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Verrückt ins neue Jahr

DREI MÄNNER IM SCHNEE
(Thomas Pigor)

Gesehen am
31. Dezember 2020
(Livestream)

 

Gärtnerplatztheater, München

Nach der erfolgreichen Livestream-Premiere der Operette von Eduard Künnekes herrlich witzigem Der Vetter aus Dingsda stand am Silvesterabend die skurril-witzige Revueoperette Drei Männer im Schnee von Thomas Pigor nach dem Roman von Erich Kästner auf dem Spielplan, in einer der aktuellen Situation angepassten Version. Erich Kästners Roman Drei Männer im Schnee aus dem Jahre 1934 wurde schon häufig inszeniert und verfilmt, war aber als Musiktheater bisher noch nicht zu sehen. Josef E. Köpplinger, Intendant des Münchner Staatstheaters am Gärtnerplatz, gab dem Musikkabarettisten Thomas Pigor einen Schreib- und Kompositionsauftrag, und am 31. Januar 2019 feierte die Revueoperette Drei Männer im Schnee ihre Uraufführung. Während Pigor für das Libretto verantwortlich war, waren es gleich drei Komponisten, die die unterschiedlichen Musikstile erarbeiteten und zu einer herrlich spritzigen modernen Revueoperette zusammenfügten. Mit dem Jazzkomponisten Konrad Koselleck, dem klassischen Komponisten Christoph Israel, dem Pianisten von Max Raabe, und dem Pianisten Benedikt Eichhorn entstand so ein bunter Mix unterschiedlicher Musikstile der dreißiger Jahre. Mal klingt es alpin und ländlerisch wie in Ralf Benatzkis Im Weißem Rössl, mal dramatisch wie die Zarah Leander in einem Ufa-Film. Mal ist es schon zeitgenössisch modern und erinnert an Berthold Brecht, Kurt Weill und Hanns Eisler, dann ist wieder amerikanischer Swing zu hören oder gar ein Berliner Tango. So verschieden die Herangehensweisen bei der Komposition auch waren, durch die Arrangements von Konrad Koselleck wird das Ganze zusammengehalten. Er ist sozusagen der moderne Benatzky. Das Ergebnis: eine große Liebe, ein Top-Geschäft, ein Schneemann und jede Menge Operetten-Spaß mit Hits wie Skifahrn im Schnee, Am schönen Nollendorfplatz und natürlich der Titelsong Drei Männer im Schnee.

Das Werk ist eine Revueoperette im Stil der dreißiger Jahre, wie sie so in den Dreißigern in Deutschland nicht geschrieben worden wäre. Das Erzähltempo entspricht mehr dem heutigen Zeitempfinden, die Frauenrollen sind emanzipiert und stark, und der historische Kontext, nämlich der Beginn des Nationalsozialismus, wird nicht ausgeblendet, denn in einer Nebenrolle ein SA-Mann in brauner Uniform, und am Ende bekommt der Schneemann noch eine Hakenkreuzfahne.

Dr. Fritz Hagedorn ist ein Multitalent, doch zu einem Job hat’s bisher nie gereicht. Auch diesmal bringt ihm sein Ideenreichtum statt der ersehnten Anstellung beim Berliner Tobler-Konzern bloß den Gewinn eines Preisausschreibens ein: „14 Tage Winterurlaub inklusive Silvesterfeier im noblen Grandhotel Bruckbeuren in den Bergen!“ Konzernchef Tobler hingegen will einmal erleben, wie man auf ihn reagiert, wenn er als armer Schlucker namens „Schulze“ verkleidet ebendort auftaucht. Doch seine Haushälterin Claudia, mit der er ein heimliches Liebesverhältnis hat, informiert hinterrücks die Hoteldirektion, dass ein anonymer Millionärsbesuch ins Haus stünde. Vor Ort wird Hagedorn prompt für den Millionär gehalten, was den Grundstein für herrliche Verwicklungen und die eine oder andere Winter-Liebelei legt. Die folgende Story ist kurzweilig, zuweilen skurril und spritzig. Eduard Tobler und Fritz Hagedorn freunden sich an und bauen gemeinsam mit Johann einen Schneemann. Fritz entkommt den Nachstellungen einer gewissen Frau Calabré, Johann findet Gefallen am Skilehrer, und nach einigen Verwicklungen verlieben sich Fritz und Hilde, Eduard Toblers Tochter, die ihrem Vater in die Berge nachgereist ist und sich schließlich auch noch als fähige Geschäftsführerin des Unternehmens erweist. Und irgendwie erinnert die Figur des Eduard Tobler doch stark an den Berliner Trikotfabrikanten Wilhelm Giesecke aus der Operette Im Weißen Rössl. Vor der Pause gibt es dann noch einen verrückten Silvesterball mit schrillen Kostümen im und vor dem Grandhotel mit reichlich Alkohol und Kater und Filmriss am nächsten Morgen.

Köpplinger hat es sich nicht nehmen lassen, bei dieser Uraufführung selbst Regie zu führen. Dass Köpplinger ein feines Gespür für die klassische Operette hat, hat er schon oft bewiesen. Doch er kann auch modern, mit Augenzwinkern und einer Reminiszenz an die frühen Dreißiger arbeitet er vor allem die unterschiedlichen Beziehungen der handelnden Personen untereinander heraus, einschließlich der diversen Verwechslungen. Die Männerfreundschaft, die zwischen Hagedorn und Tobler entsteht, der erstmals einen richtigen Freund findet, die amouröse Entwicklung zwischen Hagedorn und Hilde, das Outing des Kammerdieners Johann mit dem Skilehrer Toni, die einsame und fast schon nymphomanisch veranlagte Frau Calabrè und der devot schmierige Hotelportier Polter, alles mehr oder weniger sympathische Charaktere, die von Köpplinger leicht überspitzt gezeichnet werden. Damit eine Revueoperette spritzig wirkt, ist entsprechendes Tempo angesagt. Dafür sorgt die Drehbühne mit wechselnden Bühnenbildern von Rainer Sinell.

Es ist zu Beginn der Empfangssalon im Hause Tobler, dann das Foyer des Grand Hotel und gedreht der Eingangsbereich vor dem Hotel, und last but not least eine stählerne Gondel hoch zum Wolkenstein, die auch noch als Faradayscher Käfig herhalten muss. Die passenden bunten Kostüme stammen von Dagmar Morell. Dass die einzelnen Gesangsnummern auch zünden und kein Leerlauf entsteht, dafür sorgt die spritzige Choreografie von Adam Cooper mit einem Stepptanz auf Skiern als Höhepunkt. Michael Heidinger hat die ganze Szenerie gemeinsam mit Köpplinger ins rechte Licht gesetzt.

Musikalisch ist das ein Feuerwerk, was da vom Ensemble des Gärtnerplatztheaters am Silvesterabend gezündet wird. Erwin Windegger gibt den Fabrikanten Tobler mit viel Charme und nobler Grandezza, und unterscheidet sich dadurch deutlich von dem berlinerisch derben Trikotfabrikanten Giesecke aus dem Weissen Rössl.  Armin Kahl gibt den etwas naiven, dafür umso liebenswürdigeren Fritz Hagedorn, dessen neue Freundschaft mit Tobler am Ende zu einer Festanstellung als Kreativdirektor führt, Unternehmenstochter Hilde eingeschlossen. Julia Sturzlbaum, vor kurzem als Hannchen im Vetter aus Dingsda noch ganz klassisch unterwegs, kann mit ihrer Musicalausbildung alle Facetten ihres Könnens zeigen und gibt eine selbstbewusste, manchmal auch freche Hilde, die genau weiß, was sie will. Herrlich wandelfähig zeigt sich auch Alexander Franzen als Diener Johann. Das Terzett Drei Männer im Schnee mit Armin Kahl und Erwin Windegger ist eines der absoluten Höhepunkte der Aufführung. Mit herbem Charme und resolutem Auftreten gibt Dagmar Hellberg Toblers Hausdame Claudia Kunkel. Sigrid Hauser als nymphomane, wandlungsfähige Frau Calabrè lässt die alten UfA-Zeiten mit Zarah Leander wieder lebendig werden. Urkomisch Peter Neustifter als Skilehrer Toni, dessen Song Skifahrn im Schnee Ohrwurmqualitäten hat. Frank Berg gibt einen völlig überforderten Hoteldirektor Kühne, und Eduard Wildner ist als schmieriger und überheblicher Portier Polter eine Marke für sich.

Die musikalische Leitung liegt in den bewährten Händen von Andreas Partilla, der auch mit reduzierter Besetzung des Orchesters des Gärtnerplatztheaters die verschiedenen Musikstile bestens herausarbeitet und dafür sorgt, dass die Nummernfolgen Schlag auf Schlag erfolgten. Am Schluss gibt es dann den wohlverdienten Applaus und Jubel für die Kollegen auf der Bühne. Um nämlich den Live-Charakter so gut wie möglich zu vermitteln, Publikum natürlich nicht zugelassen ist, dürfen wie schon bei den letzten Live-Streams etwa 50 bis 60 Mitarbeiter des Gärtnerplatztheaters diese Vorstellung erleben. In der Pause gibt es Interviews, die Köpplinger mit Erwin Windegger, Dagmar Hellberg und Sigrid Hauser führt. Über Video ist Tom Pigor zugeschaltet, und wie bei einem schlechten Silvesterscherz klingelt mehrmals das Handy von Pigor, der sichtbare Schwierigkeiten hat, das Gerät auszuschalten. Ungewollte Situationskomik, die irgendwie herrlich zu dieser Aufführung passt. Kameraführung sowie Bild- und Tonqualität sind nach den Startschwierigkeiten der ersten Livestreams mittlerweile hoch professionell und lassen den Zuschauer am Monitor eng am Geschehen teilnehmen.

Wer die Liveübertragung am Silvesterabend verpasst hat, der kann diese Vorstellung noch als Video on demand auf der Homepage des Gärtnerplatztheaters abrufen, und seit einiger Zeit gibt es auch einen CD-Mitschnitt mit den Hits aus dieser Revueoperette. Ein witzig-spritziger Abschluss eines für die Kunst und Kultur traurigen Jahres, der Mut und Hoffnung auf Besserung im Neuen Jahr macht.

Andreas H. Hölscher