O-Ton

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Buch

Musik zum Nachschlagen

Dass wir oft und gerne dem Zauber der Musik erliegen, ist nicht neu und überraschend. Das Glück des Verliebtseins, die tiefe Trauer bei einem Verlust, die ausgelassene Stimmung in Momenten großer Freude, die nicht endende Despression angesichts großen Unglücks – alles vermag Musik direkt und unmittelbar auszudrücken. Wenn dann noch eine gewisse Kenntnis musikalischer Zusammenhänge hinzukommen, ist die Eindrücklichkeit des Mediums Musik kaum zu übertreffen. Aber Musiktheorie, gar Musikwissenschaft – das ist gerade für viele Musikliebhaber ein Gräuel, ist oft schwer zu verdauende Kost. Mit seinem kleinen Büchlein Zauber der Musik, mit gerade mal 64 Seiten möchte Jason Martineau davon überzeugen, dass das nicht so sein muss. Ob es die verschiedenen Bereiche hörbarer Frequenzen verschiedener Instrumente sind, die Struktur einfacher Harmonien, komplexe Rhythmen oder die drei Arten von Moll: Jason Martineau ist in der Lage, diese und mehr als zwei Dutzend weiterer zentraler Begriffe zum Verständnis von Musik in relativ einfachen Worten knapp und verständlich zu erläutern. Dabei nimmt er grafische Veranschaulichungen zur Hilfe, die ebenfalls mit einfachen Strichen den abstrakten Gegenstand verdeutlichen. So reicht ein Schema, um die hörbaren Tonfrequenzen der wichtigsten Instrumente zu illustrieren, den Quintenzirkel übersichtlich zu zeigen oder weiterentwickelte Harmonien mit Notenbeispielen zu erläutern.

Martineau, seit 1995 in der San Francisco Bay Area als Musiker, Komponist und Dozent aktiv, scheint ein musikalisches Multitalent zu sein. Die University of Berkley stellt ihn auf ihrer Website als „an award-winning composer, pianist, arranger, and instructor“ vor. Zusätzlich weist sein Oeuvre Orchestermusiken, Kammermusiken, Konzerte für Soloklavier, Chorwerke, Musical, Filmmusiken sowie über 200 Songs auf, er hat mehr als zwölf Alben veröffentlicht und ist als Autor, Dozent, Solopianist, Dirigent und Produzent tätig – ein Künstler und Macher, der offensichtlich mit und in der Musik lebt.

Ihm traut man gern eine Antwort auf die zentrale Frage seines kleinen, von Artemis & Winkler bibliophil ausgestatteten Büchlein Zauber der Musik zu, das schon 2008 in New York veröffentlicht wird, bei Artemis & Winkler auf Deutsch 2010 erscheint und 2017 nachgedruckt wird. Er stellt die Frage „Was ist Musik?“ und beantwortet sie aus vielen Perspektiven, physikalisch ebenso wie psychologisch, bildhaft oder in der knappen Definition „Sie ist Form gewordener Geist.“ Seine bildhafte Sprache macht es dem Leser leicht, Martineau in seinen Gedanken zu folgen: „Vermählt sich die Musik der Sprache, wird das Gesprochene zum Gesang … Musik besänftigt Seelen und Bestien.“

Seine theoretischen Einführungen und Erläuterungen bleiben anschaulich und verständlich. So fügt er der abstrakten Kapitelüberschrift Akustik und Obertöne die ermunternde Zeile „Von einem Ton zu sieben Tönen und darüber hinaus“ hinzu, erläutert das Tonleitern Verstehen durch den Zusatz „Straßen und Treppen“ und stellt zum Kapitel Tonalität und Modulation fest: „Daheim ist´s doch am schönsten“. Dabei bleiben seine Erläuterungen genau, spezifisch und fachlich korrekt, wenn er beispielsweise von den Tonleitern spricht. „In der tonalen Musik dient der Leitton immer dazu, auf die Tonika zu verweisen.“

In dem Kapitel In vier Liedern um die Welt stellt er anhand mehrerer Beispiele anschaulich dar, dass Notationssysteme eine „Art Zeitlinie von Schallereignissen“ sind, die erst allmählich die vorher übliche mündliche Überlieferung ersetzt haben. Seine Beispiele reichen von 200 vor Christus bis zu einem Beispiel aus Indien aus dem frühen 20. Jahrhundert. Überraschend dabei ist, dass die sehr unterschiedlichen Systeme viel miteinander gemeinsam haben. „Auf dem Weg zu einer Komposition“ sieht Martineau vor allem zu Beginn eines Musikstückes das „intellektuell anspruchsvollste Material“.

Wenn Martineau in seiner Zusammenfassung davon spricht, dass „Musik als ein Entfalten von Epigrammen, Sinnmolekülen, Einheiten von Gegensätzen“ verstanden werden kann, an der man ihre „narrative Qualität“ erkennt und bewerten kann, wird deutlich, dass sein aufschlussreiches Buch nicht für musikalische Analphabeten gedacht ist, dazu setzt der Autor doch zu vieles selbstverständlich voraus. Auch das sehr klein gedruckte Glossar, eine Übersicht zu den Notationssymbolen und drei weitere Anhänge gehören eher zum Handwerkszeug eines Musizierenden als zu einem Alltags-Leser. Diejenigen Leser aber, die mit einem gewissen Grundwissen und einiger Hörerfahrung zu diesem Buch greifen, werden es mit viel Gewinn und Lesefreude zur Hand nehmen und immer mal wieder gern hineinschauen, um sich noch einmal genau zu vergewissern. Ein gut leserliches Fachbuch mit erstaunlichem Unterhaltungswert.

Horst Dichanz