Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Jewgeni Roppel

Aktuelle Aufführungen

Das andere Gesicht der Zschäpe

WIE DAS LÄCHELN ...
(Branko Šimić)

Besuch am
21. Mai 2016
(Premiere am 20. Mai 2016)

 

Forum Freies Theater, Düsseldorf,
Kasernenstraße

Ein abgehalfterter Showmaster der in Jugoslawien kultigen TV-Sendung Kwiskotheka fordert das Publikum auf, mit dem rechten Arm zu winken. Es werde gefilmt. Zwei alte Herren in der ersten Reihe rühren sich nicht. Werden explizit von ihm aufgefordert. Rühren sich nicht. „Die hier nicht filmen, die wollen nicht mitmachen“, ruft der Moderator dem Kameramann zu. „So, und jetzt langsamer winken – noch langsamer“, wird das Publikum angewiesen. Dann steht der Mann mit ausgestrecktem, rechtem Arm vor der Tribüne, die Hand flach gestreckt. „Sehen Sie, das kennen Sie doch.“

Das ist überhaupt nicht lustig. Und das ist das Problem mit der Partizipation, die so gern in der so genannten freien Szene apostrophiert wird. Da bleibt selbst diesem mitmachfreudigen Publikum das Lachen im Halse stecken, wenn es dermaßen vorgeführt wird. Ohnehin ist das Thema des Abends nicht wahnsinnig erheiternd. Wie das Lächeln aus dem Gesicht von Beate Zschäpe verschwindet lautet der Titel des zweistündigen Abends, den Branko Šimić inszeniert hat. Gleich zu Beginn hat eine Schauspielerin, die Beate Zschäpe wie aus dem Gesicht geschnitten ähnelt, deren Stellungnahme vor Gericht vorgetragen. Nun steht sie beiseite. Auf der Bühne von Martina Stoian ist eine Art Fernsehstudio aufgebaut, im Hintergrund eine Leinwand, auf der wechselweise Projektionen oder Live-Übertragungen gezeigt werden.

POINTS OF HONOR
Musik
Regie
Choreografie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Zwischenzeitlich wird das Staatsballett mit einer kleinen Einlage vorgestellt. Figuren in pinkfarbenem Ganzkörperanzug – die Kostüme stammen von Sharon Rohardt – werden den Abend begleiten. Andy Calypso treibt mit ihren Choreografien das Geschehen voran, zeigt viel Einfallsreichtum und schont die Tänzer keinen Deut.

Foto © Jewgeni Roppel

Nach dem Quiz, das eine kaum wahrnehmbare Flut an Fakten bietet, gibt es das Interview des Moderators mit Zschäpe. Er versucht, sie mit Rotkäppchen-Sekt abzufüllen, rückt ihr auf die Pelle, während sie sich ob der Hitzewallungen von ihrer Kleidung zu befreien sucht. Es bleibt alles jugendfrei. Die Handlung wandelt sich zur Collage. Das Zschäpe-Double Tina Keserovic beschließt seinen Monolog mit der Forderung nach Meinungsfreiheit und verabschiedet sich mit Suren. Das Ballett wandelt sich zum Chor und zitiert Hasstiraden, wie sie jeder kennt, der seine Freundesliste bei Facebook noch nicht bereinigt hat. Am Ende entkleiden sich die „Performer“ und entpuppen sich als Menschen mit Wurzeln in anderen Ländern.

Eigentlich wendet sich die Inszenierung hier an das falsche Publikum. Es braucht einen Moment, bis man bemerkt, dass hier „Ausländer“, Migranten oder wie immer man Menschen nennen will, die nicht mindestens in der dritten Generation in Deutschland geboren sind, diese menschenunwürdigen Zitate geäußert haben. Unter den Anwesenden gibt es sicher keinen, der nicht kosmopolitisch denkt. Und fast fühlt man sich wieder in die Situation der Jugendlichen zurückversetzt, die sich zwei Generationen nach dem Weltkrieg immer noch „schuldig“ zu fühlen hatten, bis sie sich widersetzten. Wir lassen uns auch heute nicht mehr unter Generalverdacht stellen.

Aber Šimić setzt noch einen drauf, wenn er den Brief einer der Töchter eines NSU-Opfers an den Bundespräsidenten verlesen, die Opfer namentlich und mit Foto benennen lässt, dass es einem die Tränen in die Augen treibt. Nein, diese Schuld weisen wir von uns. Die Mehrheit der Bevölkerung setzt sich derzeit für Flüchtlinge ein, nie war Deutschland unterhalb, wenn man in solchen Kategorien denken will, der politischen Kaste offener, hilfs- und willkommensbereiter als heute. Und darauf können wir stolz sein. Das findet übrigens auch Šimić, der am Ende die Botschaft verbreiten lässt, dass die Fremdenfeindlichkeit nicht überwiegt und das Grund genug ist, in Deutschland zu feiern.

Trotz aller Brüche in der Inszenierung bleibt ein starker Abend, der nicht nur die zwielichtige wie tumbe Person der Zschäpe beleuchtet, sondern vor allem die Opfer würdigt, mit denen Zschäpe vielleicht gar nichts zu tun hatte. Und wenn die Tänzer feiern, gibt es vielleicht auch Grund, mit Zuversicht in die Zukunft Deutschlands zu schauen.

Michael S. Zerban