Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Attila Juhász, Béla Mezey

Aktuelle Aufführungen

Qualen einer kranken Seele

PIQUE DAME
(Peter Tschaikowski)

Besuch am
9. April 2016
(Premiere am 4. Dezember 2010)

 

 

Ungarische Staatsoper Budapest

Tschaikowskis Oper Pique Dame handelt von Leidenschaft, Verzweiflung und der Obsession eines pathologischen Spielers.

„Entweder ich befinde mich in einem schrecklichen Irrtum, oder Pique Dame ist wirklich die Krönung meines Lebenswerkes!“, soll der russische Komponist Peter Tschaikowski einmal über seine am 19. Dezember 1890 im Mariinski-Theater in St. Petersburg uraufgeführte vorletzte Oper gesagt haben. Nach dem großen Erfolg von Eugen Onegin, ist Pique Dame das zweite Bühnenwerk, dessen Handlung Tschaikowski der Erzählung des russischen Nationaldichters Alexander Puschkin entnommen hat. Das Libretto zur Oper verfasste Tschaikowskis Bruder Modest. Und wenn ein derartiger Klassiker von einem russischen Regisseur inszeniert und einem russischen Dirigenten geleitet wird, dann kann die russische Seele voller Melancholie und Bilderreichtum sich entfalten. Die ungarische Staatsoper Budapest, sicher eines der schönsten Häuser dieser Welt, bietet dafür die richtige Kulisse, um in Puschkins Bildern zu schwelgen und Tschaikowskis melodramatische Musik auf sich wirken zu lassen.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Das Werk beschreibt mit großer musikalischer Tiefe die Zerrissenheit und die obsessive Spielsucht eines Menschen, der längst die Grenze zum krankhaften Wahn überschritten hat und durch seine Besessenheit sich und seine Liebe zerstört.

Foto © Attila Juhász, Béla Mezey

Die Oper in drei Akten und insgesamt sieben Bildern erzählt die Geschichte des aus einfachen Verhältnissen stammenden Offiziers Hermann. Er ist in Lisa verliebt, um die er aber wegen ihrer reichen Herkunft nicht zu werben wagt. Desweiteren ist Lisa standesgemäß mit dem Prinzen Jeletski verlobt, und damit unerreichbar für Hermann. Lisas Großmutter, die Gräfin, wacht zudem mit Argusaugen über das Wohl ihrer einzigen Enkelin. Doch auch die Gräfin hat ein dunkles Geheimnis. In ihrer Jugend war sie als die „Pique Dame“ bekannt, die ein Geheimnis zu kennen schien, mit dem man jedes Kartenspiel gewinnen konnte. Hermann will mit aller Gewalt hinter dieses  Geheimnis kommen, um so seine Angebetete und noch dazu ein Vermögen für sich zu gewinnen. Doch schon bald zeigt sich, dass dieser Plan zum Scheitern verurteilt ist. Obwohl Lisa sich von diesem düsteren Offizier angezogen fühlt und sich schließlich ihm ganz hingibt, kann dieser nicht davon ablassen, die Gräfin ob des Geheimnisses ihres erfolgreichen Kartenspiels zu bedrängen. Hermanns Wunsch nach gesellschaftlichen Aufstieg, sozialer Anerkennung und Vermögen durch das Kartenspiel entwickelt sich bei ihm zu einer derartigen Obsession, dass sie am Ende sein Leben, das von Lisa und der Gräfin, die vor Schreck stirbt, zerstört. Am Schluss verliert Hermann alles, und sein Selbstmord ist der letzte Ausweg, um ehrenhaft sein Leben zu beenden.

Vadim Milkov hat diesen Klassiker mit großen Bildern in Szene gesetzt und dabei die Zerrissenheit Hermanns in Kontrast zu der oberflächlichen Blasiertheit der adligen Gesellschaft am Hofe Katharina der Großen gezeigt. Hermann, zwar Offizier, ist dennoch gesellschaftlicher Außenseiter. Und so wird seine Obsession, seine Verzweiflung in düsteren Bildern gezeigt. Doch fehlt es in der Interaktion, speziell zwischen Hermann und Lisa, manchmal an spielerischer Tiefe. Milkov reißt die Tür zum Abgrund zwar auf, doch der konsequente letzte Schritt fehlt. Und so ist die Szene manchmal für die brutale Realität der Geschichte zu harmlos dargestellt.

Grandios dagegen die Ausstattung. Das von Victor Volsky geschaffene pompöse Bühnenbild und die von Rafael Volsky entworfenen opulenten, klassischen Kostüme bieten den historischen Rahmen, in dem sich diese menschliche Tragödie erst richtig entfalten kann. Garniert mit großen Chor- und Tanzszenen ist diese Inszenierung auch optisch ein wunderbares Erlebnis, wie man es heute nur noch selten findet. Die Choreografie wird von Szakály Györgi dramaturgisch gut eingebunden.

Das besondere Flair der Budapester Staatsoper, in der wie in Wien noch der Geist der alten K.u.K.-Monarchie weht, entführt den Zuschauer so für vier Stunden in eine längst untergegangene Zeit.


Musikalisch ist diese Aufführung ein Hochgenuss, und für Tschaikowski-Enthusiasten, die den düsteren Zauber und die schwere Melancholie auf der einen Seite, aber auch auf der anderen Seite das Heitere und Aristokratische dieser Musik lieben, ist dieser Abend bereichernd.

Der Tenor Mikhail Gubsky gibt den Hermann mit großer Leidenschaft und darstellerischer Besessenheit. Zu Beginn wirkt die Stimme noch etwas angestrengt, und die dramatischen Ausbrüche wirken in den Höhen gepresst, doch durch seine starke Bühnenpräsenz und seine angenehme baritonale Mittellage ist der Gesamteindruck dieser schwierigen Partie dann am Ende doch positiv. Ohne Schwierigkeiten in den Höhen, mit kraftvollem, jugendlich-dramatischen Sopran und farbenreicher Tessitura legt Szilvia Rálik die Partie der Lisa an. Ausdrucksstark auch ihr Spiel, insbesondere in der letzten Szene, als sie erkennen muss, dass ihre Liebe zu Hermann sie selbst zerstören wird. Zsolt Haja gibt den Prinzen Jeletski mit edlem, aristokratischem Bariton und ist auch stimmlich der Kontrapunkt zu Gubskys schwerem, manchmal knarzendem Tenor. Beeindruckend der dramatische Mezzosopran von Bernadett Wiedemann als Gräfin. Mit ihrem Stimmumfang, ihrem Ausdruck und ihrer starken Bühnenpräsenz wird ihr Auftritt zum eigentlichen Erlebnis dieser Aufführung. Anatolij Fokanov gibt den Grafen Tomski mit elegantem und sonorem Bariton, und  Ferenc Cserhalmi als Sourin überzeugt mit seinem ausdrucksstarken, schwarzen Bass. Erika Gál als Paulina ist mit ihrem fülligen Mezzo-Sopran ein schöner stimmlicher Kontrast zum starken Sopran der Rálik. Die anderen Protagonisten ergänzen das Sängerensemble ebenfalls mit hohem Niveau.

Vassily Sinaisky führt das Orchester der ungarischen Staatsoper mit sicherem Gespür für seine Seele durch den Abend. Dunkel und düster klingt es schon in der Ouvertüre aus dem Orchestergraben, und die dominanten, aber sauber intonierenden Bläser erzeugen einen fast bedrohlichen Klang. Dann unvermittelt fast pastorale Töne, erhaben und hoffend, dass sich doch noch alles zum Guten wendet. Sinaisky weiß um die Ausdruckskraft dieser russischen Musik, und er zelebriert sie fast wie eine heilige Messe oder besser wie ein Requiem. Strausz Kálmán hat den Chor musikalisch gut eingestimmt, er verleiht dem musikalischen Gesamteindruck die besondere Note.

Am Schluss gibt es aber nur kurzen, freundlichen Beifall. Enthusiasmus ist das nicht. Da hätte das Ensemble mehr verdient. Lediglich die Damen werden etwas stürmischer beklatscht, ab und zu gibt es auch ein vereinzeltes brava. Aber das Publikum in Budapest ist international gemischt, viele sind Touristen, die den Opernabend wohl eher pauschal mit gebucht haben, was man bei so mancher Reisegruppe vermuten kann. Da sind vier Stunden Konzentration und Disziplin nicht wirklich gefragt. Leider haben die Umbauten zwischen den einzelnen Szenen auch dazu geführt, dass immer wieder die Spannung abfiel und unnötige Unruhe ins Publikum getragen wurde.

Am Schluss überwiegt aber das musikalische Ereignis, eingebettet in einer schönen Kulisse. Für Kenner und Genießer ein besonderer Tipp: Ein Opernabend in Budapest.

Andreas H. Hölscher