Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Alle Fotos © Pascal Amos Rest

Aktuelle Aufführungen

Treibende Kräfte

MOZARTS DA-PONTE-OPERN
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Besuch am
13., 15., 17. November 2015
(Einmalige Aufführung)

 

 

Konzerthaus Dortmund

Wenn man in einem Theater einen passenden Platz im Publikum hat, kann man mit einem großen Seitenblick auch einen Blick auf die Monitore an den Seiten werfen. Diese Monitore sind eigentlich dafür gedacht, den Sängern eine bessere Kommunikation mit dem Dirigenten zu ermöglichen, dessen Schlag in Nahaufnahme darauf zu sehen sind. Auch das Konzerthaus Dortmund verfügt über diese Monitore, aber sie bleiben in diesen Tagen sehr oft leer. Dazu gleich mehr. Zu Gast aus dem russischen Perm sind Teodor Currentzis und sein junges Ensemble Musica Eterna, das Chor und Orchester umfasst. Auf dem Programm steht hochschwierige Ensemble-Arbeit à la Mozart. Die drei Opern in der Zusammenarbeit mit Lorenzo DaPonte, der die drei Libretti zu Così fan tutte, Le nozze di figaro und Don Giovanni verfasst hat. Das Interesse an den Aufführungen ist groß, weil Currentzis schon mit den jüngst veröffentlichten CD-Aufnahmen der Così und vom Figaro große Aufmerksamkeit erregt hat.

Die drei Aufführungen zeigen allerdings auch, dass live seine Leseart noch um einiges radikaler wirkt als schon auf der CD. Das beginnt schon mit dem Auftritt des Maestro selber, der modisch die Erscheinung des Dirigenten in die Hipster-Zeit bringt. Enge, dunkle Jeans, ein schwarzes weit fallendes Hemd mit Stehkragen und Rüschenärmeln und dazu schwarze Schuhe – mal klassisch aus Lack, oder auch mal eben Dockers mit roten Schnürbändern. Wie er dann vor dem Orchester arbeitet, das ist freilich erst recht Geschmackssache. Auf den ersten Blick könnte man annehmen, dass er reine Show betreibt. Seine Hände zucken in teils wilden Bewegungen, allerdings nicht immer auf den Takt bezogen, sondern auch mal sogar auf sechzehntel Noten. Dazu kommt, dass er, je expressiver er die Musik haben möchte, auch den Rhythmus entweder mit Schuhspitze oder Schuhabsatz – das ergibt sich aus der gewünschten Intensität – mitklopft. Bei Currentzis hat man nicht das Gefühl, dass er dirigiert, sondern dass er die Musik auslebt. Wie ein Tänzer bewegt er sich vorwärts, seitlich, rückwärts immer dahin, wohin ihn die Interpretation gerade treibt. Auch immer zwischen die Solisten, die den Dirigenten ja eigentlich in einer konzertanten Aufführung leicht im Rücken stehen haben. So geht eben mancher Blick auf die oben erwähnten Monitore ins Leere, denn auf dem Bildschirm ist vielleicht nur der Hinterkopf eines Sängers zu sehen. Ganz deutlich fordert Currentzis die Kommunikation mit seinen Künstlern ein. „Schaut mich an“, signalisiert er immer wieder.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Was anfangs völlig befremdlich und störend wirkt, fügt sich immer mehr zu einem Bild zusammen. Ein Bild, was nicht nur zur Musik passt, die vom Orchester wiedergegeben wird, sondern auch zur Musikgeschichte. Man fühlt sich unwillkürlich ins Mittelalter zurück versetzt, wo der Dirigent mit einem langen Stab den Rhythmus auf den Boden klopfte. Wie Currentzis dann noch einzelne Instrumentengruppen und damit auch die Gesangsstimmen gekonnt in Szene setzt, etwa wenn er die Holzbläserabteilung zu Dorabellas E amore un ladroncello nach vorne holt, dann fühlt man sich direkt an gute moderne Jazzmusik mit ihren Soloteilen erinnert. Fehlt nur noch, dass das Publikum in die Musik hineinklatscht. Das ist aber in der Oper – zum Glück – dann doch undenkbar.

Foto © Pascal Amos Rest

Undenkbar sind allerdings schon auf CD einige der Tempi, die die Musiker spielen. Kaum zu glauben, dass man so etwas live und dann auch noch so perfekt hinbekommt. Das Lach-Terzett aus der Così etwa oder das hektische Getuschel von Susanna und Cherubino, bevor der aus dem Fenster springt, aus dem Figaro. Kurzum: Was das Orchester hier leistet, ist Schwerstarbeit und hört sich dabei an, als wäre es das Einfachste auf der Welt. Über kleinere Ungenauigkeiten, kann beziehungsweise muss man hinweg sehen. Denn wie Musica Eterna mit seinem Dirigenten mitgeht, erfordert bei der Umsetzung schon manches Risiko. Gespielt wird hier ohne Netz und doppelten Boden. Die Belohnung dafür sind Klangerlebnisse der besonderen Art. Nicht nur in den wahnsinnig rasanten Momenten. Sondern vor allem dann, wenn Currentzis diesen wunderschönen warmen Legatoklang in den Instrumenten einfordert, wenn er den Herzschlag der Musik einfach nur weich klingen lässt. Daher wirken dann die eruptiven Steigerungen umso beeindruckender. Das Orchester, das alle Aufführungen im Stehen spielt, sofern es ihre Instrumentengruppe erlaubt, erfüllt seine Aufgabe als erzählende Kraft der Oper mit Bravour.

Mit Mozart schreiben Currentzis und Musica Eterna ein Stückchen an der Musikgeschichte weiter. Was mit Dirigenten wie John Eliot Gardiner und Roger Norrington begonnen, durch René Jacobs weiter entwickelt wurde, gelangt nun auf die nächste Stufe der musikalischen Evolution.

Angekündigt waren die drei Opern als konzertante Erlebnisse. Es ist üblich, dass man auch hinter dem Notenständer versucht, ein bisschen für das Publikum zu spielen. Das Sängerensemble präsentiert sich in Dortmund dabei sehr uneinheitlich. Manche singen konsequent auswendig und spielen ihre Rollen, manche – wie die eigentlich so schön als Donna Elvira singende Karina Gauvin – verstecken sich konsequent hinter ihren Noten, die sie immer auf der Bühne mit sich rumtragen. Lustig hingegen, wie manche Sänger das Orchester nutzen, um das große Versteckspiel in den DaPonte-Opern umzusetzen. Da vertreibt so mancher auch mal Currentzis oder den ersten Geiger von seinem Platz, um sich mit dieser Rolle zu „tarnen“. Man hätte sich konsequent auf eine Art der Darbietung einigen sollen. Auch die kleinen Beleuchtungseffekte im Konzerthaus wirken alles andere als souverän.

Zudem leiden zwei Aufführungen unter dem krankheitsbedingten Ausfall von Andrè Schuen, der Guglielmo und Don Giovanni hätte singen sollen. Dimitris Tiliakos springt kurzfristig als Giovanni ein und gibt sein Möglichstes, um die Aufführung zu retten. Es gelingen ihm einige tolle Momente: Zum Beispiel Champagnerarie oder Höllenfahrt. Hier bekommt er es mit dem besten Steinernen Gast zu tun, den man seit langer Zeit erleben durfte: Mika Kares, der unter Currentzis den Rheingold-Wotan in Bochum sang, sorgt als Komtur für einen nachhaltigen Gänsehauteffekt. Überhaupt gibt es einige richtig schöne Stimmen zu hören: Kenneth Tarver verfügt über einen wunderbar lyrischen Mozart-Tenor, den er als Don Ottavio auch sehr entschlossen einsetzt. Als Ferrando leidet er unter einer im Laufe der Così wachsenden Indisposition und wird von einem tollen Publikum zum Durchhalten angefeuert. Die quirlige Despina von Anna Kasyan hat sich seit ihrer ohnehin schon guten CD-Leistung in dieser Rolle nochmal gesteigert. Natalia Kirillova und Konstantin Shushakov sind in Erscheinung und Stimme ein edles Grafenpaar im Figaro. Die interessante Fehlbesetzung ist Simone Kermes als Fiordiligi, die zu oft versucht, sich neben Currentzis mit ihrem eigenen Körpereinsatz zu profilieren, anstatt die Rolle zu interpretieren. Gesanglich ist sie wie immer mit ihren Meriten und Schwächen durchaus präsent, im Ensemble wirkt sie zu oft als Fremdkörper.

Die große Schwierigkeit für die Sänger in Currentzis‘ Interpretation ist, dass sie sehr oft einen hohen Anteil Kopfstimme verlangt, damit die Stimme dann sehr leicht klingt. Leider fehlt aber dann einigen Sängern, wie der an sich sehr innig singenden Fanie Antonelou als Susanna, die Resonanz des ganzen Körpers, um in den Forte-Ausbrüchen des Orchester noch präsent zu sein. Zwei Sänger, die Entdeckungen des Dortmunder Mozart-Zyklus, meistern diese Schwierigkeit ohne Probleme: Da ist einmal Paula Murrihy, die als Dorabella und Cherubino mit einem herrlich durchgebildeten Mezzosopran begeistert, der immer präsent ist. Die andere Stimme gehört dem überragenden Vito Priante. Ohnehin als Figaro und Leporello eingeplant, springt er auch noch als Guglielmo ein. Drei Opern in sechs Tagen mit der jeweils passenden Ausstrahlung und vokal auf höchstem Niveau – alle Achtung, das muss dem charmanten Bariton erstmal nachmachen. Am letzten Abend wird er vom Publikum nochmal besonders bejubelt. Der Applauspegel ist überhaupt in allen Aufführungen besonders hoch und erreicht die Schmerzgrenzen des Gehörgangs, wenn Teodor Currentzis vor sein Orchester tritt.

Überschattet werden die Aufführungen vom Terror. Die Anschläge von Paris bekommen die meisten erst nach der Così fan tutte mit. Während des Don Giovanni am Dienstag wird in der Pause die Gefahr, die in Hannover herrscht, bekannt. Zuvor im Finale des ersten Aktes hat der grandiose Chor von Musica Eterna ein Zeichen gesetzt. Aus einer Aufführungsserie in Perm haben die Sänger ein Transparent mitgebracht, das sie – an dieser Stelle bunt und leger gekleidet – vor dem Publikum entrollen. Viva la libertàes lebe die Freiheit steht darauf und alle singen sie die Worte, nein, schleudern sie mit erhobenen Fäusten den Gegnern der Freiheit entgegen. In England ist es am gleichen Abend die Marseillaise, von 90.000 Fans gemeinsam im Stadion gesungen. Die Musik als treibende Kraft, in Zeiten der Angst gemeinsam weiter zu machen.

Christoph Broermann