Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Foto © Opernnetz

Aktuelle Aufführungen

Nichts gelernt

DANCE, IF YOU WANT
TO ENTER MY COUNTRY

(Michikazu Matsune)

Besuch am
26. September 2016
(Premiere)

 

Forum Freies Theater Düsseldorf,
Kasernenstraße

Bereits zum vierten Mal findet im Forum Freies Theater Düsseldorf die Nippon Performance Night statt. Ein englischer Titel als Brücke zwischen Japan und Deutschland. Na denn. Eingeladen werden zu dem Festival, das in diesem Jahr vom 26. bis 29. Oktober stattfindet, Japaner aus ihrem Heimatland, aus Europa und Deutschland, um aktuelle Arbeiten japanischer Künstler in Düsseldorf zu präsentieren.

Den Auftakt macht Michikazu Matsune aus Wien mit seinem Stück Dance, if you want to enter my country! Gezeigt wird das Stück in der Blackbox, die kleinere der drei Bühnen in der Kasernenstraße. Immerhin die ist aber dann gut besucht. Erfreulich ist die Ankündigung, dass die Veranstaltung in englischer Sprache stattfindet. So gibt es keine unangenehmen Überraschungen, und man kann sich gleich in die ungewöhnliche Atmosphäre der performance einfinden. Der Bühnenraum ist hell ausgeleuchtet, und das wird sich auch bis auf wenige Situationen, in denen das Licht schlicht abgedunkelt wird, nicht ändern. Utensilien, die auf der Bühne verteilt sind, deuten einzelne Stationen an. Im Hintergrund gibt eine Leinwand Platz für Videoeinspielungen. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg in der einen Stunde, die Matsune sich für seine Vorstellung vorgenommen hat.

POINTS OF HONOR
Musik
Tanz
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Ein unbedeutend erscheinender Vorfall ist für den Künstler Anlass, die Menschenwürde und damit unsere Welt in Frage zu stellen. Gelernt hat er zeitgenössischen Tanz und Choreografie. Seit zwei Jahren sprengt er die Grenzen zwischen den Disziplinen und lehrt das auch an der Universität der Künste in Berlin und an der Salzburg Experimental Academy of Dance. Wie das aussieht, präsentiert er den Besuchern als Kleinod.

Foto © Opernnetz

So scheinbar albern der Abend beginnt: Matsune gelingt es, das Publikum von Anfang an in seinen Bann zu ziehen. Dazu braucht es keine ungewöhnlichen Aktionen, keine Teilhabe des Publikums – wenngleich er sie nutzt – sondern der schlaksige, ja, beinah unscheinbare Typ da auf der Bühne nutzt das uralte Geheimnis, mit dem man das Publikum bis heute fesselt: Er erzählt eine Geschichte. Es ist die Geschichte, die man an Lagerfeuern oder guten Freunden bei einer Flasche Wein erzählt.

Die 2008 harmlos mit der Einreise des Tänzers Abdur Rahim Jackson nach Israel beginnt. Jackson ist Angehöriger der weltweit bekannten Alvin-Alley-Dance-Company. Er reist zu einem Auftritt an. Aber am Flughafen von Tel Aviv ist Schluss. Dort wird er von den Grenzbeamten „einkassiert“. Und muss mittels einer Tanzeinlage beweisen, dass er kein Terrorist ist. In poetisch anmutenden Einzelstationen erzählt Matsune bei Überschreitung aller künstlerisch-disziplinären Grenzen über die Bedeutung dieses Mannes. Wie es sich für einen Erzähler gehört, bezieht er persönliche Erfahrungen mit ein, gibt tänzerische Beispiele, erzählt von Weltereignissen und vergisst dabei niemals einen stillen Humor, eine leise Ironie.

Videoeinspielungen von Zöllnern zeigen die ganze Absurdität von Grenzkontrollen auf. Spiegeln aber auch die wilde Entschlossenheit von Überzeugungstätern, die bis heute für den Erhalt von Grenzen kämpfen. Nicht namhafte Politiker, sondern kleine, unbedeutende Grenzbeamte spielen sich hier zur menschenverachtenden Macht auf. Matsune verurteilt sie nicht, sondern zeigt in seinen Videos sich selbst entlarvende Menschen, ohne das zu kommentieren. Gerade so tritt die Absurdität zutage.

Dem Künstler gelingt es bis zuletzt, die Spannung aufrechtzuerhalten. Ein ganz wunderbarer, unaufgeregter Abend geht stufenweise zu Ende. Nachdem Jackson zwei Mal vorgetanzt hatte, durfte er gehen. Alvin Alley verkaufte seinen Traum – das erfährt der Zuschauer nebenbei – und ging in die Musikindustrie, um für Größen wie Beyoncé ihre Shows und Videos zu gestalten. Da wird am Ende eines großartigen Abends das Parfum des Weltstars versprüht. Und es gibt in diesem Studio sicher niemanden, der so riechen möchte.

Das Publikum nervt in seiner Unerkennbarkeit. An allen möglichen, auch den nicht angebrachten Stellen, wird gelacht. Geht es eigentlich nur noch um Event? Dann haben die Theater etwas falsch gemacht. Und müssen dringend zusehen, wie sie diese krasse Fehlentwicklung ändern können. Wenn wir Aufführungen nur noch als alternative Form von Comedy-Shows im Fernsehen begreifen, läuft grundsätzlich etwas daneben. Matsune wird am Ende des Abends heftig beklatscht. Und hat einen herrlichen Auftakt für die kommenden Tage des Festivals gestaltet.

Wer es übrigens noch etwas authentischer haben will: Am 27. Oktober wird Michikazu Matsune die Aufführung auf Japanisch mit englischen Untertiteln wiederholen.

Michael S. Zerban