinerlei fantasievolle Umsetzung. Allenfalls Video-Einblendungen mit dunkel dräuenden Wolken weisen auf das schlechte Betriebsklima in Turandots Reich hin. Wenn auch das Volk wenig gegen Turandots Blutrausch ausrichten kann, rüstet es sich zumindest gegen drohende Unwetter mit modernen Regenschirmen, die besser in britische Regionen passen würden. Wenn schon Peking 2015, dann bitte mit Gasmaske.

Immerhin verzichtet Li auf clowneske Übertreibungen bei den Auftritten des Ministertrios und auch folkloristischer Schnickschnack bleibt, anders als in der Bregenzer Zirkus-Show, außen vor. Das alles hat Bühnenbildner Jo-Shan Liang vor den gräulichen Umrissen eines kaiserlichen Palastes angerichtet, ergänzt durch mehr oder weniger sinnvolle Zwischenvorhänge mit oder ohne chinesischen Kalligraphien. Dass die ständig präsente und als einzige aktiv agierende Tänzerin Yi-An Chen die Handlung als (Alp)Traum einer jungen Frau erleben und durchleiden soll, ist gut gemeint, erschließt sich jedoch lediglich aus dem Programmheft, nicht aus der Inszenierung. Und Video-Einblendungen mit Bildern aus dem heutigen China sind so überflüssig wie die besagten Regenschirme.

Insgesamt also eine fade Angelegenheit und nach der umstrittenen Arabella zum Saisonauftakt der zweite Fehlschlag der jungen Spielzeit. Dass das Duisburger Premieren-Publikum vor Begeisterung trotz allem mit seinem rhythmischen Klatschen kaum enden wollte, verwundert. Sind die Ansprüche an ein Haus, das sich zu den „Großen“ des Landes zählt, so tief gesunken? Oder wirken die Dezibel-Rekorde Kobers so berauschend? Hoffen wir auf einen besseren Don Carlo im Februar.

Pedro Obiera