Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Some alt text
Alle Fotos © trio senza nome

Aktuelle Aufführungen

Mich interessiert nur Quatsch

ABSURDES VOM TAGE
(trio senza nome)

Besuch am
11. Februar 2016
(Einmalige Aufführung)

 

 

Theater Itzehoe

Das trio senza nome mit Antje Temler, Rezitation, Christopher Bruckman am Klavier und Akkordeon sowie dem Bass-Bariton Rolf A. Scheider haben den unbekannten und vermutlich ersten „Nonsense“-Schriftsteller Russlands beziehungsweise der Sowjetunion in den Mittelpunkt ihres Programms im Studio des Itzehoers Theater gestellt. Daniil Charms lebte von 1905 bis 1942 überwiegend in St. Petersburg, dessen Umbenennung in Petrograd und Leningrad er miterlebte. Er trat zunächst als Kinderbuchautor hervor und schloss sich verschiedenen Schriftstellervereinigungen an. Mehrfach wurde er verhaftet und verbannt und schließlich zur Zeit der deutschen Besatzung zur Zwangsheilung in die Psychiatrie eines Gefängnisses eingeliefert, wo er im Februar 1942 mutmaßlich verhungerte. Sein Grab ist unbekannt.    

Seine Texte widmen sich den alltäglichen Begebenheiten des Lebens und dem menschlichen Tun darin, die er in skurriler und deftiger Sprache, dabei für unsere heutigen Ohren nicht weniger liebevoll und zärtlich beschreibt. So fallen schon mal in der Kommunalka, also der typischen sowjetischen Gemeinschaftswohnung, alte, neugierig aus dem Fenster schauende Frauen in munterer Folge auf die Straße und sterben. Oder bei der Beschreibung Was es zurzeit in den Geschäften zu kaufen gibt gibt’s ein Loblied auf die große Gurke, mit der man in einem Zank seinem gegnerischen Streithahn herrlich auf den Kopf schlagen kann.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang/Rezitation
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Eingewoben in diese fröhlich-absurde Folge von Charms Gedichten werden diverse Romanzen, Lieder und Skizzen von Schostakowitsch, Britten, Wedekind sowie Klavier- und Akkordeonstücke unterschiedlichster, teilweise ebenso skurriler Art, wobei bei einem unauffälligen musikalischen Übergang selbst Wagners Tristanakkord zu allen Ehren kommt. Vorgetragen werden die russischen Texte in deutscher Übersetzung. Dabei überrascht, dass die in Form und Inhalt nicht weniger sich dem Absurden widmenden Werke der später lebenden Künstler heute vielfach deutlich weniger extrem klingen.  Aber dafür musste sich Charms zu Lebzeiten dem Vorwurf der defätistischen Propaganda und Geisteskrankheit aussetzen bei anschließender „Zwangsheilung“ in der Psychiatrie.     

Christopher Bruckman - Foto © trio senza nome

Anja Telmer und Rolf Scheider mit seinem volltönenden Bass-Bariton gelingt es in einer auch darstellerisch überzeugenden Form, die kammermusikalischen oder kammer-schauspielerischen Szenen zu vermitteln. Da wird marschiert, gestolpert, gestrauchelt, mit den Augen gerollt und auch wie die Fliege auf dem Rücken mit den Beinen gezappelt. Den Texten angemessen, geben die Schauspielerin und der Sänger ihrem Affen Zucker und gehen in die Vollen. Mehr als stiller Kontrapunkt begleitet Christopher Bruckmann einfühlsam und in wackerer Haltung an den Instrumenten. Das Auditorium ist am Ende erlöst und erfreut, die Darsteller bei guter Gesundheit und ohne Verletzungen zu sehen.

Das gut einstündige Programm wird von den Zuhörern gebannt und immer wieder verstört-belustigt verfolgt, am Schluss gibt es langen und herzlichen Applaus für das Trio. Ein paar mehr Gäste hätten in dieser kalten Februarnacht ruhig kommen dürfen – das Programm und seine engagierten Künstler hätten es verdient. So können die Anwesenden keine ganze Psychiatrie füllen ... 

Achim Dombrowski