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Gleich zu Beginn kommt das Böse zu Wort: Denn der Teufel unterbricht harsch den Beginn von Jacques Offenbachs Oper Hoffmanns Erzählungen an der Wiener Volksoper, die er als freche Provokation gegen sich empfindet. Denn sein Ruf sei seit Orpheus in der Unterwelt schon arg beschädigt, moniert er heftig. Er habe alles drangesetzt, um gegen dieses neue Machwerk anzukämpfen. Selbst zwei brennende Opernhäuser in Wien und Paris vermochten den Siegeszug des Werkes nicht aufzuhalten. Diese von bösen Mächten begleitete Entstehungsgeschichte haben Regisseur Renaud Doucet und sein Ausstattungspartner André Barbe – die mit The Sound of Music, Turandot und Rusalka drei legendäre Produktionen an der Volksoper hingezaubert haben – fantasievoll in ihre opulente Inszenierung einbezogen. Denn sie lassen die beliebte Oper in einem abgebrannten Theater spielen. Hineingeschoben wird einmal eine „Höllenbar“, dann das bizarre Labor des skurrilen Erfinders Spalanzani und schließlich die vereisten Welten der Antonia bis zum Varieté des venezianischen Freudenhauses.
Alles spielt sich mit ungemein detail- und ideenreicher Zeichnung jeder Figur und unbändiger Vitalität in einem höchst fantasievollen Kostüm-Mischmasch ab. Auf seinem Weg durch die albtraumhaften, erotischen Fantasiewelten wird der Dichter vom Komponisten Offenbach begleitet, der sich in unterschiedlichen Tarnungen als Cochenille, Frantz oder Pitichinaccio unters Bühnenvolk mischt, gleichwohl aber wie seine gleich drei Musen immer leicht an der bronzefarbenen Gesichtsfarbe zu erkennen ist. Dass Doucet seine ersten Bühnenerfahrungen als Tänzer gewann, sieht man der vitalen Bewegungsenergie der Aufführung an, die wie ein virtuoses Gemisch aus Panoptikum, Horrorfilm und Revue abläuft. Trotz der fast vierstündigen Aufführungsdauer eine kurzweilige Angelegenheit. Wegen dieser überfrachteten Skurrilität, Opulenz und Fantasie ertrinkt das Laboratorium Spalanzanis, der Salon Antonias, das verspiegelte Venedig Giuliettas jedoch geradezu in grotesk-pittoresken Bildern und Farben.
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Entschieden hat man sich für die neueste Fassung Version von Michael Kaye und Jean-Christophe Keck mit einigen Änderungen, mit einem etwas lang geratenen ersten Akt und einem undogmatischen Umgang mit dem venezianischen Giulietta-Akt.
Gesungen wird auf Deutsch und teils auf Französisch, was nicht unbedingt Sinn macht: Beate Ritter ist eine phänomenale, koloraturensichere Olympia mit einigen zusätzlichen diffizilen Verzierungen. Sie spielt den Automaten perfekt und bietet eigentlich die untadeligste Leistung des Abends. Anja-Nina Bahrmann lässt als Antonia mit einem schöngeführten Sopran aufhorchen. Für die zwar exzellent singende Kristiane Kaiser ist die Giulietta keine ideale Partie. Der Bösewicht Josef Wagner zeigt nicht nur bei der Spiegelarie seinen runden, weichen und kernigen Bariton mit großer Eindringlichkeit und Bühnenpräsenz. Es mangelt ihm auch nicht an Dämonie. Juliette Mars brilliert in der Doppelrolle von Muse und Niklaus. Christian Drescher singt die Dienerrollen Cochenille, Frantz und Pitichinaccio mit Witz. Stefan Cerny singt Luther und Krespel stimmgewaltig. Karl-Michael Ebner präsentiert Andres und Spalanzani passabel. Leider distoniert Martina Mikelic als Stimme der Mutter von Antonia ziemlich. Und der Titelheld? Mirko Roschkowski singt ihn mit schönen Höhen. Sein Tenor ist jedoch für die Partie viel zu lyrisch, und so stößt er immer wieder an seine Grenzen.
Aus dem Graben hört man vom Volksopernorchester unter Gerrit Prießnitz viele Nuancen und Farben, aber auch Derbheiten. Der Dirigent muss auch immer wieder ordnend beim nicht mit dem Orchester konformgehenden Chor des Hauses, der von Thomas Böttcher einstudiert wurde, eingreifen. Insgesamt fehlt es an Raffinesse und Esprit.
Das Publikum ist restlos begeistert: Es applaudiert von Anfang an bei jeder noch so kleinsten Pause und jubelt zum Finale grenzenlos.
Helmut Christian Mayer