Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Prall gefüllte Säle beim Asphalt-Festival - Foto © Ralf Puder

Aktuelle Aufführungen

Unser Nachwuchs ist toll

ES SAGT MIR NICHTS,
DAS SO GENANNTE DRAUßEN

(Sibylle Berg)

Besuch am
13. Juli 2016
(Einmaliges Gastspiel)


Asphalt-Festival,
Central, Düsseldorf

Welch ein Kontrast: Gestern noch ging es theatralisch wandernd durch die Schluchten der Stadt, heute gibt es mit Es sagt mir nichts, das so genannte Draußen ein Gastspiel des Maxim-Gorki-Theaters im Central, der Ausweichspielstätte des Schauspielhauses. Da heißt es, mental und emotional kräftig umzuschalten. Auch thematisch könnte der Wechsel kaum krasser sein. Eben noch die Gedanken zum soziokulturellen Miteinander der Zukunftsstadt, geht es jetzt um das Innenleben der Jugendlichen von heute.

Von heute? So sicher ist das nicht. Sibylle Berg, Autorin des Stücks, hat sich in die Verteidiger-Rolle der Jugendlichen begeben und hinterfragt, ob die heutigen Jugendlichen wirklich so schlecht sind wie ihr Ruf. Schon der Ansatz führt – wie die öffentliche Diskussion – in die Irre. Die Ältergewordenen haben ihr Recht zur Kritik von vornherein verwirkt, denn es kann immer nur eine Kritik am eigenen Bildungssystem sein. Und das versagt seit Jahrzehnten. Da sind Vandalismus, Medieninkompetenz, Desinteresse an bestehender Kultur und Ausstiegstendenzen noch die geringeren Auswüchse. Mit Gleichmacherei im Sinne von „Die heutigen Jugendlichen sind die Jugendlichen von gestern mit anderen Mitteln“ ist niemandem gedient. Weil sie nicht stimmt. Das Wissen nimmt ab. Ein Jugendlicher, der heute sein Abitur absolviert, wäre 1960 vermutlich nicht einmal in die Quarta aufgestiegen. Da hilft auch nicht der Hinweis darauf, dass alles Wissen im Internet vereint ist. Denn wer keine Medienkompetenz erworben hat, ist im Internet schnell verloren. Der Werteverlust ist immens und bedrohlich, weil er nicht durch adäquate, nicht einmal durch andere Werte kompensiert wird. Aber, und da findet dann vielleicht doch wieder eine Annäherung an Berg statt: Die Ältergewordenen haben nicht das Recht, mit dem Finger auf die Nachgeborenen zu zeigen. Und man mag noch einen Schritt weitergehen. Die Ältergewordenen müssten sich eigentlich bei den Jugendlichen entschuldigen.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Was gleichgeblieben ist, ist die Orientierungslosigkeit der Heranwachsenden. Die gehört halt mit zum Leben. Und da können wir Älteren, die in ihrer Jugend keine Möglichkeit hatten, Tag und Nacht mit ihresgleichen in Kontakt zu bleiben, eigentlich nur mit Neid auf die pubertierenden Kraftpakete der Gegenwart blicken.

Foto © Thomas Aurin

Heute wie damals ist der kritische Punkt der Samstagabend. Der Moment, in dem du dich entscheidest oder feststellst, dass du nicht die Möglichkeit hast, dich in das pulsierende Leben einer Großstadt zu stürzen. Das ist der Zeitpunkt, in dem Sebastian Nüblings Inszenierung einsetzt. Über Skype, SMS, ausnahmsweise E-Mails, bleibt eine junge Frau mit ihrer Außenwelt verbunden, über das Telefon mit ihrer Mutter. Rund eine Stunde lang erzählen vier Frauen auf einer leeren Bühne über das Leben und Empfinden Jugendlicher, überwiegend chorisch. Kostümbildnerin Ursula Leuenberger hat die Frauen bis zur Unkenntlichkeit unerotisch verpackt. Das mag der Absicht der Autorin folgen, leuchtet aber kaum ein, drängt das Stück überdies unnötig in die Comedy-Ecke und bewirkt damit eher Langeweile. Das Trommelfeuer der Texte wird durch kurze Tanzeinlagen unterbrochen, die Tabea Martin choreografiert hat, als Requisiten dienen Flaschen mit einer durchsichtigen Flüssigkeit, bei der es sich um Alkohol handeln könnte.

Von der schauspielerischen Leistung her ist es sicher ein guter Abend. Seit der Uraufführung am 23. November 2013 tragen Nora Abdel-Maksoud, Suna Gürler, Rahel Jankowski und Cynthia Micas Massen an Text vor. Allein das Pensum ist beeindruckend. Und da gibt es auch durchweg komische Stellen, die pointiert aufgeführt und vom Publikum goutiert werden. Zeitgeistiges flackert auf, Orientierungslosigkeit scheint im Vordergrund zu stehen.

Am Ende steht ein Publikum im ausverkauften Saal, das die schauspielerischen Leistungen nachhaltig applaudiert, aber doch ob einer Stunde Text reichlich ausgelaugt wirkt. Sibylle Berg hat das Thema weiter verfolgt, die Frauen Kinder bekommen lassen. Wie das ausgeht, wird am Folgeabend in Und dann kam Mirna im Central gezeigt. Und dann mag jeder für sich entscheiden, ob wir ein solchermaßen textüberfrachtetes Theater brauchen.

Michael S. Zerban