O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Keine Kunst, sondern einfach schlecht gefilmt - Bildschirmfoto

Moers-Festival 2020

Livestream ist zu wenig

Am vierten Festival-Tag fällt der Blick auf den Ort der Rezeption, der in diesem Jahr nicht mit dem Ort der Aufführung identisch ist. Im Internet kann das Publikum die Konzerte erleben und darauf reagieren. Die Stichprobe des kostenlosen Vergnügens ergibt: Hier herrscht noch viel Verbesserungsbedarf bei allen Beteiligten.

Wer gerne Kameraleute bei einer Übertragung sieht, ist bei Arte Concert richtig – Bildschirmfoto

Gefühlt seit 1995 haben sich die Kulturschaffenden standhaft geweigert, sich mit dem Internet auseinanderzusetzen. Haben es irgendwann als Marketing-Instrument begriffen, aber nie verstanden, dass es sich hier um ein Medium handelt, für das sie neue Formate finden müssen. In den vergangenen Wochen ist wohl einigen Künstlern klar geworden, dass es hier noch viel Nachholbedarf auf etlichen Ebenen gibt.  Gleichwohl beharren viele Intendanten bis heute darauf, dass sie doch für das örtliche Live-Erlebnis zuständig seien und sehen das Internet immer noch als Notlösung und nicht als – überlebenswichtige? – Ergänzung zur Arbeit auf der Bühne. Noch im vergangenen Jahr war der Künstlerische Leiter des Moers-Festivals, Tim Isfort, stolz wie Oskar, dass es bei dem traditionellen Musikfest nur analoge Einspielungen gegeben habe.

Mit der „Unterstützung“ von Arte Concert und in Koproduktion mit dem WDR-Fernsehen sollte nun das diesjährige Festival fulminant im Internet gefeiert werden. Zur Erinnerung: Die Idee war, Musiker und Gruppen live auftreten zu lassen, damit das Publikum sie an den Bildschirmen erleben könne. Der treffende Hashtag lautete vereinzelt zusammen oder so ähnlich. Und auf der analogen Seite gab es da auch wenig zu bemängeln, wie die ersten zwei Tage in der Eventhalle von Moers zeigten. Was allerdings die Fernseh-Verantwortlichen sich bei der Präsentation im Internet gedacht haben, oder ob sie sich überhaupt etwas dabei gedacht haben, weckt massive Zweifel.

Da darf der Zuschauer sich freuen, Livestreams mit einer Länge von vielen Stunden im Internet zu betrachten. Funktioniert ein Festival, weil dort berühmte Musiker auftreten? Es geht doch schließlich und gerade beim Moers-Festival um die Freiheit der Musik. In dem Moment, in dem ein öffentlich-rechtlicher Sender, der sein Geld von den Bürgern des Landes bekommt, sich mit einer Sache gemein macht, darf man allerdings auch erwarten, dass er seinem Auftrag nachkommt. Und der lautet nicht Unterhaltung auf Teufel komm raus, sondern ein kulturelles Programm, das seinem Bildungsauftrag gerecht wird. Arte Concert, und man muss das hier so scharf formulieren, kümmert sich einen Dreck darum. Ganz offenbar haben die Programmverantwortlichen längst jeden Bezug zu ihrem Auftrag verloren, den sie gegenüber dem Steuerzahler zu erfüllen haben.

Alles auf Anfang. Der Besucher ruft die Seite des Moers-Festivals auf, weil er gehört hat, dass dort das Festival übertragen wird. Es taucht ein großes Fenster auf, dass er anklicken kann, um das Programm mitzuverfolgen. Unter dem Fenster eine Leiste, die verschiedene Kontaktmöglichkeiten anbietet. Soll ja auch so sein, dass eine größtmögliche Interaktivität mit den Festival-Betreibern ermöglicht wird. Das war’s. Keine weiteren Informationen. Also geht der Klick weiter, damit man auf YouTube kommt, denn dort gibt es schließlich einen Live-Chat, also die Möglichkeit, direkt mit dem Festival in Kontakt zu kommen. Und dort erfährt man auch, dass im Schnitt 50 Menschen der Live-Übertragung folgen. Weitere Versuche führen ins Leere. Auf Facebook ist die Sendung nicht zu finden, auf Instagram gibt es ähnlich viel Besucher, auf Arte Concert hat man offenbar keine Ahnung, dass es solche eine Sendung gibt.

Wo gibt es die Informationen, die helfen, die gezeigten Musikdarbietungen einzuordnen? Vor Ort übrigens ebenso wenig wie im Internet. Ein Blog mit gezielten Informationen beispielsweise hätte hier geholfen. Aber wen interessiert das in Moers? Gezeigt bekommt man also die Übertragungen. Teilweise mit Bauchbinden. Hier erfährt man auch, dass die Tänzer von Gunter Hampel zusammenwohnen und deshalb miteinander tanzen dürfen. Schwachsinniger geht es kaum. Fernsehzuschauer dürfen davon ausgehen, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen bei öffentlich-rechtlichen Sendungen eingehalten werden. Und so sollten Zuschauer beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen auch davon ausgehen dürfen, dass die Moderatoren der deutschen Sprache mächtig sind. Wenn allerdings Lente Entezami zum Gespräch zwischen den Aufführungen, über die gleich gesprochen wird, sich dümmlich gibt – ich bin so aufgeregt, ein Gespräch mit dir zu führen – und grammatische Regeln außer Acht lässt, wird es peinlich. Was bitte sind Musiker – innen? Sind das die, die sich innerhalb der Außenbezirke befinden? Wenn Moderatoren sich nicht auf dem Bildungsgrad befinden, zwischen Genus und Sexus zu unterscheiden, haben sie eigentlich beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen nichts verloren. Wenigstens die Grundregeln des Dudens sollten sie beherrschen.

Redundanz statt Information: Bei Arte Concert beschränkt man sich aufs Bildergucken – Bildschirmfoto

Eine solche Qualität findet sich allerdings auch bei der Kamera-Regie wieder. Selten hat man so viele Kamera-Träger und Kabelhilfen in einer Übertragung gesehen wie beim diesjährigen Moers-Festival. Permanent laufen Menschen durch das Bild, werden auf der Bühne unwesentliche Details gezeigt. Vom Tanz versteht der Regisseur ohnehin nichts, aber der ist bei einem Festival aus Moers ja auch ungewöhnlich. Routiniert werden hier falsche Bilder gezeigt, Schwenks und Überblendungen vorgenommen, die sich kein Hobby-Filmer in seinem Privatvideo traute. Auch in diesen Übertragungen bekommt übrigens die gerühmte Miss UniMoers keinen Sinn. Was hätte man aus dieser Figur alles machen können! Andererseits spielt das bei den Programmunterbrechungen, die wohl auf mangelnde Übertragungskapazitäten vor Ort zurückzuführen sind, kaum mehr eine Rolle.

Am Ende des Tages verlieren die zahlreichen Auftritte visuell vollkommen an Bedeutung, das Interesse geht gegen Null, weil es keinerlei Zusatzinformationen gibt, die bei „Insidern“ vielleicht bekannt sein mögen, bei allen anderen aber Orientierung hervorgerufen hätten. Dieses Internet-Festival ist gescheitert. Höchst bedauerlich für all die Menschen, die mit so viel Herzblut daran gearbeitet haben. Und wenn noch einmal jemand im Internet jammert, dass er dort auftreten „muss“ und darauf hofft, im kommenden Jahr wieder „live“ auftreten zu können, sollte demjenigen sofort jegliche Förderung entzogen werden, schon allein, weil man diesen Blödsinn einfach nicht mehr hören mag.

Tim Isfort hat dem in seiner Bilanz entgegenzusetzen, dass nach seinen Zählungen mehr als 100.000 Menschen weltweit die Streams verfolgt haben, das wäre die dreifache Besucher-Zahl im Vergleich zum vorangegangenen Festival, und das Social-Media-Team jenseits der Belastungsgrenze brachte: mit einer „enormen Flut der Kommentare, Botschaften und Videos, die uns erreicht hat“. Aus Isforts Sicht hat das Moers-Festival Position bezogen. Es hat „die viel beschworene Systemrelevanz von Kunst und Kultur spürbar gemacht, war Arbeitgeber für zahlreiche Menschen, war Rettungsreifen in stürmischer See“.

Michael S. Zerban