O-Ton

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Kölner Fest für Alte Musik 2018

Gegen Bigotterie und Standesdünkel

LORD NELSON AM NIL
(Catherine Bott)

Besuch am
21. März 2018

 

Kölner Fest für Alte Musik, Volksbühne

Ein Festival wird meist dann richtig gut, wenn es gelingt, Geschichten zu erzählen. Nicht diese konstruierten Geschichten, um irgendein Programm zu rechtfertigen. Sondern Geschichten, die das Leben schrieb, echt, gemein, brutal. Wie die der Lady Hamilton, der Geliebten von Lord Nelson, einem der größten Helden Großbritanniens. Theodor Fontane hat so eine Geschichte 1854 in seinem Erzählband Ein Sommer in London veröffentlicht. Es ging ihm darum, Bigotterie und Standesdünkel zu brandmarken, so, wie er sich oft mit sozialen Themen in volksnaher Sprache auf hohem Niveau auseinandersetzte. Thomas Höft, Künstlerischer Leiter des Kölner Festes für Alte Musik, hat sich die Kurzgeschiche Lady Hamilton zu Gemüte geführt, zusammengestrichen und damit für eine Lesung häppchenweise aufbereitet. Eine Lesung bei einem Fest der Alten Musik ist vielleicht zu wenig, also hat Höft sich Unterstützung gesucht.

POINTS OF HONOR

Musik
Gesang
Dramaturgie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Catherine Bott machte sich einen Namen als Sängerin für Alte und Neue Musik. Seit 2003 arbeitet sie als Rundfunkredakteurin. Zu ihren Lieblingsthemen gehört Lady Hamilton. Und so hat sie für das Kölner Fest für Alte Musik ein eigenes Programm zu diesem Thema entwickelt, eine Mischung aus einer Lesung und Musik. Das klingt einfach, für eine Redakteurin der BBC geradezu als Kinderspiel, ist aber in der Praxis dann wohl doch nicht so einfach umzusetzen. Da zeigen sich die Tücken. Die wunderbare Bühne am Rudolfsplatz wird lieblos behandelt. Ein bisschen Licht im Hintergrund, links ein Sessel mit einem kleinen Beistelltisch, daneben ein Hammerklavier, rechts ein Mikrofon und ein Stuhl. Funktional alles in Ordnung.

Bott hat ein Programm zusammengestellt, das in den einzelnen Programmpunkten wunderbar ist, in toto aber spätestens nach der Pause vollkommen auseinanderfällt. Eröffnet wird das Programm mit Haydns Nelson-Arie, von Bott persönlich gesungen. Anschließend beginnt Höft mit der Lesung. Der vielseitige Künstler, der dereinst auch mal als Schauspieler gearbeitet hat, ignoriert die Nachwirkungen seiner Grippe und liest sehr eindrucksvoll. Das macht richtig Spaß. Dass er dabei im Sessel festgeklebt ist, ist überhaupt nicht nachvollziehbar. Die Geschichte der Hamilton, die sich von ganz klein nach oben gearbeitet hat, um endlich wieder im Elend zu versinken, bietet sich an, sich leichterdings über die Bühne zu bewegen, um auch schauspielerisch das Repertoire auszuschöpfen. Anschließend gibt es Lieder aus Emma Hamiltons Songbook, das Bott in einem Museum „ausgegraben“ hat. Auch wenn die Bezüge klar sind, findet doch keine echte Verzahnung statt. Das gelingt erst in der Sonate Die große Seeschlacht bei Abukir von Johann Baptist Vanhal.

Catherine Bott – Foto © O-Ton

Nach einem weiteren, begeisternden Vortrag von Höft werden alle drei Sätze des Klaviertrios in d-Moll von Joseph Haydn gespielt. Damit rückt die Geschichte der Lady Hamilton erst mal wieder in weite Ferne. Endlich kommt dann Fontane wieder zu Wort – ein letztes Mal, ehe Vier schottische Lieder von Haydn präsentiert werden.

Höft gelingt es nicht, sich aus seinem Sessel zu lösen. Catherine Bott präsentiert den sängerischen Teil mit Mühe. Ob sie sich diesen Vortrag in der Heimat getraut hätte, ist zu bezweifeln. Darüber kann auch ihre sympathische Ausstrahlung nicht hinwegtäuschen. Stefania Neonato verbirgt ihr Gesicht zwar gern hinter den Haaren, spielt aber exzellent am von Paul McNulty nachgebauten Wiener Hammerklavier von Walter aus dem Jahr 1762, das eine Leihgabe von Alexander Puliaev ist. In der zweiten Hälfte treten Maria Bader-Kubizek an der Geige und Daniel Rosin am Cello hinzu, um Haydn liebevoll zu interpretieren.

Das Thema ist gut gewählt. Die Musik überzeugt. Aber die Dramaturgie ist geschludert. Das wollen wir im kommenden Jahr noch einmal besser sehen. Aber wieder mit einer solch spannenden Geschichte und gern vom Künstlerischen Leiter vorgetragen. Weil die, wie gesagt, ein Festival bereichern.

Das Publikum, an diesem Abend eher spärlich, weil ein Streik den öffentlichen Nahverkehr lahmgelegt hat, applaudiert ausgesprochen herzlich. Und zeigt, wie verzerrt die Schwerpunkte sind, wenn es sich am meisten über das Haydn-Trio freut.

Michael S. Zerban