Kulturmagazin mit Charakter
Kunststücke
Düsseldorf sieht sich gern als Stadt der Fotografie. Hier wurde die Düsseldorfer Fotoschule in den späten 1970-er Jahren gegründet. Von deren Ruhm zehrt die Landeshauptstadt bis heute; ansonsten geht es eher ein wenig behäbig zu. Erst in der neueren Zeit versucht die Stadt, ihrem Ruf Auftrieb zu geben. Da gibt es zum einen die 2020 erstmals stattgefundene Düsseldorf Foto Plus und zum anderen den im gleichen Jahr zum ersten Mal verliehenen Bernd-und-Hilla-Becher-Preis. Letzterer ging an Evelyn Richter. Mit dem Erfolg, dass der Fotografin jetzt gleich zwei Ausstellungen gewidmet werden.
Ulla Born – Foto © O-Ton
Linda Conze und Ulla Born haben eines gemeinsam. Sie haben beide gerade eine Ausstellung mit Fotografien von Evelyn Richter in Düsseldorf kuratiert. Die eine für das städtische Museum Kunstpalast, öffentlich gefördert, für dessen Besuch man Eintritt zahlen muss, um sich anschließend mit ideologischer Gender-Sprache belästigen zu lassen. Die andere im Leica-Store in der Kö-Galerie, in deren Untergeschoss ein fein ausgestatteter Raum zu den Geschäftszeiten kostenlos besucht werden kann. Wenn man Glück hat, trifft man dann auch die Galerieleiterin an, die vier Ausstellungen im Jahr veranstaltet und immer gern zu einem vertiefenden Gespräch über die jeweils aktuelle Ausstellung bereit ist.
„Wir haben hier dieses Spätwerk. Es ist noch viel mehr als ein Spätwerk, aber letztendlich hat man eben 70 Filme bei ihr in der Wohnung gefunden und hatte dann die Idee: Okay, die können wir jetzt nicht wegschmeißen. Die geben wir jetzt dem Schüler und Freund und Weggefährten von Evelyn Richter, Werner Lieberknecht“, erzählt Born. Lieberknecht, selbst Fotograf, entdeckte, dass die Filme belichtet waren. Also hat er Kontaktbögen hergestellt und ist damit zu Evelyn Richter ins Dresdener Pflegeheim, in dem sie seit ihrem Schlaganfall lag. „Die Geschichte alleine, diese 70 Filme zu finden, das hat ja schon so ein bisschen Vivian-Maier-Geschichte. Aber schön ist, dass Evelyn Richter diese Arbeiten eben auch noch selber ausgewählt hat. Und Lieberknecht hat sie dann in ihrem Auftrag vergrößert. Evelyn Richter hat sie noch alle signiert, und wir können sie auch verkaufen. Das ist ja auch das Besondere. Der Kunstpalast kann immer nur museal ausstellen, und wir sind eine Verkaufsgalerie“.
Die museale Ausstellung im derzeit von außen völlig verhängten Kunstpalast hinterlässt gemischte Gefühle. Warum geht man ins Museum? Unter anderem, weil man dort ungewöhnliche Formate zu sehen bekommt. Also beispielsweise Vergrößerungen besonders eindrucksvoller Fotografien. Dergleichen findet sich bei der Evelyn-Richter-Ausstellung im einstigen „Bürgermuseum“ nicht. Zwar gibt es ein paar Fototapeten, auf die auch noch kleine Rahmen gehängt sind, kein besonders gelungener Einfall, aber die Chance, hier besondere Arbeiten in den Vordergrund zu hängen, wird vertan. Also schleicht man an den Wänden entlang, um, einem Fotoalbum gleich, die kleinen Abzüge zu betrachten.
Ostdeutsche Fotografie mit kosmopolitischen Zügen
Evelyn Richter wurde als Tochter eines Sägewerk-Besitzers in Bautzen am 31. Januar 1930 geboren. Nach einer Ausbildung als Fotografin in Dresden bei Franz Fiedler und Pan Walther von 1948 bis 1951 arbeitete Richter als Laborantin bei den Vereinigten Gewerbestätten Dresden und als Fotografin an der Technischen Universität Dresden. 1953 begann sie ihr Studium der Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig bei Johannes Widmann. 1955 wurde sie exmatrikuliert; den Hochschulfunktionären waren „ihre Kommilitonen-Porträts zu defätistisch“. Fortan arbeitete sie bis 1980 freischaffend als Werbe- und Theaterfotografin sowie Bildredakteurin für Messen.
Einen Umbruch in ihrem Leben gab es ausgerechnet in dem Moment, über den es verschiedene Darstellungen gibt. Hatte sie in den ersten Jahren mit einer Hasselblad-Kamera gearbeitet, wechselte sie auf die Leica-Kleinbildkamera. Eine Version erzählt, dass ihr die Hasselblad auf einer Moskau-Reise kaputtging und sie eine Leica gereicht bekam. Diese Darstellung ist besonders schön, weil die Vorstellung, dass einem Fotografen mal eben so eine Leica in die Hand gedrückt wird, ja auch Hoffnungen für die eigene Zukunft eröffnet. Born kennt eine andere Version. „Sie hat früher mit der Hasselblad gearbeitet. Sie hat ja viele Musikeraufnahmen gemacht. Und der Spiegelschlag der Hasselblad war so laut, dass es bei den Proben sehr störend war. Sie ist dann zur Leica gewechselt, weil sie damit einfach leiser arbeiten und im Hintergrund bleiben konnte, während die Proben weiterliefen, ohne dass das durch die Geräusche ihrer Kamera gestört wurde.“ Warum die Fotografin nicht auf die Spiegelreflexkamera der DDR, die Praktica, zurückgriff, ist nicht überliefert. Klar ist, dass der Wechsel zur Kleinbildkamera von ihr als Befreiungsschlag empfunden wurde. Die meisten ihrer Arbeiten wären wohl mit der klobigen Mittelformat-Kamera gar nicht entstanden. „Wir haben vorne am Eingang ein Bild, das Barbara Klemm, die große FAZ-Fotografin von Evelyn Richter gemacht hat. Und da sieht man sie eben, wie sie mit ihren beiden Leicas auf der Straße steht. Schöner Einstieg in die Ausstellung“, erzählt Born. 38 Spätwerke sind in der Leica-Galerie zu sehen. „In diesen späteren Arbeiten von 2002 bis 2012 hat sie da nicht mehr so viel fotografiert, weil sie da eben selbst in einem anderen Lebensabschnitt auch war. 2012 war zum Beispiel ihre letzte Reise nach New York. Dort hatte sie die Möglichkeit, Louise Bourgeois zu fotografieren, eine großartige Künstlerin. Samstags hat Bourgeois ihr Haus für Studenten und Freunde geöffnet, und so ist dieses Porträt entstanden“.
Schöne Momente inklusive
Foto © O-Ton
Da kann Conze mit anderem Material aufwarten. Ihre Werkschau lässt kaum Wünsche offen, was den Umfang der Ausstellung angeht. Da gibt es Menschen auf Reisen, Fabrikarbeiterinnen, Ausstellungsbesucher, offizielle Staatsanlässe, bei denen das Medaillengold blinkt, eindrucksvolle Musiker-Porträts. Eine schöne Umsetzung bieten die quadratisch aufgehängten Plattenhüllen, deren Vorderseiten ihre Arbeiten zeigen. Dazu spielt im Hintergrund klassische Musik. Aber egal, um welchen Bereich es geht: Richter verlässt nie ihre professionelle Haltung. Menschen werden immer mit Empathie und würdevoll dargestellt. Wer hier „entlarvende“ Bilder zum Sozialismus entdecken will, wird wohl eher enttäuscht werden. Gerade das macht die Ausstellung interessant. Richter überlässt die Bewertung anderen, sie fühlt sich für die Darstellung ihrer Zeit zuständig. Das heißt ja nicht, dass da auch mal unfreiwillige Komik im Spiel ist, wenn man sich etwa das Bild der Eröffnung einer Porzellanausstellung anschaut. Ost oder West? Modischer Zeitgeist oder Trutschigkeit? Solche Bilder machen Spaß.
In der Bewertung kommen die Kuratoren ins Spiel. Es ist ebenso bekannt, dass die Hängung von Objekten zu ihren verantwortungsvollsten Aufgaben gehört, wie auch der Umstand, dass chronologische oder nach Orten geordnete Hängungen aus ihrer Sicht zum Langweiligsten zählt, was man einer Ausstellung angedeihen lassen kann. Sowohl Conze als auch Born lassen sich deshalb auch nicht darauf ein. Warum, belegt Born mit einem einleuchtenden Beispiel. „Zum Beispiel die Lesenden“, verweist sie auf eine ihrer Gruppen. „Die Menschen, die ganz vertieft sind in ein Buch. Die sehen sich weltweit sehr ähnlich, das ist einfach so. Ganz faszinierend. Wenn jemand vertieft ist, dann ist das egal, ob das in Moskau oder in New York ist. Und sie hat Menschen fotografiert in der Metro, die in ein Buch vertieft sind. Das habe ich zum Beispiel neben das Bild aus der New Yorker U-Bahn gehängt, weil ich glaube, in diesem Fall ist es einfach dieses Thema: Alle sehen gleich aus, wenn sie in ein Buch vertieft sind.“ Im Fall der musealen Hängung ist es aufgrund des Umfangs nicht ganz so einfach. Da entstehen zwischen den einzelnen Bildern schon mal beträchtliche Jahreslücken, so dass man sich fragt, ob der Zusammenhang bei aller Ähnlichkeit der Motive tatsächlich noch so hergestellt werden kann.
Beide Ausstellungen sind in Kooperation entstanden und keinesfalls als Wettbewerbsveranstaltungen zu verstehen. Der größte Nachteil der sehr edel wirkenden Ausstellung in der Leica-Galerie ist sicher darin zu sehen, dass sie bereits am 22. Oktober endet. Der Kunstpalast gibt seinen Besuchern noch bis Anfang Januar Gelegenheit, sich mit den Werken Richters auseinanderzusetzen. Der große Wurf ist die Ausstellung nicht, eher solides Handwerk, das durch die sprachlichen Übergriffe eine weitere deutliche Abwertung erfährt. Trotzdem ist der Besuch unbedingt zu empfehlen, weil man ganz ohne Beachtung der Ideologie-Sternchen der Wandbeschriftungen eine Menge über meisterhafte Bildkomposition lernen kann.
Michael S. Zerban